Die kleine weiße Kugel sieht unschuldig aus, wie sie da auf dem grün lackierten Spielfeld liegt. Doch plötzlich wird sie zur Tatwaffe: Mit ihren Stürmerfiguren schiebt Linh Tran den Ball ein paar Zentimeter nach links, dann nach rechts, dann nach links, wieder zurück. Sie starrt auf den gegnerischen Torwart und die Verteidiger. Nochmal kurz nach links. Dann zuckt ihre Hand am Griff der Drehstange. Die Bewegung kaum wahrnehmbar. Der Ball knallt mit einem Krachen ins Tor. Tran ballt die Faust! Als Zuschauer wünscht man sich eine Zeitlupe, denn zu sehen war es nur schwer. Auch Trans Gegenspieler ist überrumpelt. Zum Glück ist dies nur ein Trainingsspiel. „Gleich nochmal“, sagt sie und wiederholt den Schuss.
Linh Tran ist die beste Tischfußballspielerin der Welt. Sie ist achtfache deutsche Meisterin und seit 2022 auch dreifache Weltmeisterin. Ab dem kommenden Montag tritt die Hamburgerin bei der WM in Spanien an, um ihren Titel zu verteidigen. Die 29-Jährige ist eine der ganz wenigen Profispielerinnen des Sports, sie lebt von Turnieren, Sponsoren, Keynotes, Coachings, Firmenevents, betreibt einen YouTube-Kanal („Foosball with Linh“). Mit ihren Erfolgen holt Tran den Zeitvertrieb aus den Kneipen und Hobbykellern, macht das Kickern attraktiver, jünger – und weiblicher
Wie im „echten“ Fußball: Ohne Videoanalyse geht es auch am Tisch nicht
Drei bis fünf Stunden am Tag steht Linh Tran am Tisch. Für sie ist es kein Tisch, sondern ihr Universum. 90 Kilo schwer, 0,85-Quadratmeter-Spielfläche, acht Drehstangen mit den daran befestigten 22 Figuren, „Puppen“ genannt. Tran übt Schüsse mit Namen wie Walking Jet, Pinshot, Pullshot oder Slingshot. „Ich führe den genau gleichen Schuss ein paar hundert Mal aus“, sagt Tran, „so lange, bis ich an dem Punkt bin, dass wirklich jeder ins Tor geht.“ Dazu kommt Krafttraining: Kreuzheben, Bankdrücken, Core-Übungen, Handgelenke stärken. Große Turniere gehen schon mal über zwölf Spiele und zehn Stunden – wenn man bis ins Finale kommt. „Ich stehe mit höchster Anspannung vornüber gebeugt am Tisch. Das ist superanstrengend, darauf muss ich meinen Körper vorbereiten.“ Bei Videoanalysen studiert sie ihre Gegnerinnen, ihr Mentaltrainer stellt sie auf Drucksituationen im Spiel ein. „Es ist alles Psychologie“, sagt Linh Tran, „die Topspieler sind natürlich fantastische Techniker. Aber beim Turnier zählt letztlich die mentale Stärke. Sie entscheidet darüber, wer Sieger oder Verlierer wird.“
„Tischfußball ist ein bisschen wie Tennis, ein Duell. Der Unterschied ist, dass man beim Kickern so nahe zusammensteht, dass man den Schweiß der Gegnerin riecht, die Äderchen in den Augen sieht und den Atem spürt. Man merkt an Ticks und Marotten, wer unsicher ist, da nimmt man auch die kleinste Emotion wahr.“ Manche Gegnerinnen und Gegner versuchen, mit unfairen Mitteln zu arbeiten, am Tisch zu rütteln, ihn ein wenig über die Stangen anzuheben. Sie seufzen, nerven mit Marotten, verzögern, versuchen Linh Tran zuzuquatschen. „Sweettalken“, nennen wir das, sagt sie. „Die wollen einfach meinen Flow unterbrechen, mich stören, Psychospielchen eben.“ Tran grinst. „Ein Pokerface zu haben, ist ein echter Wettbewerbsvorteil.“
Bei einem Irish-Pub-Besuch in Hamburg kam die gebürtige Hessin vor einem guten Jahrzehnt mit Tischfußball in Kontakt. „Es hat sofort geklickt“, blickt sie zurück. „Das Tempo, die absolute Konzentration, die technische Finesse. Das war mein Ding.“ Sie spielt jedes Jahr mehr, tritt einem Verein bei, feiert einen Erfolg nach dem anderen. Vor drei Jahren entscheidet sie sich, ihren Job als Verkäuferin bei Apple aufzugeben – und nur noch zu kickern.
Im Tischfußball sind die Deutschen Weltklasse
Tischfußball ist schnell. Das weiß, wer es schon einmal ausprobiert hat. Die Spieler drehen an den Stangen – kein Kurbeln erlaubt! – sie müssen flink den Ball passen, gucken wie der Gegner steht, eine Lücke finden und dann überraschend und hart schießen. Ziehen Top-Spieler ab, wird der Ball bis zu 60 km/h schnell. Kickertische stehen in Kneipen, Jugendzentren, Vereinen, Schulen. Immer mehr Unternehmen, die sich modern und locker geben wollen, stellen Tische in Gemeinschaftsbereiche. Etwa eine Million Menschen in Deutschland spielen als Hobby, es gibt 300 Vereine. Beim Tischfußball sind die Deutschen Weltklasse.
Mick Kunath ist Bundestrainer der Frauennationalmannschaft und ein großer Fan von Linh Tran: „Sie ist die beste Spielerin der Welt, weil sie immer genau dieses eine Ziel hatte: die beste Spielerin der Welt zu werden.“ Sie gebe immer alles. Was den Unterschied zu ihren Konkurrentinnen mache? „Ihre innere Stärke. Tran ist beim Training sehr diszipliniert und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen.“
In ihrem Büro hat Tran ihre Pokale aufgereiht, hier dreht sie auch die Videos, in denen sie ihre Tricks erklärt. „Wenn ich spiele, werde ich zu einer anderen Person“, sagt sie. „Ich werde ganz still. Ganz stark. Ganz ruhig. Aber wenn nötig, kann ich blitzschnell zuschlagen. Am Tisch werde ich zur Löwin.“
Wenn Linh Tran im spanischen Saragossa antritt, um ihren Titel als weltbeste Spielerin zu verteidigen, kommen ihre Hauptgegnerinnen aus Rumänien, Österreich, den USA und Frankreich. Doch ihr Ziel ist größer: nicht nur bei den Frauen die Beste zu sein, sondern auch in der offenen Klasse, im Wettkampf mit den Männern. Tischfußballgeschichte schreiben eben. „Klar, haben die Männer körperliche Vorteile. Sie sind größer, haben bessere Hebel, die Schüsse sind härter. Aber von der Psyche her sind wir Frauen mindestens gleichwertig.“ Bei einigen großen Turnieren, zum Beispiel in Las Vegas, hat sie schon die offene Klasse gewonnen. „Früher haben mich manche Männer vor dem Spiel belächelt. Heute lächelt keiner mehr. Ich habe mir ihren Respekt erkämpft.“ In den offenen Weltranglisten stehen derzeit nur männliche Spieler an der Spitze. Tran lächelt fein. „Noch“, sagt sie.
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