Der 9. April 1933 markiert einen schwarzen Tag in der Geschichte jüdischer Sportler. Unter dem harmlos klingenden Titel „Stuttgarter Erklärung“ verpflichteten sich 14 deutsche Fußballvereine dazu, systematisch jüdische Mitglieder auszuschließen. Unter den Unterzeichnern waren neben den Gastgebern, den Stuttgarter Kickers, auch Vereine wie der 1. FC Kaiserslautern und der FC Bayern München. Dass auch die Münchner, die wegen ihres jüdischen Präsidenten Kurt Landauer lange als Hort des Widerstands gegen die NS-Diktatur galten, sich ebenfalls an der gesellschaftlichen Ächtung der Juden beteiligten, ist erst in den vergangenen Jahren bekannt geworden und war Gegenstand von Kontroversen unter Historikern. Erst eine vom Verein selbst in Auftrag gegebene Untersuchung des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) bestätigte: Der FC Bayern hat „keine Sonderrolle eingenommen, sondern war anderen Vereinen ähnlicher als bisher angenommen“.
Dr. Markwart Herzog hat diese Erkenntnis mit eigenen Forschungen maßgeblich angestoßen. Der Sport- und Kulturhistoriker leitete von 2009 bis 2024 die Schwabenakademie Irsee, ist Organisator vieler sporthistorischer Tagungen und forscht seit Jahren zur Geschichte des Fußballs. Für großes Aufsehen sorgte etwa 2006 das Erscheinen seines Buchs „Der ,Betze’ unterm Hakenkreuz“, in dem es um die Rolle seines Lieblingsvereins 1. FC Kaiserslautern während der NS-Zeit geht. An die Spezialrolle des FC Bayern wollte er deswegen auch nicht glauben. Am Montagabend beschäftigte sich der 66-Jährige im Rahmen eines Vortrags am jüdischen Museum in Augsburg mit der Rolle jüdischer Fußballer in der Nachkriegszeit – und präsentierte erneut Forschungsergebnisse.
Kurt Landauer über die Gründe seiner Rückkehr: Seine ganz große Liebe hieß nicht FC Bayern
Unter dem Titel „Rückkehr der Verstoßenen“ forschte Herzog nach den Gründen der einstigen Vereinsmitglieder, in ihre alten Vereine zurückzukehren – und dort mit jenen wieder zusammenzuarbeiten, die einst an ihrem Ausschluss beteiligt waren. Im Fall von Kurt Landauer gibt es dessen Zitat: „Der FC Bayern und ich gehören nun einmal zusammen.“ Das scheint nur ein Teil der Wahrheit zu sein. Eine noch wichtigere Motivation dürfte die Liebe Landauers zur Münchnerin Maria Baumann gewesen sein. In einem Brief an sie im Dezember 1946 formuliert das Landauer so: „Wenn ich zurückgehe, so tue ich es nicht, um meine alte Heimat wiederzusehen oder weil mich eine gute Stellung lockt oder (...) weil ich die Bayern betreuen möchte. Nein, nein und immer wieder nein. Der Grund meines Zurückkommens sind Sie, Maria, einzig und alleine Sie.“ Im Jahr 1955 heirateten die beiden, sechs Jahre vor Landauers Tod.
Landauer steht exemplarisch für viele Rückkehrer, deren Verhalten von Ertragen und Erdulden zum Wohl des Vereins geprägt war. Denn Landauer akzeptierte es noch vor Ausbruch des Kriegs, dass mit August Harlacher ein überzeugtes Mitglied der NSDAP sein Vize-Präsident war. Nach dem Kriegsende verwendete er seine Entschädigungszahlungen, um den FC Bayern vor der Insolvenz zu retten. Also jenen Klub, der, wie Herzog betont, sogar drei Varianten eines Arierparagrafen in seiner Satzung verankert hat, wonach nur Arier Mitglied werden dürfen. „Ich kenne keinen Verein, der gleich drei solcher Paragrafen erlassen hat“, sagte Herzog in seinem Vortrag.

Auch der FSV Frankfurt hat seinen Landauer, bei den Hessen heißt er Alfred J. Meyers. Der erbaute das Stadion, wurde dann vertrieben, kehrte zurück – und arbeitete dann mit ehemaligen Nazis im Verein zusammen. In einer Festschrift des Klubs aus dem Jahr 1949, nur vier Jahre nach Kriegsende, findet sich nur eine einzige Andeutung über die NS-Zeit. In einer Formulierung ist von „dunklen Tagen“ die Rede, die über den Sport hereinbrachen. Es gibt Beispiele wie Heinz Kerz, der als Sohn eines Kolonialsoldaten zwar ein Torjäger war, aber als „Mischling ersten Grades“ ins Dachauer KZ gebracht, dort zwangssterilisiert wurde und nach dem Krieg wieder als Jugendtrainer bei seinem Verein arbeitete. „Es gibt Fotos, auf denen er im Karneval mit ehemaligen Nazis schunkelt“, sagt Herzog. Der Holocaust sollte verschwiegen werden, um keinen weiteren Staub aufzuwirbeln – ein durchaus typisches Vorgehen: „Man findet sowohl auf der Täter- als auch auf der Opferseite einen beschönigenden Umgang mit der NS-Zeit“, so Herzog.

Beim FC Augsburg gibt es die Geschichte der jüdischen Einstoß-Brüder
Die Forschungsarbeit betrachtet Herzog übrigens nie als abgeschlossen. So ging er in Zusammenarbeit mit dem FC Augsburg der bislang kaum erforschten NS-Zeit beim Vorgängerverein BC Augsburg auf den Grund – und stieß auf die jüdische Familie Einstoß, deren Söhne Max und Isidor in verschiedenen Abteilungen des BCA aktiv waren. Max wanderte schon 1930, drei Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, nach Buenos Aires aus. In Argentinien soll er nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Repräsentant des DFB aktiv gewesen sein und sich mit Bundestrainer Sepp Herberger angefreundet haben. Sein Bruder Isidor war als Handballer beim BCA aktiv, schloss sich aber dem jüdischen Sportverein „Private Tennisgesellschaft Augsburg“ (PTGA) an, um weiterhin Sport treiben zu können und folgte seinem Bruder 1939 nach Argentinien.
Einen Arierparagrafen scheint der BCA nach aktuellen Erkenntnissen nicht erlassen zu haben, so Herzog. Aber allgemein ist die NS-Vergangenheit beim BCA, der 1969 mit Schwaben Augsburg zum FC Augsburg wurde, wenig erforscht. Das muss nicht so bleiben, betont Herzog: „Wenn der FCA seine Geschichte in der NS-Zeit erforschen lassen will, was schon viele deutsche Fußballvereine gemacht haben, dann kostet ein hierfür engagierter Historiker gewiss nur den Bruchteil eines Spielers der Profi-Mannschaft.“
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