Auf den Tribünen der Roland Arena in den Schweizer Bergen toben die Fans. Aus den Lautsprechern dröhnt laute Musik. Der Ansager versucht Stimmung zu machen. Mittendrin läuft und schießt Julia Tannheimer, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Die langen blonden Haare hat sie meist zu einem Zopf gebunden. Ein Stirnband mit den Sponsorenaufnähern sorgt für den freien Blick bei den Biathlon-Wettkämpfen in Lenzerheide. Sie ist 19 Jahre jung, hat vor knapp einem Jahr ein Spitzen-Abitur mit der Gesamtnote 1,1 hingelegt und geht im Gespräch erstaunlich gelassen mit der neuen Situation für sie um. „Ich genieße die Atmosphäre hier in der Schweiz. Aber im Grunde ist es nicht viel anders als in einem Weltcup“, sagt die gebürtige Ulmerin über ihre WM-Premiere.
Tannheimer läuft ihre erste komplette Weltcup-Saison und wurde von Frauen-Trainer Kristian Mehringer gleich für die Weltmeisterschaft nominiert. Es gilt Erfahrungen zu sammeln, sich im Kreis der deutschen Mannschaft einzufinden und mit den besten Biathletinnen der Welt zu messen. Bisher ist das der Athletin des Deutschen Skiverbandes (DSV) mehr als ordentlich gelungen. Sie startete mit einem 17. Platz im Sprint. Es folgte Rang 24 in der Verfolgung und schließlich Platz 33 im Einzel.
Im Zielraum fließen die Tränen
Nach dem Einzel-Lauf verlor sie im Zielraum ein paar Tränen. Nur wenige Minuten später vor den deutschen Journalisten hatte sie sich schnell gefangen und erklärte ihr Malheur: „Ich habe die Nähmaschine bekommen. Es hat einfach alles gezittert. Wenn alles wackelt, ist es schwer, die Schussbahn zu finden.“ Drei verpasste Scheiben im letzten Schießen bei insgesamt vier Fehlern kosteten eine bessere Platzierung.
Ja, das habe sie mächtig gewurmt, erzählt sie. „Aber der Ärger ist auch schnell wieder verflogen.“ Tags darauf stand kein Wettkampf an. Was macht eine 19-Jährige an einem freien Tag außer einer leichten Trainingsrunde? „Nicht so viel. Ich liege gerne mal länger im Bett und lese viel.“ Am ersten WM-Wochenende reisten Papa und Mama sowie die viereinhalb Jahre jüngere Schwester Sarah aus Ulm an, um Julia anzufeuern. Für die beiden Wettkämpfe am letzten WM-Wochenende haben sich die Eltern wieder angekündigt.
Der Kontakt in ihre Heimat ist noch eng. „Besonders im Winter komme ich öfter nach Hause. Von den Wettkämpfen fahre ich meist über Ulm und bleibe dann ein Nacht lang zu Hause“, sagt Tannheimer. Mit Mama und Papa werde „ein bisschen über den Sport gesprochen, aber natürlich nicht nur darüber“. An ihre Biathlon-Anfänge kann sie sich gut erinnern. „Ich war mit meinen Eltern im Biathlon-Zentrum in Dornstadt bei einem Tag der offenen Tür. Mir hat es sofort gefallen.“
Die Trainer erkennen Julia Tannheimers großes Talent
In Dornstadt nordwestlich von Ulm betreibt der Deutsche Alpen Verein eine Biathlon-Anlage, an der ganzjährig geübt werden kann. Die Zehnjährige war begeistert. Ihre Trainer erkannten bald das große Talent. Sie wechselte später ans Skiinternat Furtwangen im Schwarzwald. Nach dem Abitur schloss sich Tannheimer der Sportfördergruppe der Bundeswehr an.
Für die WM hatte sie sich zum Ziel gesetzt, „am Ende zufrieden zu sein mit den Ergebnissen“. Ansonsten will sie auch von der deutschen Spitzenläuferin Franziska Preuss viel abschauen. Sie sei wie eine große Schwester zu ihr. „Wir sind schon zusammen joggen gewesen. Sie zeigt mir, wie alles geht. Es ist natürlich nochmal ein Stück besser, wenn man alles von so einer überragenden Athletin gezeigt bekommt“, sagt Tannheimer.
Die Stimmung bei den Frauen ist locker, was angesichts der Erfolge kaum verwundet. Am Samstag um 12.05 Uhr startet die Staffel, am Sonntag um 13.45 Uhr folgt der Massenstart. Alles andere als weitere Medaillen für die DSV-Mannschaft wären eine Überraschung. Für Tannheimers Entwicklung ist es förderlich, dass mit Preuss eine Spitzenläuferin dabei ist, deren Erfolge Druck wegnehmen. Mit zweimal Bronze, Silber und Gold ist die 30-Jährige die erfolgreichste Starterin der Titelkämpfe. „Die Frauen machen einen unfassbar guten Job“, lobt Cheftrainer Felix Bitterling. Bei den Männern dagegen lief bisher nichts zusammen. Die Hoffnung von Bitterling ruht auf dem Team-Wettbewerb. Der Cheftrainer erhöht den Druck: „Wir sind nicht hier, um den anderen zu den Medaillen zu gratulieren. Wir wollen aufs Podium.“
Das möchte auch Tannheimer, selbst wenn sie es noch nicht so selbstbewusst formulieren will. In ihren Plänen für die nähere Zukunft spielt Biathlon die Hauptrolle. „Bei Olympia 2026 in Italien dabei zu sein, wäre mein großer Traum.“ Danach will sie ein Studium aufnehmen. „Wahrscheinlich Betriebswirtschaft-Lehre, aber das weiß ich noch nicht genau.“ Tannheimer gehört die Zukunft.
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