Herr Seppelt, Sie haben sich mit der ARD-Dopingredaktion des Radsports angenommen („Geheimsache Doping: Im Windschatten“) und kurz vor dem Start der Tour de France für reichlich Wirbel gesorgt. Was hat Sie dazu bewogen?
HAJO SEPPELT: Zwei Gründe: Wir bekommen seit Jahren immer wieder Zuschriften mit Aufforderungen aus dem Publikum, uns mal den Radsport wieder näher anzuschauen – verbunden mit Fragen, wie manch schier unglaubliche Leistungen zu erklären seien. Ob es an Doping liegen oder andere Gründe haben könnte, fragen sich offenbar viele. Und außerdem hatte ein Kollege aus meinem Team interessante Recherchen zu Doping-Altlasten im heutigen Radsport zusammengetragen. So erschien es uns wert, wieder eine Doku zum Radsport zu machen. Im Internet wird jetzt behauptet, dass wir jedes Jahr zur Tour de France eine Story platzieren. Die letzte – und übrigens bisher einzige Doku zum Radsport – hatten wir 2014 gemacht.
Wenn man sich den aktuellen Film anschaut, muss man zu dem Schluss kommen, dass im Radsport weiter gedopt wird. Gleichzeitig liegt der bislang letzte Dopingfall bei der Tour de France zehn Jahre zurück. Wie passt das zusammen?
SEPPELT: Unser Film trägt den Untertitel „Warum der Dopingverdacht weiter mitfährt“. Das hatte den simplen Grund, dass es eine Menge Anhaltspunkte gibt, die man sich als kritischer Beobachter mal genauer anschauen sollte. Sind quasi alle erfahrenen Radprofis über die Jahre vom Saulus zum Paulus mutiert und die jüngeren alle immun gegen die Betrugsmöglichkeiten, die sich bieten, ohne erwischt zu werden? Dass so massiv und flächendeckend gedopt wird wie zu den großen Skandalzeiten, halte ich für kaum vorstellbar. Aber die enorme Tempoerhöhung heutzutage ausschließlich auf Verbesserungen bei Material, Technik und Ernährung zurückzuführen, erscheint mir dann doch hinterfragenswert. Es gibt etliche Lücken im Anti-Doping-Kontrollsystem, Sportbetrüger können sie kinderleicht ausnutzen, es wäre naiv zu glauben, dass es niemanden gibt, der das tut.
Können Sie Beispiele für Mittel nennen?
SEPPELT: Ja, zum Beispiel Aicar. Ein eigentlich körpereigener Stoffwechsel-Aktivator, der in seiner synthetischen Form das Energielevel in der Muskulatur hochwirksam erhöht. Ein ehemaliger Spitzenfahrer hat mir gesagt, dass nach seiner Beobachtung Aicar das Dopingmittel der Wahl lange Zeit gewesen sei und immer noch ist. Aber es ist in Testverfahren tatsächlich so schwierig und umständlich nachweisbar, dass bis heute mittels einer Dopingkontrolle kein Doping-Verstoß mit dem Mittel nachgewiesen werden konnte. Das ist schon befremdlich genug. Und dann gibt es von Aicar auch noch mehr als 160 Ableger, die man sogar mit noch weniger Risiko nehmen kann – sie dürften ähnliche Dopingeffekte aufweisen.
Ein oft gehörtes Gegenargument aus dem Radsport ist dennoch, dass die Profis engmaschig kontrolliert werden. Ist das stichhaltig?
SEPPELT: Das hat man vor 20 Jahren auch schon recht intensiv getan und auch kaum etwas gefunden. Wir stehen immer vor einem Paradoxon: Heißt es, wenn es keine positiven Tests gibt, dass nicht gedopt wird – oder heißt es einfach nur, dass raffiniert gedopt wird und/oder die Nachweisverfahren nicht ausreichen? Es ist etwa lange bekannt, dass man mit Mikrodosierungen von Epo hantieren kann, ohne dass es – wenn man geschickt ist – in den Messungen im sogenannten Biologischen Pass automatisch auffallen würde. Eigenblutdoping ist auch nach wie vor kaum nachweisbar, selbst wenn es Fortschritte in der Analytik gegeben hat. Der spanische Doping-Arzt Fuentes und der deutsche Doping-Doktor Mark S. haben damit jahrelang gearbeitet. Letztlich aufgeflogen sind sie nicht durch Dopingtests, sondern – im Fall Fuentes – durch Ermittlungen der spanischen Polizei und bei Mark S. durch die Recherchen der ARD-Dopingredaktion, die die staatlichen Ermittlungen in Deutschland und Österreich mit der polizeilichen Bezeichnung „Operation Aderlass“ auslösten.
Das Problem scheint immer die Nachweisbarkeit von verbotenen Mitteln und Methoden im Labor zu sein?
SEPPELT: Ja, es gibt schon eine Reihe vermutlich unentdeckbarer Manipulationsmöglichkeiten: Auch neuartige Geräte aus der Trainingswissenschaft, bei denen Kohlenmonoxid zu Messzwecken eingesetzt wird, können für Doping missbraucht werden. Eine unsachgemäße Nutzung, nämlich eine häufige und regelmäßige Inhalation von Kohlenmonoxid, hat positive Effekte auf das Leistungsvermögen. Einige Teams nutzten die Geräte – aber wie sie betonten, allein zu trainingswissenschaftlichen Messzwecken. Es gibt keinen Beweis, dass es anders war. Aber aufgrund des Missbrauchspotenzials wurde die Methode inzwischen im Radsport untersagt. Doch selbst wenn: Es ist im Labor quasi unmöglich, einen Einsatz einer solchen Methode zu Dopingzwecken nachzuweisen. Auf all diese Probleme haben wir in der Doku hingewiesen.
In Ihrem Film geht es auch um Doping-Hintermänner, die offenbar unbehelligt geblieben sind…
SEPPELT: Sind ehemalige Doping-Komplizen, die nur ungeschoren davonkamen, weil Anti-Doping-Organisationen untätig waren, jetzt als unbescholtene Saubermänner zu betrachten? Da sind Fragezeichen erlaubt. Einen haben wir in dem Film dokumentiert. Er war ein Komplize des deutschen Doping-Arztes Mark S., der ein ganzes Netzwerk betrieb, dafür in den Knast wanderte und seine Approbation auf Lebenszeit verlor. Und sein Komplize? Der arbeitet beim Team Ineos, völlig unbehelligt, ist nie belangt worden, obwohl die Hinweise für sein Tun sehr aussagekräftig sind. Als Chris Froome große Erfolge feierte, war er bei Sky. Belege für Froome-Doping gibt es nicht. Und trotzdem: Man hätte das Wirken des Komplizen von Mark S. mal überprüfen können. Aber die Anti-Doping-Organisationen des Radsports haben, als es vor der Verjährung noch möglich war, zu ermitteln, die Füße stillgehalten. Das ist ein typischer Fall – ein Pars pro Toto für das Systemversagen. Aber dieses Beispiel ist bei weitem kein Einzelfall. Weil die Staatsanwaltschaft wegen Verjährung von Verdachtsmomenten damals gegen viele Personen nicht ermittelt hat und der Sport, der in seinem Justizwesen längere Verjährungsfristen hat, offenbar oft nicht richtig hingeschaut hat, könnten sich heute noch wesentlich mehr Komplizen und Kunden von Mark S. im Sportumfeld aufhalten. Nach unseren Recherchen betrifft das insgesamt aus dem Umfeld des Dopingnetzwerks von Mark S. bis zu 14 Personen. Auf solche Problematiken, die die breite Öffentlichkeit ja sonst nie erfahren würde, machen wir mit Filmen wie diesem aufmerksam.
Aber die Reflexe aus dem Sport sind offenbar die gleichen geblieben: Man schießt sich auf Sie ein.
SEPPELT: Das bin ich gewohnt. Vor fast 20 Jahren hatte mich die ARD wegen meiner kritischen Haltung zu Doping und zur Dopingberichterstattung – gerade auch im Radsport – degradiert. Als das Lügengerüst des Radsports dann zusammengestürzt war, erkannten einige, dass wohl doch alles nicht ganz falsch war an der Kritik, und es wurde die ARD-Dopingredaktion gegründet. Das war damals eine richtungsweisende Entscheidung der ARD. Aber eines begleitet uns seitdem: Die Sport-Lobby schießt sich immer wieder auf uns ein. Wenn ich über Russlands Staatsdoping berichte, wettern die Russland-Lobbyisten. Wenn wir die Marathonszene in Kenia kritisch beleuchten, heißt es aus Leichtathletik-Kreisen, dass unsere Recherchen Unsinn seien. Und wenn wir im Radsport recherchieren, kommen eben andere Leute um die Ecke. Ich erinnere mich noch an den Fall Contador, den wir 2010 aufdeckten. Da brüllte uns im Nachgang der damalige Pressesprecher des Weltradsportverbandes an. Er sagte allen Ernstes, Sportjournalisten sollten den Sport promoten und ihn nicht kaputtmachen. Nicht Doper machten demnach für ihn den Sport kaputt, sondern investigative Journalisten … das war schon kabarettreif! Der Mann wurde übrigens später Sportchef einer großen Redaktion. Ich beobachte generell, dass nicht wenige Kollegen im Sportjournalismus sich oft eher nur oberflächlich mit kritischen Themen auseinandersetzen oder es von vornherein sein lassen. Insbesondere im Fußball fällt mir das besonders auf. Im Radsport dagegen sind etliche Kollegen inzwischen durchaus kritischer unterwegs.
Gleichzeitig haben viele Experten dem Radsport in den vergangenen Jahren attestiert, dass er sich ernsthaft darum bemüht, dem Doping Einhalt zu gebieten. War das eine Fehleinschätzung?
SEPPELT: So weit würde ich nicht gehen. Der Radsport stand unter dem größten Druck von allen Sportarten – seit 15, 20 Jahren. Und in der Tat hat er einige richtige Schritte unternommen. Sie haben manchmal sogar strengere Regelungen etabliert als die der Welt-Anti-Doping-Agentur. Kohlenmonoxid etwa ist momentan nur im Radsport verboten, die Welt-Anti-Doping-Agentur muss noch nachziehen. Aber es gibt in der Radsport-Szene noch etliche Zeitgenossen, die munter weiter dabei sind und bei denen ich eine kritische Auseinandersetzung mit der düsteren Zeit des Radsports nicht sehe. In etlichen World-Tour-Teams wimmelt es von Altlasten. Aber damit scheint sich keiner zu beschäftigen. Der Radsport hat sich gemütlich eingenistet im Image, er sei jetzt besser als andere Sportarten.
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