Ex-DEB-Sportdirektor Schaidnagel sieht WM als richtungsweisend
Exklusiv Mit Stefan Schaidnagel als Sportdirektor holte die Nationalmannschaft 2018 Olympia-Silber. Jetzt spricht er über die anstehende WM und Franz Reindl.
Beim Deutschen Eishockey-Bund ist die Ära Franz Reindl zu Ende gegangen. Neuer Präsident ist Peter Merten. Wie intensiv haben Sie den Wechsel an der DEB-Spitze verfolgt.
Schaidnagel: Eigentlich gar nicht so intensiv. Ich habe aus den Medien einige Informationen für mich gewonnen. Ansonsten habe ich nicht viel von der Mitgliederversammlung mitbekommen.
Aber wie bewerten Sie den Wechsel an der Spitze des DEB?
Schaidnagel: Zunächst kann man auf jeden Fall sagen: Neue Besen kehren gut. Neue Leute verdienen immer eine Chance. Zugleich muss man aber auch sagen, dass der Verband dringend eine Strukturreform benötigt und auch die Professionalisierung in jeglicher Hinsicht vorangetrieben werden muss, sportfachlich, strukturell und organisatorisch. Und dass sie ein Stück weit wahrscheinlich auch die ein oder andere Sache aus der Reindl-Zeit bereinigen müssen. Aus sportfachlicher Sicht müssen sie den positiven Weg der vergangenen Jahre unbedingt untermauern. Da ist einiges passiert, was in eine gute Richtung lief, wobei jedoch die letzten 1,5 Jahre gesamtsportlich ein deutlicher Abwärtstrend zu erkennen ist.
Reindl hat Sie als Sportdirektor eingestellt. Ende 2020 trennten sich der DEB und Sie. Welches Zeugnis würden Sie Reindls Amtszeit ausstellen?
Schaidnagel: Franz Reindl hat mit Sicherheit große Verdienste um das deutsche Eishockey. Natürlich muss man sehen, dass ein gewisser Schatten auf seiner Amtszeit liegt. Jetzt ist es aber an der Zeit, in die Zukunft zu schauen und die positiv zu gestalten. Insgesamt kann man Franz Reindl jetzt für seinen Ruhestand nur alles Gute wünschen.
Ihre Trennung vom DEB kam damals überraschend, ein echter Grund wurde nie präsentiert. Können Sie jetzt mit etwas Abstand mehr dazu sagen?
Schaidnagel: Die Trennung war natürlich nicht von Harmonie geprägt. Aber Gründe für eine Trennung sind oft vielschichtig und nicht an einem Punkt festzumachen. Aber irgendwann sollte man die Vergangenheit ruhen lassen. Die Sache ist für mich abgehakt.
Ist für Sie unter der neuen DEB-Führung eine Rückkehr vorstellbar?
Schaidnagel: Ich bin momentan im Sport-Consulting erfolgreich. Das macht mir sehr viel Spaß. Man sollte nie etwas komplett ausschließen, jedoch stellt sich für mich die Frage derzeit nicht.
Mit Ihnen als Sportdirektor hat die Eishockey-Nationalmannschaft 2018 Olympia-Silber gewonnen. Die Winterspiele 2022 waren eine Enttäuschung mit dem Aus in der Vorrunde. Jetzt beginnt die WM. Was trauen Sie der DEB-Auswahl zu?
Schaidnagel: Die WM wird ein Stück weit richtungsweisend nach dem Abschneiden bei Olympia. Ich denke aber, dass es ein sehr guter Kader ist. Entscheidend wird sein, ob die Mannschaft als Ganzes die Sache in Finnland annimmt. Natürlich tut die Verstärkung aus Nordamerika gut. Dennoch wird es eine Gesamtleistung werden und da ist die Frage, wie man ins Turnier kommt. Wie ist die Atmosphäre und Stimmung um das Team? Wie professionell war die Organisation um die Mannschaft als Gesamtgebilde vor der WM? Solche Positionen müssen immer auf Top-Niveau und mit den besten Leuten besetzt sein, das ist der Anspruch auf internationalem Niveau.
Sie haben Ende 2018 den Bundestrainer Toni Söderholm eingestellt. Dessen Vertrag wurde gerade bis 2026 verlängert. War das eine gute Entscheidung?
Schaidnagel: Grundsätzlich ist es immer gut, wenn man auf diesen entscheidenden Positionen Kontinuität hat. Toni Söderholm hat die Erwartungen von Anfang an erfüllt. Bei dieser WM ist er jetzt in einer Phase, in der er die Ergebnisse der ersten Zeit bestätigen muss. Toni kann das in ihn gesetzte Vertrauen erfüllen. Ich sehe ihn nach wie vor als prädestinierte Figur für den DEB zur jetzigen Zeit.
Der Verband hat 2014 das Projekt „Powerplay 2026“ ins Leben gerufen, um das deutsche Eishockey bis zu den Winterspielen in Mailand auf Top-Niveau zu heben. Dabei geht es auch um zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Strukturen. Liegt der DEB diesbezüglich noch im Zeitplan?
Schaidnagel: Ich sah den DEB auf dem richtigen Weg und man muss natürlich immer Rückschläge einplanen. Die deutschen Frauen haben die Olympia-Quali verpasst, die Männer in Peking nicht besonders gut abgeschnitten und die U18 hat eine unterdurchschnittliche WM gespielt. Ich habe schon nach der Silbermedaille von 2018 gesagt, dass die damals so positive Entwicklung nicht geradlinig, sondern immer in Wellenform abläuft. Nach einem Erfolg wie 2018 muss man aber umso genauer analysieren und nachjustieren. Von Außen betrachtet ist der momentane sportliche Kurs jedoch nicht stringent.
War der Gewinn der Silbermedaille also eher Fluch oder Segen?
Schaidnagel: Beides. Für das rein sportliche ist sie ein bisschen ein Fluch, weil die Mannschaft jetzt die Bürde dieses Erfolgs trägt. Es wird in der Öffentlichkeit erwartet, dass so etwas wiederholt wird. Ein Segen wäre es gewesen, wenn man die Silbermedaille finanziell, sportökonomisch und marketingmäßig genutzt hätte, um den Sport im Nachwuchs nachhaltig aufzustellen.
Kritiker fordern, dass sich der DEB weg vom ehrenamtlichen Präsidium zu einem hauptamtlichen Vorstand mit Aufsichtsrat wandeln muss. Zu recht?
Schaidnagel: Das ist eine Frage des gesamten nationalen Sportsystems. Wie stellen sich Verbände zukunftsfähig auf? Die alten Präsidialsysteme mit einer ehrenamtlichen Führung und einer hauptamtlichen Struktur darunter haben ausgedient. Wir müssen im gesamtdeutschen Sport zu einer Verantwortung für die Profis kommen. Die Leute, die sportfachlich ausgebildet sind und diesen Job zu erfüllen haben müssen auch in die Verantwortung genommen werden – damit sie wirken können. Alte Systeme müssen aufgebrochen und zukunftsfähig aufgestellt werden.
Was ist denn schlecht an den alten Systemen?
Schaidnagel: Es ist natürlich nicht alles schlecht. Aber sie lassen zu viele Potenziale liegen. Die bisherigen Systeme sind sehr statisch und kaum offen für Veränderungen.
Fehlt auch eine gewisse Kontrolle?
Schaidnagel: Mit Sicherheit. Das hat in der ein oder anderen Facette zu der Situation geführt, in der wir uns jetzt befinden. Die Frage im gesamtsportlichen Kontext wird sein, wie der DOSB mit den anderen Stakeholdern im Sport diese Führungsproblematik löst.
Wer könnte als Vorbilder dienen?
Schaidnagel: Es gibt Länder, die bereits vor zwölf bis fünfzehn Jahren Systeme eingeführt haben, die Kontrollmechanismen für den nationalen Spitzensport zulassen. Und dadurch den Wandel zu einer erfolgreicheren Sportnation geschafft haben: Großbritannien mit UK Sports, aber auch Frankreich, Österreich und die Schweiz. Diese Länder haben ihre Strukturen angepasst, um professioneller, effektiver und erfolgreicher zu sein.
Der langfristige Medaillentrend bei Olympischen Spielen zeigt nach unten. Gleichzeitig fließt sehr viel (Steuer-)Geld in die Sportförderung. Im Zyklus 2017 bis 2021 waren es für die Sommersportarten rund 500 Millionen Euro. Wer kontrolliert, ob das Geld sinnvoll verwendet wird?
Schaidnagel: In Deutschland haben wir ein System, in dem der Mittelgeber nur indirekt über den DOSB Kontrolle über die Mittelverwendung hat. Mit Blick auf die Medaillenausbeute muss in Deutschland etwas passieren. Fakt ist: Wir haben genug Geld im System. Es geht nicht darum, immer mehr zu verlangen. Es geht darum, die Mechanismen der Verteilung, des Qualitätsmanagements und der Kontrolle zu verbessern. Es muss eine Zäsur im nationalen Handling des Spitzensports geben. Wir brauchen effektivere Mechanismen.
Wieso ist das nicht schon passiert?
Schaidnagel: Systeme unterliegen immer einer gewissen Trägheit. Unser derzeitiges System entstand 2006 aus der Fusion des Nationalen Olympischen Komitees mit dem deutschen Sportbund. Eventuell haben wir damals zu viel auf eine einzige Institution vereint. Wir haben den Versuch gewagt, Leistungssport, Breitensport, Gesundheitssport und alles andere auf eine Organisation zu vereinen. Da zeigt sich, dass es einer weiteren Differenzierung bedürfte – wie auch immer die ausschauen mag. Ob im DOSB oder in einer anderen Instanz.
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