Doug Shedden: „Ich hätte nicht ohne die Fans spielen wollen“
ERC Ingolstadts Trainer Doug Shedden spricht im großen und exklusiven NR-Interview über die Absage der DEL-Play-offs, eine Saison mit Höhen und Tiefen, kaputte Schallplatten und seine persönliche Zukunft
Als ein Großteil dieses Gesprächs geführt wurde, am Dienstagmittag, war Doug Sheddens Trainerkabine noch im Play-off-Modus. Auf seinem Schreibtisch lagen die ausgedruckten Statistiken seiner Spieler. Hinter seinem Chefsessel hatte der Coach ein paar Kennzahlen der Augsburger Panther, dem vermeintlichen Gegner der ersten Runde, auf eine Tafel notiert: Powerplay-Gelegenheiten, Unterzahl-Statistiken. Ein großes Board vor ihm zeigte die Aufstellung des Rivalen. Zu diesem Zeitpunkt wurde nur gemutmaßt, dass es kein Duell mit dem Erzrivalen geben könnte. Es war ein Interview im Konjunktiv.
Sechs Stunden später sagt die Deutsche Eishockey-Liga ihre Endrunde wegen des Corona-Virus ab. Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Deshalb hat auch die Neuburger Rundschau nochmals bei Shedden angerufen und nachgefragt.
Herr Shedden, das „Worst-Case-Szenario“ ist eingetroffen: Die Saison 2019/2020 ist vorbei. Wie fühlen Sie sich?
Shedden: Es ist wirklich erschütternd. Wir haben die Saison am 1. August begonnen. Man geht durch diese Misttage im Trainingslager, spielt 52 Mal in der Saison, dann gelangt man zur schönsten Zeit des Jahres. Das ist wie Weihnachten ohne Geschenke. Es fühlt sich nicht gut an. Auf der anderen Seite ist es ein weltweites Gesundheitsproblem. Ich glaube, da kann man keinem einen Vorwurf machen. Aber natürlich ist es sehr enttäuschend für jeden – unsere Besitzer, alle Teams.
Und für Ihre Kollegen in Straubing und Bremerhaven erst...
Shedden: Die haben hoffentlich schon zwei Flaschen Whiskey intus. Aus ihrer Sicht haben sie endlich diese Über-Saison und können dann die Früchte nicht ernten. Immerhin spielt Straubing in der Champions-League. Darüber würde ich mich freuen.
Haben Sie schon mit Ihren Spielern gesprochen?
Shedden: Nein. Tim Regan (Co-Trainer, Anm. d. Red.) hat ihnen geschrieben, dass wir uns am Mittwoch in der Kabine treffen und Larry (Mitchell, Sportdirektor) und Claus (Gröbner, Geschäftsführer) eine Ansprache halten werden.
Wie haben Sie diesen „historischen“ Tag verbracht?
Shedden: Meine Schwägerin und mein Schwager aus New York sind gerade da. Wir hatten ein verspätetes Mittagessen und haben einfach gewartet, bis der Anruf kommt. Einer unserer Spieler hat sich in der Zwischenzeit bei mir gemeldet, nachdem er sich mit Jungs von anderen Klubs unterhalten hatte. Ich habe es dann auch erst gegen 18 Uhr erfahren.
Wie geht die Saison jetzt für Sie zu Ende?
Shedden: Ich habe keine Pläne und werde gerade auch keine machen. Viele Nordamerikaner möchten wahrscheinlich so schnell es geht nach Hause. Wir müssen über Verträge sprechen – ob über die der Spieler oder was auch immer. Das muss geklärt werden. Ich werde sicher nicht ins nächste Flugzeug steigen.
Wären „Geisterspiele“ als Alternative für Sie überhaupt denkbar gewesen?
Shedden: Ich habe mit einen paar Trainerkollegen aus der Schweiz gesprochen, die das am vergangenen Wochenende selbst erlebt haben. Die meinten, das war grausam, schrecklich. Fans sind alles. Fans sorgen für Stimmung. Man geht in ein ausverkauftes Stadion. Die Leute trinken, treffen sich, haben Spaß und feuern ihre Teams an. Darum geht es im Sport. Das alles nicht zu haben und unter Trainingslager-Bedingungen zu spielen, wäre schrecklich gewesen.
Als DEL-Geschäftsführer: Hätten Sie die Play-offs abgesagt oder Geisterspiele bevorzugt?
Shedden: Ich hätte nicht ohne die Fans spielen wollen. Zu dieser Zeit des Jahres nicht in vollen Stadien zu spielen, ist nicht richtig. Ich weiß, dass das finanziell schwierig für die Teams ist, aber das sind Geisterspiele auch. Es ist unglücklich, dass es so weit gekommen ist. Aber so ist es nun mal.
Das ist jetzt hypothetisch, aber: Wie weit hätte dieses Team kommen können?
Shedden: Ich weiß es nicht. Ich mag die Frage auch nicht, um ehrlich zu sein. Es ist Sport, richtig? Alles kann passieren. Außenseiter haben schon große Serien gewonnen. Darum praktizieren wir diesen Sport.
Hätten Sie gegen Augsburg gewonnen, wäre der nächste Gegner Mannheim gewesen. Gegen kein Team hatten Sie in den vergangenen Jahren größere Probleme. Hätte man die Adler in einer Serie überhaupt schlagen können?
Shedden: Vielleicht müssten sie uns acht Millionen Kröten leihen. Aber ernsthaft: (Stimme wird lauter) Da steht ein Elefant im Raum und keiner will darüber reden! Warum haben München und Mannheim die letzten Meisterschaften gewonnen? (Noch lauter) Sie zahlen mehr als alle anderen, deshalb haben sie ein besseres Team. Das ist wie bei den New York Yankees und den Boston Red Sox im Baseball. Aber: Kann man sie schlagen? Ja! Doch es ist sehr schwer.
Wie ist es möglich?
Shedden: Hervorragendes Torhüter-Spiel, grandiose Special-Teams. Jeder muss an Bord sein und kämpfen. Ich sage nicht, dass das nicht möglich ist.
Hätten Sie lieber Straubing als möglichen Viertelfinal-Gegner gehabt?
Shedden: Absolut.
Um Rache zu nehmen?
Shedden: Ja. Ich sitze hier und sage: Wir haben in Straubing nicht gewonnen, seit Kreis (Harold, Trainer der Düsseldorfer EG) ein Cowboy war. Ich hätte liebend gerne gegen sie gespielt.
Lassen Sie uns diese Saison Revue passieren. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie würden Sie die abgelaufene Spielzeit einschätzen?
Shedden: Ich bin am Dienstagmorgen mit Tim (Regan, Co-Trainer) die Pros und Kontras durchgegangen. Ein Punkt war Konstanz, wir waren nicht konstant! Nach unserem Auftakt in Schwenningen haben wir fünf Spiele verloren. Vor der Februar-Pause haben wir zweimal gegen Krefeld verloren. Das hat uns wahrscheinlich das Genick gebrochen. Diese sechs Punkte wären wichtig gewesen. Wir hatten auch zu viele Gegentore. Einige Jungs hatten eine schlechte Saison – einer davon Darin Olver mit nur zwei Toren! Sullivan hatte eine frustrierende Spielzeit. Wahrscheinlich könnte ich noch zwei, drei andere Dinge hervorheben. Aber: Unser Powerplay – Nummer eins der Liga! Unterzahl – die zweitwenigsten Gegentore! Wayne Simpson der DEL-Topscorer, Maury Edwards der punktbeste Verteidiger, Tim Wohlgemuth mit zwölf Toren, Simon Schütz ist Top-Sechs-Verteidiger geworden. Es gab viele gute Sachen. Aber wie sind wir Siebter geworden?
Sie sprechen es an: Bestes Powerplay, mit Simpson und Edwards die Top-Scorer auf ihren Positionen. Trotzdem Siebter. Was sagt das über den Rest des Teams?
Shedden: Im Grunde ist das der Teil mit der Inkonstanz. Deshalb. Mike Collins hatte einen Absacker (blickt auf die Statistikblätter vor ihm), obwohl er 38 Punkte hatte. Denn letztes Jahr hat er 20 Mal getroffen. Er war großartig im Powerplay und in Unterzahl. Mike weiß das, ich spreche viel mit ihm. Für mich ist er wie Klebstoff in der Kabine. Er ist der Traum eines Trainers. Aber seine Statistiken bei Fünf-gegen-Fünf sind nicht gut. Da muss er sich steigern.
Sie haben sich oft über Leistungsträger beschwert, die teilweise abtauchten...
Shedden: Auch Brett Findlay muss besser spielen. Wir haben ihm hier eine großartige Chance gegeben. Ich habe mit ihm gerade erst im Training darüber gesprochen. Er sagte: „Ja, ich weiß, ich muss besser sein.“ David Elsner muss konstanter werden. Bei ihm wechseln sich gute und schlechte Spiele ab. Er ist ein guter Spieler, läuft viel, ackert, schießt. Matt Bailey hatte in den letzten 15 Partien nur ein Tor. Er ist aber einer, der in den Play-offs den Unterschied machen kann. Er hat Stehvermögen, er geht in die dreckigen Bereiche. Auch Kris Foucault kann bei Gleichzahl mehr. Was hatte er bei Fünf-gegen-Fünf? Zwei Tore oder drei. Aber wenn das Spiel am seidenen Faden hängt, sei es im Penaltyschießen oder im Powerplay, hat er uns wahrscheinlich zwölf, 13 Punkte im Alleingang eingebracht.
Woran liegen solche Schwankungen? Leidenschaft? Charakter? Pech?
Shedden: Sie haben sich das gerade selbst beantwortet. Leidenschaft. Charakter. Zweikämpfe.
Ist es schwerer geworden, in dieser Liga Sechster zu werden?
Shedden: Absolut. Es ist so eng, wenn man die beiden Elefanten mal rausnimmt. Straubing hatte das Jahr seines Lebens. Bremerhaven hat jeden Abend 20 Import-Spieler, die sind ziemlich gut. Mit Berlin und Köln rechnet man immer. Wo steht Köln? Die treten sich selbst in den Hintern und fragen sich: Was zum Teufel ist passiert? Es ist nicht einfach.
Dachten Sie vor der Saison, dass Wayne Simpson die Liga derart dominieren würde wie in den jüngsten Wochen?
Shedden: Ja. Er ist großartig in den Ecken. Ich weiß nicht, ob ich so etwas schon mal gesehen habe. Vielleicht John Laliberte, aber er kam mehr über die Kraft. Simpson ist schlau. Wie er abdreht, die Scheibe beschützt. Er ist unglaublich.
Wie zufrieden waren Sie mit Ihren Torhütern?
Shedden: Ich will niemanden an den Pranger stellen, denn ich wäre überrascht, wenn sie mir widersprechen. Aber heutzutage braucht man eine Fangquote von 91 bis 92 Prozent, um in dieser Liga effektiv zu sein. Wobei auch Mannheim mit die schlechtesten Zahlen überhaupt hat. Wir waren auf Rang zehn oder elf. Das ist also offensichtlich ein Bereich, in dem wir uns verbessern müssen – sowohl beim Abwehrverhalten der gesamten Mannschaft als auch unsere Torhüter. Das ist nichts gegen unsere Goalies. Sie sind beide Gentlemen und gute Jungs. Aber ihre Zahlen hätten besser sein können.
Individuelle Abwehrfehler waren die ganze Saison über ein Problem. Wie kriegt man das als Trainer in den Griff, ohne wie eine kaputte Schallplatte zu klingen?
Shedden: Das ist das Problem. Man klingt wie eine kaputte Schallplatte. Wir sprechen über Puck-Management, über das Verteidigen der blauen Linie. Wir selbst waren oft im Konter erfolgreich, nach Scheibenverlusten in der neutralen Zone. Aber genauso oft waren wir in solchen Situationen. Die Jungs sagen mir: „Aber du willst doch, dass wir das spielerisch lösen.“ Und ich antworte: „Ja das will ich. Aber ihr sollt das klug und sicher lösen.“ Man macht als Trainer einfach weiter und betont das immer wieder, über unseren Slot zum Beispiel. Wir wollen von da keine Großchancen zulassen. Daran haben wir am Wochenende gearbeitet. Aber wie gesagt, ich werde mich weiter wie eine kaputte Schallplatte anhören.
Vor allem Dustin Friesen und Sean Sullivan waren die defensiven Sorgenkinder...
Shedden: Ich finde, Friesen hat ziemlich gut gespielt. Ja, Sully hatte kein gutes Jahr. Vielleicht war er in jüngster Zeit etwas besser.
Wie stehen Sie zur Neuverpflichtung Steven Seigo?
Shedden: Er ist sehr schnell auf den Schlittschuhen und bewegt die Scheibe gut. Er schießt rechts, das brauchen wir. Natürlich sehen seine Statistiken nicht so gut aus. Aber meiner Meinung nach war er in Ordnung.
Es war also kein Fehler, Ville Koistinen abzugeben?
Shedden: (überlegt) Nein, das darf man nicht als Fehler sehen.
Sie sind jetzt seit Ende 2017 in Ingolstadt. Wie haben Sie diesen Verein seither geprägt?
Shedden: Ich glaube, man muss Larry (Mitchell, Sportdirektor) viel Respekt aussprechen. Er hat diese Mannschaften zusammengestellt. Wir hatten noch ein paar langfristige Verträge von früher. Aber Larry war die Schlüsselfigur. Nächstes Jahr wird es dann komplett sein eigenes Team sein. Natürlich hat er mich auch um Rat gefragt. Wir wollten uns auf Geschwindigkeit fokussieren. Eishockey kommt heutzutage über die Geschwindigkeit. Tempo und Talent. Das ist hart zu bekommen, wenn man Ingolstadt ist. Manchmal bekommen wir die Reste ab.
Am Ende ein paar kurze Fragen mit der Bitte um kurze Antworten! Angeln oder Jagen?
Shedden: Hm. Ich denke mal Angeln.
Ihr liebstes Angel-Revier?
Shedden: Mein Garten: Der Golf von Mexiko.
Wein oder Whiskey?
Shedden: Wein.
Country oder Rock?
Shedden: Rock.
Florida, Ihr Sommerdomizil, oder Ontario, Ihre Heimat?
Shedden: In Kanada liest das ja keiner, oder? Florida.
Mannheim oder München?
Shedden: Das Team oder die Stadt?
Das Team.
Shedden: (überlegt) Ähhm, München.
Wird das unser letztes Exklusiv-Interview sein, weil Sie im Sommer nicht mehr zurückkommen werden?
Shedden: Weil ich nicht zurückkomme? Schmeißen Sie persönlich mich raus? Nein, das glaube ich nicht.
Sie bleiben also?
Shedden: Das hoffe ich doch.
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