
Quasi(modo) eine Überraschung

Plus Ein guter deutscher Verteidiger kurz vor Saisonbeginn? Sportdirektor Larry Mitchell wirkte fast schon verzweifelt. Schließlich holte er Emil Quaas aus München. Einen Monat später sind alle rundum zufrieden.
Quasimodo läuft mit erstaunlich geradem Rücken. Er ist wendig, nutzt seinen Schläger clever im Zweikampf. Manchmal prescht er gut nach vorne. Hinten steht er ab und an vielleicht noch etwas falsch. Aber gut, Quasimodo ist noch 24 Jahre jung.
Das mit dem unschmeichelhaften Spitznamen, sagt Emil Quaas, das finde er eigentlich ganz lustig. Und irgendwie passt es ja auch, dass Doug Shedden, der Trainer des ERC Ingolstadt, den jungen Verteidiger nach der buckligen Romanfigur, dem Glöckner von Notre Dame, benannt und sich das in der Kabine durchgesetzt hat. Quaas liest zur Spielvorbereitung gerne Bücher. „Romane, Sachbücher, mal einen Thriller. Da bin ich nicht festgelegt. Ich versuche, mich einfach weiterzubilden“, sagt er.
Als Quaas las, dass Ingolstadt an der aktuellen Saison teilnehmen wird, Anfang November war das, blätterte ERCI-Sportdirektor Larry Mitchell gerade eilig durch seine dicken Kontaktbücher. In Turbo-Geschwindigkeit sollte er jetzt Baustein für Baustein einen konkurrenzfähigen Kader auf die Beine stellen. Seine größte Sorge: der Posten eines deutschen Verteidigers.
Nach MacWilliams Verbleib in München war die Tür bei Quaas offen
Solche Spielertypen sind ohnehin begehrt wie Corona-Impfstoff – aber einen Monat vor Saisonbeginn? Ganz schwierig. Mitchells Taktik lautete, nach unzufriedenen Kandidaten bei den Topteams der Liga zu schauen. Nach der Absage einer anderen Mannschaft rückte Quaas von RedBull München in den Fokus. „Ich wollte abwarten, ob sie den Tryout-Vertrag von Andrew MacWilliam verlängern“, sagt Mitchell. MacWilliam, ein kanadischer Abwehrmann, an dem auch der Panther-Sportchef seit Jahren interessiert ist, blieb in München. Damit war Quaas plötzlich Verteidiger Nummer neun. Ohne Aussicht auf Eiszeit. „Ich habe selbst gemerkt, dass es an der Zeit war zu wechseln und frischen Wind reinzukriegen, weil ich etwas auf der Stelle getreten bin. Darüber habe ich mich dann mit München unterhalten. Ingolstadt war da eine super Möglichkeit“, sagt Quaas.
So also kam er Anfang Dezember, am Tag des ersten Vorbereitungsspiels des ERCI, an die Schanz. Und da? Braucht Trainer Shedden heute gar nicht viele Worte, um seinen deutschen Defender zu beschreiben: „Er spielt sehr, sehr gut und ist eine echte Überraschung.“ Sagt Sportdirektor Mitchell: „Man merkt, dass er in München gut gecoacht wurde. Es ist im Nachhinein für uns alle super gelaufen.“ Ist Quaas mit drei Assists nach fünf Partien viertbester Scorer seines Teams und bekommt im Schnitt 14 Minuten Eiszeit. Bei den RedBulls war es im Vorjahr nur gut die Hälfte.
Ingolstadts Emil Quaas: "Ich konnte von Beginn an sein, wer ich bin"
In München, erzählt er, habe es Momente gegeben, in denen er mit sich haderte. Von unten drückten die noch jüngeren Talente nach. Oben waren die alten, erfahrenen Haudegen. Dazwischen wurde Quaas zerrieben. „Jetzt ist es wie ein Neuanfang. Ich konnte von Beginn an sein, wer ich bin. Ich bin zufrieden mit meinen Einsatzzeiten. Die Punkte sind da noch eine zusätzliche Bestätigung. Das hilft, weiter Selbstvertrauen aufzubauen.“
Erst die Eisbären in der Heimatstadt Berlin. Dann die renommierten Jungadler Mannheim. Schließlich die Nachwuchsakademie der RedBull-Organisation im österreichischen Liefering, jener herausragenden Talentschmiede, die spätestens nach der erfolgreichen U20-Weltmeisterschaft der Deutschen auf die Landkarte der internationalen Eishockey-Experten gerückt ist. Quaas ist die absoluten Top-Adressen freilich gewohnt. Ein Unterschied zu Ingolstadt? „Sportlich auf keinen Fall. Natürlich ist das System anders. Aber das ist bei jedem Klub so.“
Zwei Dinge fallen Mitchell an Quaas auf: „Seine Kontrolle über den Abstand zwischen ihm und den Angreifern. Und seine aktive Schlägerarbeit. Dadurch macht er viele Spielzüge zunichte.“ Und fragt man Colton Jobke nach Quaas, dann sprudelt das Lob an den Verteidigungs-Partner förmlich aus ihm heraus: „Ich mag es wirklich, mit ihm zu spielen. Er hat einen hohen Hockey-IQ für einen 24-Jährigen. Wir arbeiten gut zusammen, weil wir beide viel auf dem Eis reden. Mit seiner Persönlichkeit und seinem Arbeitseinsatz hat er sich gleich super eingefügt.“
Zu Beginn war Quaas noch im Hotel untergebracht
Dabei war das am Anfang gar nicht so leicht. Weil der ERCI aufgrund der Corona-Unsicherheit einige seiner fest angemieteten Wohnungen über den Sommer kündigte, musste Quaas wie auch die Neuzugänge Brandon DeFazio und Ryan Kuffner im Hotel Domizil unterkommen. „Die Küche fehlte natürlich ein bisschen. Und das Zimmer stand dann etwas voll wegen den Klamotten. Aber wir wurden super behandelt und haben versucht, es uns so heimelig wie möglich zu machen. Es gab immer Frühstück und Abendessen.“
Aus einem Wechsel unter ungewöhnlichen Umständen könnte durchaus Längeres entstehen. „Ich bin sehr zufrieden mit dem Vertrauen des Trainers. Wie es weitergeht, wird sich dann im Laufe der Saison zeigen. Ich hoffe schon auf eine weitere Zusammenarbeit, weil ich mich sehr wohl fühle.“ Der Verein hat inzwischen eine neue Bleibe für Quasimodo gefunden. Nein, nicht im Glockenturm des Ingolstädter Münsters, auch wenn man Trainer Shedden solche Späße zutrauen würde, sondern in einer neu eingerichteten Wohnung.
ERC Ingolstadt aktuell:
Mit dem Gastspiel am Freitagabend (18.30 Uhr) bei RedBull München schließt der ERC Ingolstadt seinen ersten von insgesamt vier Durchgängen in der Süd-Gruppe der DEL-Saison 2020/2021 ab. Aus den ersten fünf Begegnungen gegen Schwenningen (1:2), Nürnberg (4:1), Augsburg (5:1), Straubing (1:3) und zuletzt Mannheim (2:3 nach Penaltyschießen) holten die Panther sieben von 15 möglichen Punkten und rangieren damit im Klassement auf Position vier.
Speziell den Aufeinandertreffen mit den letztjährigen „Top Drei“ der Hauptrunde (Mannheim, München und Straubing) räumte ERCI-Angreifer Tim Wohlgemuth im Vorfeld einen hohen Stellenwert ein. „Nach diesen Partien haben wir gegen jeden Kontrahenten einmal gespielt und wissen dann, wo wir leistungsmäßig derzeit stehen“, so Wohlgemuth.
Im Match gegen den Titelträger der Jahre 2016, 2017 und 2018 müssen die Schanzer jedoch auf Center Louis-Marc Aubry verzichten. Der Kanadier bekam im vergangenen Heimspiel gegen Mannheim bereits nach 23 Sekunden den Puck ins Gesicht und musste vorzeitig in die Kabine, wo er an der Oberlippe mit mehreren Stichen genäht wurde. Seinen Platz wird die jüngste Neuverpflichtung der Panther, Ryan Kuffner, einnehmen. „Ryan hat bereits viel Erfahrung und ist ein echter Torjäger, der uns mit Sicherheit weiterhelfen wird“, lobt Headcoach Doug Shedden den 24-jährigen Außenstürmer. Anstelle von Aubry wird Mirko Höfflin die Position des Mittelstürmers besetzen. Ebvenfalls nicht zur Verfügung steht aller Voraussicht nach der angeschlagene Wojciech Stachowiak. Ob Michael Garteig oder Nico Daws das Tor hüten wird, wollte Shedden indes nicht verraten. (disi)
Die Diskussion ist geschlossen.