ERC Ingolstadt: Einmal um die Welt

Oftmals kann man bei Menschen, wenn man sie etwas länger und intensiver beobachtet, durchaus erkennen, ob sie mit sich, ihrem Leben und ihrer Arbeit zufrieden sind. In diese Kategorie lässt sich Andre Kreidler wohl bedenkenlos einordnen. Wer den 33-Jährigen beim Tennis-Turnier in Miami/USA einmal genauer unter die Lupe nimmt, kommt zumindest zu diesem Schluss. Egal, wo sich Kreidler in diesen Tagen auch aufhält – sei es während des Trainings auf dem Tennisplatz, während eines Spiels in der Coaching-Box oder auch bei der Behandlung mit seiner Spielerin: Die Freude an seiner Aufgabe ist ihm deutlich anzumerken. „Ich würde schon sagen, dass ich derzeit meinen absoluten Traumjob ausübe“, sagt der gebürtige Berliner, der in Oberbayern alles andere als ein Unbekannter ist. Von 2005 bis 2011 war er als Physiotherapeut für die geschundenen und beanspruchten Muskeln, Sehnen und Knochen der Eishockey-Profis des ERC Ingolstadt zuständig. Eine Zeit, an die Kreidler gerne zurückdenkt: „Ich hatte in diesen sechs Jahren sehr viel Spaß mit den Jungs und habe dabei natürlich auch eine ganze Menge gelernt.“ Oder anders ausgedrückt: wichtige Erfahrungen, von denen er bei seiner jetzigen Tätigkeit profitiere. „Man kann sicherlich sagen, dass ich ohne die langjährige Aufgabe beim ERC heute nicht dort wäre, wo ich jetzt bin“, so Kreidler.

Während ihn seine früheren Dienstreisen mit den Panthern nach Nürnberg, Köln, Krefeld oder Iserlohn führten, heißen seine Ziele mittlerweile Melbourne, Paris, New York, Wimbledon, Rom, Indian Wells oder eben Miami. „Was gibt es Schöneres, als durch die Welt zu reisen, verschiedene Länder, Städte und Kulturen kennenzulernen und damit auch noch seinen Lebensunterhalt zu verdienen?“, berichtet der „Glückspilz“ – zumal sich sein Tätigkeitsfeld, im Vergleich zum Eishockey, drastisch verändert hat. Musste er sich einst um das körperliche Befinden von über 20 Profis kümmern, so liegt sein Fokus mittlerweile auf einer einzigen Spielerin!

Und diese ist nicht etwa in den Niederrungen der WTA-Weltrangliste zu finden. Es ist vielmehr die seit knapp zwei Jahren beste und erfolgreichste deutsche Tennisspielerin: Angelique Kerber, aktuelle Nummer sieben der Welt! Eine Zusammenarbeit, die nun offiziell seit Sommer 2013 (zuvor betreute er rund zwei Jahre die Weltklasse-Akteure Mikhail Youzhny, Janko Tipsarevic und Sergiy Stakhovsky) läuft – und von der beide Seiten enorm profitieren. „Ich kenne den Andre ja schon etwas länger von der Tour. Es ist einfach ein sehr gutes Gefühl, wenn man nach einem harten Match oder Training weiß, dass jemand für dich da ist, der sich so lange Zeit nimmt, wie du ihn eben brauchst“, nennt die 26-Jährige die Vorzüge eines eigenen Physiotherapeuten. „Gerade wenn du in der Weltspitze bist, kommt es auf viele kleine Details an. Und dein Körper ist nun einfach mal dein Kapital als Profi“, so Kerber weiter.

Besonders wichtig für ein gutes und erfolgreiches Miteinander sei laut Kreidler, dass es insbesondere auf der „zwischenmenschlichen Ebene“ stimme. Zumal der Physiotherapeut im Profisport auch den Ruf des „Seelenklempner“ innehat. „Ohne ein gewisses Vertrauensverhältnis hätte das Ganze mit Sicherheit keine Zukunft. Vertrauen ist der absolute Schlüssel.“ Etwaige Geheimnisse möchte er daher über seinen Tennis-Star nicht verraten: „Man kann aber sicherlich sagen, dass sie eine sehr ruhige, unkomplizierte und vor allem bodenständige Persönlichkeit ist. Und genau das zeichnet sie auch aus.“

Wie lange Kreidler seinen Traumjob noch ausüben möchte, könne er zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen: „Momentan macht mir diese Aufgabe riesigen Spaß. Auch fiebere ich bei jedem Match von Angie ungemein mit. Doch sollte irgendwann der Moment kommen, dass ich zum Flughafen fahre und das Ganze nur noch als lästige Pflicht und Belastung empfinde, dann würde ich mit Sicherheit einen Schlussstrich ziehen.“

Doch so weit ist es freilich noch längst nicht. Daher werden sämtliche Kontinente künftig auch weiterhin auf dem Dienstreiseplan von Andre Kreidler stehen – übrigens ebenso wie Crimmitschau und Weißwasser, wohin es den Berliner Anfang April zieht. Allerdings nicht mit dem Tennis-Zirkus, sondern quasi zurück zu den Wurzeln: zum Eishockey! „Ich werde die erste Vorbereitungswoche der deutschen Nationalmannschaft auf die Weltmeisterschaft in Weißrussland mit den beiden Testspielen gegen Frankreich mitmachen und begleiten“, verrät Kreidler, der sich darauf bereits enorm freut: „Es ist schließlich immer wieder schön, alte Gesichter zu sehen und zu treffen. Von dem her habe ich dem Deutschen Eishockey-Bund nach Rücksprache mit Angelique Kerber sehr gerne zugesagt.“

Den Kontakt zu seinem Ex-Klub ERC Ingolstadt hat der „Physio“ bis heute freilich nicht verloren. Vor allem mit Betreuer Michael Klattenbacher sowie Stürmer Thomas Greilinger schreibt oder telefoniert Kreidler immer noch regelmäßig – und leidet dabei, trotz großer räumlicher Distanz, speziell mit Letzterem: „Ich war regelrecht entsetzt und erschrocken, wie Teile der ‚Fans’ zuletzt mit Thomas und seiner Familie umgegangen sind. Diese Leute sollten sich mal ins Gedächtnis rufen, was er in den vergangenen Jahren alles für den Verein geleistet hat. Über ein solches Verhalten kann ich daher nur den Kopf schütteln.“ Um so mehr habe er sich deshalb über Greilingers starke Auftritte in den Play-off-Serie gegen Krefeld gefreut: „Natürlich verfolge ich die Partien des ERC, so gut ich kann. Dass der Greile dabei wieder einmal seine Kritiker Lügen straft und zur Hochform aufläuft, freut mich zwar, überrascht mich allerdings nicht. Er ist nach wie vor ein deutscher Ausnahmestürmer.“