Herr Schäfer, was verbinden Sie mit den Blauen Bergen?
Winfried Schäfer: Das ist ein exzellenter Kaffee! Der Blue Mountains Coffee war der beste, den ich in meinem Leben jemals getrunken habe. Das war während meiner Zeit als Nationaltrainer von Jamaika. Das war eine tolle Zeit. Wir haben auf einer Trainingsanlage mit Usain Bolt, dem schnellsten Mann der Welt, trainiert. Wir waren als Team erfolgreich, haben die USA mit Klinsmann als Nationaltrainer geschlagen und sind ins Finale des Gold Cups (Anm. d. Red.: Mittelamerika-Meisterschaft) eingezogen.
Dieser Kaffee ist eine der Erfahrungen, die Sie in Ihrer Zeit als Fußball-Weltenbummler gemacht haben. Sie haben die Nationalteams aus Jamaika, Thailand und Kamerun trainiert. In Deutschland sind Sie vor allem als Trainer des KSC bekannt. Wie sehen Sie sich eigentlich?
Schäfer: Ganz ehrlich: Ich hätte niemals erwartet, dass meine Karriere diesen Weg einschlägt. Ich komme aus der Eifel, bin total heimatverbunden und ein Kind der Bundesliga. Aber der Schritt ins Ausland war nötig, weil durch zwei verrückte Stationen beim VfB Stuttgart und bei Tennis Borussia Berlin mein Ruf in Deutschland völlig ramponiert war. Danach gab es von hier keine Angebote mehr. Ich habe dann den Job als Nationaltrainer Kameruns angenommen, ab da führte eins zum anderen.
In die Zeit als Nationaltrainer Kameruns fiel eine der verrücktesten Episoden ihrer eben erschienenen Biografie „Wildpark, Scheichs und Voodoo-Zauber“. Vor dem Halbfinale im Afrika Cup 2002 wurde ihr Torwarttrainer auf dem Spielfeld wegen vermeintlicher Voodoo-Zauberei von der Polizei festgenommen.
Schäfer: Das ist eine völlig irre Geschichte. Vor Anpfiff unseres Spiels haben mein Torwarttrainer und ich uns auf dem Platz das andere Halbfinale angesehen, das auf der Leinwand im Stadion gezeigt wurde. Auf einmal kamen Polizisten auf uns zu, sind auf meinen Kollegen gestürzt und haben ihn zu Boden gedrückt. Ich habe sie angebrüllt, mich nicht anzufassen. Und auf einmal kam ein Polizist, der einen Büschel Gras in der Hand hielt, den wir angeblich verzaubert hätten. Mein Torwarttrainer musste sich bis auf die Unterhose ausziehen, ihm wurden Handschellen angelegt. Das Publikum in Mali – wir haben gegen den Gastgeber gespielt – hat gejohlt. Ich bin daraufhin in unsere Kabine gegangen und habe unserem Generalsekretär gesagt, er soll auf ein Plakat schreiben: „Mali hat die Ehre Kameruns mit Füßen getreten.“ Damit sind wir dann auf den Platz gegangen.
Das Spiel gegen Mali haben Sie dann 3:0 gewonnen, genau wie den Afrika-Cup.
Schäfer: Im Grunde hat uns Mali einen Gefallen getan. Meine Mannschaft ist mit einer derartigen Wut ins Spiel gegangen, einer Geschlossenheit, wie ich es selten erlebt habe. Mali hatte keine Chance. Im Finale gegen Senegal hatten wir auch ein bisschen Glück, weil das Spiel im Elfmeterschießen entschieden wurde. Aber das gehört dazu.
Zugleich haben Sie mit Kamerun die wohl schwärzeste Stunde ihrer Trainerkarriere erlebt. Ihr Spiele Marc-Vivien Foe brach beim Confederations Cup 2003 auf dem Platz zusammen und starb.
Schäfer: Diese Geschichte hat uns das Herz gebrochen. Marc war unser bester Spieler, ein Vorbild in jeder Hinsicht, unser heimlicher Kapitän. Im Halbfinale gegen Kolumbien stand er auf dem Platz. Zuvor hatten wir ihn geschont, weil er sich nicht gut fühlte und auch einige Tage im Bett lag. Während des Spiel habe ich auch immer wieder gefragt, ob es ihm gut geht – und er hat mir mit dem Daumen nach oben signalisiert, dass alles gut sei. In einer Szene verlor er dann den Ball, lief etwa zehn Meter nach hinten und klappte zusammen. Auf dem Feld haben die wenigsten das bemerkt. Schnell herrschte große Aufruhr, Marc wurde mit einer Trage vom Feld gebracht. Ich habe ihn noch mit der Hand über die Wange gestrichen. Ich wollte ihm damit sagen: Wird schon wieder. Später habe ich erfahren: Zu dem Zeitpunkt war er bereits tot.
Später wurde festgestellt, dass Foé eine erblich bedingte Vorerkrankung des Herzmuskels hatte. Ein Herzstillstand führte zum Tod.
Schäfer: Es gab keinen Defibrillator am Spielfeldrand, wie es heute oft der Fall ist. Nachdem wir das Spiel gewonnen hatten, sind meine Spieler feiernd in die Kabine gegangen. Ich habe ihnen gesagt: „Jungs, macht mal noch langsam – wir warten auf Marc. Und wenn er da ist, geht die Post erst richtig ab.“ Als ich in die Kabine ging, in die Marc gebracht wurde, sah ich, wie seine Frau und seine Mutter sich über ihn gebeugt hatten und weinten. Dieses Bild werde ich niemals vergessen, solange ich lebe. Und vor der Kabine spielte Marcs Sohn, er war damals etwa zehn Jahre, Fußball mit einem der Schiedsrichter. Unbedarft, er wusste noch nicht, dass sein Vater tot ist. Das hat mir, aber auch allen anderen aus dem Team damals das Herz zerrissen. Es war ein Schock für den gesamten Fußball.
Zugleich stand wenige Tage später das Finale des Confederation Cups gegen Gastgeber Frankreich an. Nach so einem Vorfall zu spielen, war doch Wahnsinn.
Schäfer: Die Fifa hatte uns die Wahl gelassen. Wir haben Marcs Frau gefragt, ob wir spielen sollten. Sie sagte: Marc hätte es so gewollt. Und auch die Mehrheit meiner Spieler wollte auf den Platz. Im Nachhinein ist man immer schlauer. Auch unsere Finalgegner, die Franzosen, waren völlig fertig. Marc hatte lange für Lens und Lyon gespielt, die kannten ihn ja auch. Unsere 0:1-Niederlage war an diesem Tag nur eine Randnotiz.
Eine andere Station war Thailand, wo Sie als Nationaltrainer arbeiten. In dieser Zeit flogen ihnen die Herzen zu. Es gibt ein Video, in dem eine Schulklasse ein Loblied auf ihren Namen singt, in der Mitte des Klassenzimmers war ein Bild von Ihnen platziert. Was war denn da los?
Schäfer: Der Präsident des thailändischen Verbandes hatte sich bei mir gemeldet. Er kannte mich noch, weil er uns 2002 bei der Anreise zur WM nach Japan das Geld geliehen hatte, damit wir unser Flugzeug betanken konnten. In Thailand, das in fußballerischer Hinsicht ein Zwerg ist, haben wir versucht, alle Vereine einzubeziehen, auf die Jugend gesetzt und waren durchaus erfolgreich. Das war umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass wir verheerend schlechte Trainingsplätze haben.
Zugleich wäre ein Qualifikationsspiel im Oman beinahe mal ausgefallen, weil der Verband die Reisepässe von zehn Spielern vergessen hatte.
Schäfer: Am Flughafen ist mein Assistent immer nervöser geworden. Dann ist er zu mir gekommen und hat mir gebeichtet, dass zehn Reisepässe noch in der Verbandszentrale schlummern. Ich habe dann meinen Fahrer angewiesen, dorthin zu rasen. Das hat er getan – und stand dann dort vor verschlossenen Türen. Die zehn Spieler sind dann erst am nächsten Tag geflogen und waren völlig übermüdet. Danach wollte ich hinschmeißen. Der Präsident des Verbandes hat mich bekniet, noch etwas zu bleiben.
In Aserbaidschan, beim FC Baku, hatten Sie mit der Besitzerfamilie Mammadov zu tun. Das war auch speziell.
Schäfer: Hafiz Mammadov ist ein Geschäftsmann, der sein Geld mit Ölbohrungen gemacht hat. Er war einer der reichsten Männer des Landes, aber mit ihm war die Zusammenarbeit gut. Das Problem war seine Familie, die sich immer in die Geschäfte einmischte. Sein Bruder war unser Sportdirektor und hatte es zum Beispiel übersehen, dass unser neuer Stürmer in einem Spiel nicht eingesetzt hätte werden dürfen. Über Mammadovs Sohn gibt es eine Geschichte, als er in einem Hotel im Kaukasus übernachtete. Im Restaurant sagte er den Angestellten, dass er Lust auf ein Bärensteak hatte und deutete auf einen Bären, der vor dem Haus angebunden war. Die Beteuerungen der Angestellten, dass der Bär nicht zum Essen gedacht ist, waren ihm egal. Am Ende hat er sein Bärensteak bekommen. Als wir mit dem Verein später mal in dem Hotel waren, haben mir die Bediensteten diese Geschichte bestätigt.
Würden Sie eigentlich gerne nochmal in Deutschland trainieren?
Schäfer: Na klar. Die Bundesliga ist das Höchste der Gefühle. Aber wie gesagt: Nach den Stationen in Stuttgart und bei TeBe Berlin hat sie nie wieder jemand bei mir gemeldet.
Schmerzt Sie das immer noch?
Schäfer: Na klar. Vor allem, weil die Bedenken doch nicht rational nachvollziehbar sind: Der ist zu alt, der war zu lange weg von der Bundesliga, der kennt die Bundesliga nicht mehr. Nichts könnte falscher sein. Ich hätte wohl einen Agenten zu dieser Zeit gebraucht, das war ein Fehler. Aber ich habe jetzt einen Lebensweg eingeschlagen, mit dem ich auch sehr glücklich bin.
Beim KSC haben Sie Talente wie Kahn, Sternkopf, Scholl entwickelt. Das Ende hat Sie verletzt, die Freundschaft mit Präsident Roland Schmider ging zu Bruch. Sind Sie mittlerweile wieder versöhnt mit dem Verein?
Schäfer: Roland Schmider habe ich noch einmal getroffen, bei einem Spiel. Aber das Ende damals war einfach sehr bitter. Wir waren damals nach großen Erfolgen in Abstiegsnot und ich sollte mich erklären. Das hat den Entscheidern um Schmider damals nicht gereicht. Ich habe ihnen daraufhin gesagt: Wenn ihr mich entlässt, habe ich bald einen neuen Job – aber ihr steigt ab in die 3. Liga. Genau das ist passiert. Den KSC verfolge ich immer noch intensiv und hoffe, dass sie den Aufstieg schaffen.
Dabei gab es ja während ihrer KSC-Zeit sogar ein Angebot des FC Bayern. Uli Hoeneß hatte sie angerufen. Bereuen Sie, das Angebot ausgeschlagen zu haben?
Schäfer: Ja, sicher! (lacht) So dumm muss man erst mal sein, ein Angebot des FC Bayern auszuschlagen. Hoeneß hat damals angerufen und ich dachte, er will mal wieder einen Spieler haben. Ich habe gefragt: „Wer soll'‘ diesmal sein?“ Zwischenzeitlich habe ich ja gesagt, der FC Bayern war eigentlich der FC Baden München, so viele Spieler von uns gingen immer den Weg nach München. Doch Hoeneß wollte, dass ich komme. Aber der KSC war damals mein Verein. Hoeneß war damals auf der Suche nach einem Nachfolger für Otto Rehhagel. Am Ende ist dann Giovanni Trapattoni zurückgekehrt.
Seit Ende Januar sind Sie Technischer Direktor bei Ghana - das nächste Abenteuer. Warum können Sie nicht loslassen?
Schäfer: Ich liebe den Fußball! Ich liebe es, junge Menschen zu fördern, Mannschaften aufzubauen und auf dem Feld zu stehen. In Ghana ist es das erste Mal kein Trainerposten, ich unterstütze Nationaltrainer Otto Addo. Das Team ist in keiner guten Phase, aber wir kriegen das wieder gebacken.
Haben Sie sich ein Renteneintrittsalter gesetzt?
Schäfer: Nein! Mir geht es wunderbar, ich habe eine neue Hüfte und bin im Kopf fit, das ist das Wichtigste. Und der Job macht mir Spaß. Warum sollte ich dann aufhören?
Zur Person:
Winfried Schäfer, 75 Jahre alt, kam als Spieler für Mönchengladbach, Offenbach und Karlsruhe auf 404 Bundesliga-Spiele. Als Trainer arbeitete er beim Karlsruher SC (1986-1998, für den VfB Stuttgart, TeBe Berlin, als Nationaltrainer Kameruns, Jamaikas, Thailands und betreute Vereine in Aserbaidschan, Dubai, dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Im Edel-Verlag ist seine Biografie „Wildpark, Scheichs und Voodoo-Zauber“ (256 Seiten, 22 Euro) erschienen.
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