Und wieder feiern die anderen
Die Augsburger leisten auch in Hamburg mit dem 2:3 Aufbauhilfe für ein „Kellerkind“. Der Kampf um Europa und der gegen den Abstieg ist damit noch spannender geworden.
Günter Lüderitz begegnet dem hanseatischen Trauerspiel mit Humor. „Was ist der Unterschied zwischen dem Hamburger SV und Karstadt? Beide sind pleite, nur Karstadt hat die bessere Sportabteilung“, scherzt der Taxifahrer, kurz bevor er vor der Imtech-Arena hält. Der 68-jährige Hamburger entspricht mit seinem schlohweißen, ungepflegten Vollbart fast allen gängigen Taxler-Klischees. Er ist jahrzehntelang als Maschinist zur See gefahren, ehe er vor vier Jahren endgültig an Land ging. Er kennt die Schleichwege zur Imtech-Arena, zur Heimstatt des HSV, im Schlaf. Doch ein Detail passt nicht. Er trägt eine St.-Pauli-Kappe mit dem berühmten Totenkopf. Der abstiegsbedrohte Zweitligist ist seine Liebe.
In Hamburg muss man, egal für welchen Verein man fiebert, derzeit leidensfähig sein. „Fußballstadt Hamburg“, sagt er ironisch. Trotzdem, dem verhassten Stadtrivalen wünscht er die Pest an den Hals. Wenn, dann sollen beide Klubs untergehen. Sein Auftrag an den FC Augsburg: „Die drei Punkte müsst ihr mit nach Bayern nehmen.“
Seinen Wunsch erfüllten die Augsburger Profis am Samstag nicht. Sie standen sich bei der 2:3-Niederlage selbst im Weg. „Sie ist völlig unnötig. Wir bekommen gleich zwei Gegentore, die wir nicht bekommen dürfen. Nach dem 2:2 sind wir wieder drin im Spiel, und dann schaffen wir es in einer Minute, es wieder aus der Hand zu geben“, FCA-Trainer Markus Weinzierl war nach dem Schlusspfiff fassungslos. Auch Manager Stefan Reuter wirkte angesichts des anfängerhaften Verhaltens seines Teams in den Schlüsselszenen ratlos. „Es ist wirklich unerklärlich, wie du solche Tore in der Anfangsphase hinnimmst. Das ist ein absoluter Witz.“
Dabei hatte der FCA gut begonnen, doch innerhalb von wenigen Minuten hauchte er einem völlig verunsicherten Gegner und dessen verzweifelte Anhänger wieder Leben ein. Zum Verständnis: Der HSV war nach fünf Niederlagen in Folge Letzter und hatte 585 Minuten kein Tor erzielt. Die Stimmung war also im Keller. Bis der FCA kam.
In der elften Minute ließ Halil Altintop nach einen Einwurf (wieder einmal) Heiko Westermann unbedrängt den Ball nach innen spielen, Ivica Olic lenkte den Schuss von Zoltan Schieber ins Tor ab (11.). Nur acht Minuten später durfte Ex-FCA-Spieler Matthias Ostrzolek völlig frei flanken, in der Mitte waren sich Ragnar Klavan und Abdul Rahman Baba nicht einig, wer Pierre-Michel Lassoga decken sollte. Der köpfte zum 2:0 (19.) ein.
Die HSV-Fans tobten, der schlechteste Sturm der Liga hatte wieder Selbstvertrauen getankt. Was man den Gästen zugutehalten durfte: Sie wehrten sich. Raúl Bobadilla (39.) mit Tor Nummer neun und Tobias Werner (69.) mit seinem Treffer Nummer acht glichen aus. Die rund 2000 FCA-Fans unter den 51 000 Zuschauern jubelten. Doch mit dem direkten Gegenzug sorgte Lassoga in die Augsburger Freude hinein mit dem 3:2 (71.) für die Entscheidung. Wieder hatten Klavan und Baba nicht aufgepasst. „Du erzwingst das 2:2 und kriegst im Gegenzug das 3:2 – unvorstellbar. Mit dem 3:2 haben sie bei uns den Stecker herausgezogen“, zürnte Stefan Reuter. Nach drei Blackouts war der Strom weg, beim FCA die Lichter aus. Die nicht ganz ausverkaufte Imtech-Arena bebte.
Wieder waren die Augsburger ihrem Ruf als Auswärts-Aufbaugegner für am Boden liegende Krisenklubs (Niederlagen in Bremen, Berlin, Freiburg und Paderborn) gerecht geworden. Sie sorgen mit ihrer unerklärlichen Schwäche für Kellerkinder nicht nur im Abstiegskampf für Spannung. Auch das Rennen um die Plätze in der Europa League ist weiter offen. Der FCA tritt auf der Stelle, Hoffenheim, Dortmund und Bremen rücken näher.
Solche Nöte hätte HSV-Trainer Bruno Labbadia gerne. Der sieht sich auf seiner Rettungs-Mission auf einem guten Weg: „Wir haben mit dem Sieg Glauben und Hoffnung wieder zurückgeholt in den ganzen Klub, in die ganze Stadt.“
In die ganze Stadt? Nein. Oder, Herr Lüderitz?
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