Letztlich landet man beim FC Bayern München schnell beim großen Ganzen. In den vergangenen Jahren ließ sich vieles schwer ertragen, das Selbstverständnis war dem Klub abhandengekommen. Mia san mia – und mia holn Titel. Davon war nichts geblieben. Nicht einmal mehr die Meisterschale wanderte gen München. Geschweige denn der DFB-Pokal, der meist nur als Beiwerk größerer Triumphe diente, nach fünf Jahren vorzeitigen Endes aber mit Handkuss genommen würde. Hauptsache, es lässt sich Silberware in die Vitrine stellen.
Im Aktionismus, schnellstmöglich zurück in die Erfolgsspur zu finden, kam manch personelle Entscheidung fragwürdig, teils mit klamaukigen Zügen daher. Zur Erinnerung: Thomas Tuchel sollte gehen, wollte dann aber nicht mehr bleiben. Ralf Rangnick, Xabi Alonso oder Julian Nagelsmann – keiner wollte zu den Bayern, weil das Kompetenzgerangel mit der Führungsriege um Bayern-Patron Hoeneß abschreckte. Vincent Kompany war nie erste Wahl. Mit dem FC Burnley war der Belgier in die englische Premier League aufgestiegen, jedoch postwendend wieder aus der Liga abgestiegen. Die Frage, ob er lieber einen englischen Zweitligisten oder ein europäisches Spitzenteam trainieren wolle, hatte der 39-Jährige schnell beantwortet.
Schmerzhafte Erinnerungen des FC Bayern ans Finale dahoam 2012
Wobei Kompany selbst beeinflussen kann, ob der FC Bayern zu Europas Top-Teams zählt. Daran bestehen nämlich seit geraumer Zeit Zweifel. In der Champions League sind die Münchner Stammgast unter den letzten acht Teilnehmern, einem Titel indes sind sie längere Zeit nicht mehr nahegekommen. Doch genau über den Pott mit den Elefantenohren definieren die Bayern größtmöglichen Erfolg. Jahrelang war das Double eingebongt, wirklich glücklich waren alle ausschließlich, wenn internationaler Erfolg hinzukam. Soviel zum bajuwarischen Selbstverständnis. Obendrein lockt in diesem Jahr ein weiteres Finale dahaom. Die schmerzhaften Erinnerungen an die erste Auflage 2012 werden den FC Bayern ein Vereinsleben lang begleiten, ließen sich jedoch durch den Titel im zweiten Anlauf lindern.
Kompanys Schultern sind breit genug, als dass er die Erwartungshaltung und den Druck aushalten kann. Gemeinhin hätten die Münchner in der Außendarstellung kaum einen besseren Trainer finden können, derart sympathisch wirkt er, derart respektvoll geht er mit Mitmenschen um. Probleme und Kritik lächelt und moderiert er weg – konträr zu Vorgänger Tuchel, der antidiplomatisch und angriffslustig auftrat. Klar ist aber auch: Harte Währung des Erfolgs sind Ergebnisse. Durch den späten 2:1-Siegtreffer von Inter Mailand ist die Ausgangslage für ein Weiterkommen des FC Bayern extrem schwierig. Die Auswärtstorregel ist abgeschafft. Aber die Münchner benötigen einen knappen Sieg, um im Rückspiel (Mittwoch, 21 Uhr/DAZN) wenigstens in die Verlängerung zu kommen und die Chance aufs Halbfinale zu wahren.
2001 nahm ein Abend im Mailander San Siro aus Münchner Sicht einen herrlichen Verlauf, mündend in einem Elfmeterschießen, einem 5:4 gegen den FC Valencia und den Königsklassentitel. Alles Vergangenheit, während die Gegenwart Fragen aufwirft, für die Kompany Antworten liefern muss. Die personelle Schwächung hat immense Ausmaße angenommen. Neben Unterschiedsspieler Jamal Musiala werden Torwart Manuel Neuer und die Verteidiger Dayot Upamecano, Alphonso Davies und Hiroki Ito verletzt fehlen.
Bayern-Ehrenpräsident Hoeneß: „Wir brauchen kein Wunder“
Hinzu kommt die Hypothek aus dem Hinspiel und ein äußerst unangenehmer Gegner, der die italienische Serie A anführt. Der Blick in die Statistik lässt sich unterschiedlich deuten: Nach einer Hinspiel-Heimniederlage sind die Bayern noch nie in die nächste Runde eingezogen, während Inter noch nie nach einem Hinspielsieg in der Champions League ausgeschieden ist. Aber: In der Champions League haben die Münchner stets bei Inter gewonnen (2006, 2011, 2022). Uli Hoeneß forderte bei seinem jüngsten Auftritt, man müsse „Wagenburgmentalität“ zeigen. Der 73-jährige Ehrenpräsident wehrte sich im BR allerdings gegen den Eindruck der Chancenlosigkeit. „Wir brauchen kein Wunder, sondern eine überragende Leistung.“
Ob der abgezockte Thomas Müller gegen die abgezockten Mailänder ein wirksames Mittel ist, diese Entscheidung obliegt Kompany. Im Hinspiel hatte er Raphael Guerreiro vorgezogen, Müller hingegen erzielte als Einwechselspieler den zwischenzeitlichen Ausgleich. Sollte Müller zum Einsatz kommen, würde er nach Einsätzen mit Lionel Messi (163) gleichziehen. Nur Christiano Ronaldo (183) und Iker Casillas (177) spielten öfter in der Champions League. Vor dem Spiel betont Müller: „Das Finale dahoam ist das, was wirklich zählt.“ Und beim FC Bayern natürlich auch immer das große Ganze.
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