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Fußball-EM 2024: Weltmeister-Trainer Herbert: "Ich mag Nagelsmanns Gelassenheit"

Fußball-EM 2024

Weltmeister-Trainer Herbert: "Ich mag Nagelsmanns Gelassenheit"

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    Fachgespräch (von links): Fußball-Bundestrainer Julian Nagelsmann, Basketball-Bundestrainer Gordon Herbert und DFB-Sportdirektor Rudi Völler unterhalten sich vor einem Training der Nationalelf Anfang Juni.
    Fachgespräch (von links): Fußball-Bundestrainer Julian Nagelsmann, Basketball-Bundestrainer Gordon Herbert und DFB-Sportdirektor Rudi Völler unterhalten sich vor einem Training der Nationalelf Anfang Juni. Foto: Christian Charisius

    Mr. Herbert, haben Sie das 1:1-Unentschieden der deutschen Mannschaft gegen die Schweiz gesehen?
    GORDON HERBERT: Ich bin in Finnland, da war es schon 22 Uhr, als das Spiel angepfiffen wurde. Natürlich habe ich es gesehen.

    Schauen Sie alle deutschen Spiele? Sie waren ja auch beim Eröffnungsspiel gegen Schottland im Stadion.
    HERBERT: Ja, ich bin wirklich ein großer Fußball-Fan geworden und schaue alle Spiele. Es ist auch für mich und meine Arbeit interessant.

    Aus einer psychologischen Perspektive: Ist ein Unentschieden in letzter Sekunde vielleicht für den weiteren Turnierverlauf sogar besser als ein einfacher 3:0-Sieg?
    HERBERT: Ich denke, es war ein gutes Spiel für Deutschland. Der Anfang gegen Schottland war vielleicht sogar zu einfach. Dieses Spiel gegen die Schweiz war gut, weil man es jetzt reflektieren kann, weil es Dinge zu verbessern gibt. Das hilft für die nächsten Schritte im Turnier.

    Die Mannschaft hat das späte Tor von Niclas Füllkrug mit allen Spielern gemeinsam gefeiert. So etwas wollen Trainer doch während eines Turniers sehen…
    HERBERT: Es sagt etwas über das Team aus, wie verbunden die Spieler miteinander sind, wie sie sich umeinander kümmern. Es ist eine große Gruppe, in der alle in eine Richtung gehen und sich ihr verschrieben haben. Für einen Trainer ist das das Wichtigste bei solch einem Turnier. Als ich das sah, habe ich eine Gänsehaut bekommen. Man konnte sehen, wie wichtig es ihnen war. Jeder war dabei, nicht nur die elf Spieler auf dem Platz, jeder. Für mich bedeutet so etwas eine Menge.

    Sprechen wir noch über Füllkrug: Er hat aktuell die Rolle als Ersatzspieler, seine Ambitionen könnten nach nun zwei Toren aber höher sein. Wie kontrolliert ein Trainer so etwas?
    HERBERT: Es geht darum, die Rollen bestmöglich zu managen. Julian Nagelsmanns Job ist es, ihm zu erklären, wie wichtig seine Rolle ist, und ihm zu erklären, dass, wenn er aufs Feld kommt, die Mannschaft nichts verliert, sondern vielleicht sogar stärker wird. Wenn er das hinbekommt, kann das eine echte Stärke der Mannschaft sein.

    Sie haben das Team in Herzogenaurach besucht. Julian Nagelsmann sagte, er sei inspiriert von Ihrer Idee der Führung und der Zusammenstellung einer Mannschaft, ihrer Hierarchie. Wie oft haben Sie miteinander gesprochen?
    HERBERT: Ich habe vor einigen Monaten auf einem Trainerkongress in Dortmund einen Vortrag gehalten. Das war spannend, weil ich danach auch mit einigen Trainern gesprochen habe, zum Beispiel Edin Terzic von Borussia Dortmund. Ich war traurig, dass er den Verein verlässt. Sie haben toll gespielt und hätten die Champions League gewinnen können. Auch mit Nagelsmann war es spannend, es war eine Ehre, dort zu sein. Es war eine neue Erfahrung für mich und es ist immer toll, mit anderen Coaches aus verschiedenen Bereichen zusammenzukommen. Wir können alle voneinander lernen.

    Wie groß war Ihr Einfluss auf ihn?
    HERBERT: Das ist schwer für mich zu sagen, wir haben über einige Dinge gesprochen. Es war jedenfalls eine tolle Erfahrung und ich lade ihn und sein Trainerteam auch herzlich ein, zu einer unserer Trainingseinheiten vor den Olympischen Spielen zu kommen, wenn er die EM hoffentlich gewonnen hat.

    Sprechen Sie mit ihm oder jemandem aus der Mannschaft während des Turniers?
    HERBERT: Ich bin hin und wieder in Kontakt mit Toni Kroos. Aber sie haben genug zu tun. Es ist wichtig für sie, sich auf das zu konzentrieren, was sie zu tun haben. Es gibt genug Ablenkungen, da brauchen sie mich nicht auch noch.

    Was genau steckt hinter Ihrem Ansatz? Könnten Sie ihn möglichst kurz erklären?
    HERBERT: Das ist natürlich sehr schwer. Wissen Sie, als ich anfing zu coachen, war ich keine gute Führungspersönlichkeit. Ich kann zwar nicht sagen, was ich jetzt für eine bin, aber ich weiß definitiv, dass ich damals nicht gut war. Ich war introvertiert, ruhig, habe mich schwergetan, Entscheidungen zu treffen und zu kommunizieren. Aber ich habe herausgefunden, dass es in mir ist. Ich musste nur einen Weg finden, es auch nach außen zu tragen. Daran musste ich arbeiten, vielleicht mehr als andere, die natürliche Anführer sind. Auf dieser Reise habe ich sechs Dinge herausgefunden, die mir dabei helfen zu führen.

    Welche sind das?
    HERBERT: Vielleicht kann man sie sogar auf drei begrenzen: eine Vision, Führung und Unterstützung. Eine Vision, wo es hingehen soll. Sie ist präzise und exakt. Führung bedeutet, andere zu stärken, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und psychologische Sicherheit zu kreieren. Unterstützung heißt: Sei da, wenn sie dich brauchen, helft euch untereinander. Sei da, um Dinge zu analysieren und besser zu werden. Akzeptiere Fehler, denn sie bringen dich voran. Es wird auf dem Weg immer Hürden oder Herausforderungen geben, aber man muss mit ihnen umgehen. Führung bedeutet aber noch viel mehr: Kommunikativ zu sein, empathisch, eine gute Atmosphäre zu kreieren. 

    Was erkennen Sie in der DFB-Elf wieder, was Ihre Mannschaft 2023 ausgezeichnet hat?
    HERBERT: Viele haben unser Weltmeister-Team aus dem letzten Jahr mit der Mannschaft von 2014 verglichen wegen der Art und Weise, wie sie als Team gespielt und gekämpft haben, ihre Resilienz und die Mentalität niemals aufzugeben. Beide Mannschaften haben es genossen, miteinander zu spielen. Ich sehe vieles davon auch in der aktuellen Mannschaft von Deutschland: Die Spieler sind fokussiert, voller Energie, haben eine tolle Körpersprache. Sie sind ein gutes Abbild ihres Trainers. Ich mag Nagelsmanns Gelassenheit, aber auch seine Energie am Spielfeldrand. Er kommuniziert immer mit seinen Spielern, was nicht so einfach ist, weil das Feld so groß ist. 

    Manche Dinge zwischen Fußball und Basketball sind sicher nicht zu transferieren, oder? Mehr Spieler, mehr Medien, mehr Druck…
    HERBERT: Ja, das ist so. Im Fußball musst du über 20 Spieler managen und nicht nur zwölf. Dazu jeden Tag die Medien und nicht nur jeden dritten. Es ist deutlich anders. Im Fußball ist das Team um den Trainer noch sehr viel wichtiger, weil sie viele Aufgaben übernehmen können und der Trainer sich auf das Coachen fokussieren kann. 

    Welche Spieler der deutschen Mannschaft begeistern Sie?
    HERBERT: Natürlich Toni Kroos. Er ist so etwas wie ein Quarterback wie im American Football. Er dirigiert das Spiel, kommuniziert und gibt seinen Mitspielern Anweisungen. Das war das Erste, was mir aufgefallen ist, als ich ihn spielen sah. Und die beiden Jungen sind aufregend, Musiala und Wirtz. Manu (Neuer), der Torwart, ist einer der besten der Welt. Auch die beiden Verteidiger (Jonathan Tah und Antonio Rüdiger) gefallen mir: Sie sind groß, physisch, sie verteidigen gut.

    Gibt es Spieler in der Mannschaft, die Sie an jemanden aus Ihrem Team erinnern?
    HERBERT: Wirtz und Musiala erinnern mich tatsächlich an Franz Wagner. Franz ist einer der besten Spieler auf der Welt in seinem Alter und die beiden sind auch auf dem Weg dorthin. Toni erinnert mich an Johannes Voigtmann, so wie sie kommunizieren und dirigieren. Sie sind tolle Teamspieler, die Dinge machen, die wichtig sind, um Spiele zu gewinnen. Und beide sind tolle Passspieler. 

    Was kann Deutschland bei der EM erreichen?
    HERBERT: Jetzt, wo man in die K.-o.-Phase kommt, muss man gut sein und ein bisschen Glück haben. Ich glaube, eine Medaille ist definitiv möglich und ich kann mir gut vorstellen, dass sie es ins Finale schaffen.

    Zur Person

    Gordon Herbert wurde am 16. Februar 1959 in Penticton (Kanada) geboren. Als Basketball-Profi verbrachte Herbert die meiste Zeit seiner Karriere in Finnland, wo er danach auch ins Trainergeschäft einstieg. 1991, noch während seiner Zeit als Profi, schloss er ein Hochschulstudium im Fach Sportpsychologie ab. Ab 1994 arbeitete er als Trainer in Finnland, Österreich, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Kanada und Russland. Der Job beim Deutschen Basketball-Bund (DBB, seit 2021) ist sein dritter als Nationalcoach. Mit dem DBB holte Herbert 2022 Bronze bei der EM und 2023 Gold bei der WM in Japan. Im Juli coacht Herbert die deutsche Mannschaft bei den Olympischen Spielen in Paris, bevor er das Amt danach abgibt. In seinem 2024 erschienenen Buch "Die Jungs gaben mir mein Leben zurück" berichtete Herbert, jahrelang unter Depressionen gelitten zu haben.

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