„Beim Siegtreffer bin ich explodiert“
Co-Trainer Andre Mijatovic ist gebürtiger Kroate. Das Halbfinale gegen England hat er sich alleine in seinem Hotelzimmer angeschaut. Wie er nun die Chancen im Endspiel gegen Frankreich einschätzt
Eigentlich gilt Andre Mijatovic als geselliger, lustiger und überaus redseliger Zeitgenosse. Doch auch beim Co-Trainer des Zweitligisten FC Ingolstadt gibt es die seltenen Momente, in denen er lieber alleine ist. Komplett abgeschottet von der Außenwelt, nicht ansprechbar für seine Spieler und sogar sein Trainer-Team. Am Mittwochabend ab 19.30 Uhr war so ein ungewöhnlicher Augenblick. Mijatovic zog sich auf sein Zimmer im Team-Hotel zurück, verriegelte die Türe und tat das, was unzählige Millionen Menschen auf diesem Planeten zur gleichen Zeit machten: Er setzte sich vor das TV-Gerät, um das zweite Halbfinal-Spiel bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland anzuschauen. So weit, so gut.
Doch für den 38-Jährigen war es nicht „irgendein“ Halbfinal-Match – es war schlichtweg das „Spiel der Spiele“ seiner Kroaten gegen England. Zur Erklärung: Mijatovic wurde einst in Rijeka geboren, wo er zwischen 1998 und 2003 mit dem Fußballspielen begann, ehe er schließlich zum kroatischen Top-Klub Dinamo Zagreb (bis 2005) wechselte.
„Nachdem es für mich schon eine ganz besondere Partie war, wollte ich diese in Ruhe beziehungsweise ohne Sprüche oder Provokationen anschauen“, berichtet Mijatovic mit einem schelmischen Grinsen. Ein Vorhaben, das bis zum 2:1-Siegtreffer der Kroaten durch Mario Mandzukic in der Verlängerung auch gut gelang. „Selbst bei unserem 1:1-Ausgleich durch Ivan Perisic war ich eigentlich noch recht ruhig. Doch als wir dann das zweite Tor geschossen haben, bin ich regelrecht explodiert“, gibt der ehemalige Innenverteidiger unumwunden zu.
Was der erstmalige Einzug in ein WM-Finale für ein kleines Land wie Kroatien bedeutet, lasse sich laut Mijatovic, der auch einen Tag nach diesem Krimi immer noch „wahnsinnig stolz“ auf seine Helden war, kaum in Worte fassen. „Man darf nicht vergessen, dass das Land Kroatien mit seinen rund vier Millionen Einwohnern ungefähr so groß wie die Stadt Berlin ist. Dass man nun im Endspiel einer Weltmeisterschaft steht, ist auch für mich ein unbeschreibliches Gefühl“, schwärmt Mijatovic und fügt hinzu: „Grundsätzlich bin ich immer stolz, ein Kroate zu sein – aber heute sogar noch etwas mehr (lacht).“
Wie es am Sonntag (17 Uhr) im Finale gegen Frankreich um sein Nervenkostüm bestellt sein wird, konnte der Assistent von FCI-Cheftrainer Stefan Leitl noch nicht sagen. Chancenlos sieht er seine Landsleute gegen Paul Pogba, Antoine Griezmann, Kylian Mappé & Co. allerdings (logischerweise) nicht. „Klar, wenn man nacheinander alle Akteure miteinander vergleicht, könnte man sicherlich sagen, dass die Franzosen hier und da einen kleinen Vorteil haben“, sagt Mijatovic, um jedoch im gleichen Atemzug zu relativieren: „In einem WM-Endspiel gibt es keinen Favoriten. Beide Teams, die das erreicht haben, stehen absolut verdient dort. Und in einer einzigen Begegnung kann ohnehin alles passieren.“
Aber könnte es sich für die Kroaten in Sachen Kraft nicht zum Nachteil werden, dass sie sowohl im Achtel- als auch Viertel- und Halbfinale jeweils in die Verlängerung mussten und somit insgesamt 90 Minuten mehr in den Knochen haben als die Franzosen? „Ehrlich gesagt hatte ich gegen England schon befürchtet, dass uns möglicherweise etwas die Kraft ausgehen könnte. Doch es hat geklappt“, so Mijatovic. Gerade der Kopf spiele diesbezüglich eine entscheidende Rolle. „Als wir gegen England früh in Rückstand gerieten, gab es in der zweiten Hälfte schon den einen oder anderen Moment, wo ich gezweifelt habe, ob wir das tatsächlich nochmals packen. Aber oftmals spielt dann ein kurzer, glücklicher Moment eine entscheidende Rolle und schreibt das Geschehen neu“. Wie eben nach dem 1:1-Ausgleichstreffer von Peresic in der 68. Minute. „Danach hat unser Team neues Selbstvertrauen gewonnen und hätte diese Partie eigentlich schon in der regulären Spielzeit entscheiden müssen“, meint Mijatovic.
Große Hoffnungen im Duell mit den Franzosen setzt er dabei vor allem auf das kongeniale Mittelfeld-Duo Luka Modric (Real Madrid) und Ivan Rakitic (Barcelona). „Diese beiden Jungs haben nicht nur reichlich Erfahrung, indem sie schon mehrere große Turniere gespielt haben. Zusammen bilden sie sicher eine der besten Mittelfeld-Achsen der Welt“, weiß Mijatovic.
Eine zumindest kleine Sorge hat der Ingolstädter Assistenzcoach aber doch. Wird der FCI-Tross am Sonntagnachmittag rechtzeitig vom Trainingslager in Reischach zurück in Oberbayern sein, damit er das Endspiel wieder ganz in Ruhe daheim anschauen kann? „Ich denke schon, dass wir genügend Puffer für die Heimfahrt eingeplant haben“, so Mijatovic – mit einem fragenden Blick in Richtung des ebenfalls anwesenden Pressesprechers Oliver Samwald. Sollte der Teambus tatsächlich im Stau stehen, dann „hätten wir zur Not auch TV-Geräte im Bus“. Und im Falle eines kroatischen WM-Erfolges würden sich dann auch die Sticheleien seiner zahlreichen Mitfahrer extrem in Grenzen halten.
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