Kein Alkohol und Gleichberechtigung: Wohin irrlichtern die Briten?
In der Downing Street soll nicht mehr gepichelt werden und Wimbledon bricht mit einer Tradition. Was ist nur los auf der Insel?
Wasser ist nass, nachts ist es dunkel, die Briten halten an ihren Traditionen fest. Gewissheiten geben dem Leben Sicherheit. Der gemeine Insulaner beharrt gleichwohl wie die gemeine Insulanerin auf lieb gewonnenen, auf dem Festland gönnerhaft belächelten Eigenheiten. Königshäuser gibt es auch in anderen Ländern Europas, aber nirgendwo sonst nimmt man sich mit derartigem humorigen Ernst der Angelegenheiten von Queen und Sippschaft an.
In der Downing Street 10 gibt es Alkohol jetzt nur noch bei offiziellen Anlässen
Weitere Gewissheiten: zechende Politiker, ein der Vergangenheit verpflichtetes Tennisturnier und der Sonnenbrand als Urlaubssouvenir. Nun ergibt es sich aber im Jahr 2022 des Herrn, dass das Vereinigte Königreich mit Gewissheiten einen ähnlich schnellen Prozess macht wie mit Boris Becker. Premierminister Boris Johnson erklärt Downing Street 10 zur alkoholbefreiten Zone, in der nur noch zu formellen Anlässen gepichelt werden darf. Ist nur zu hoffen, dass immer ein Despot für den Staatsbesuch zwischendurch zur Hand ist, wenn man Lust auf ein Gläschen hat.
In Wimbledon wiederum wollen die Veranstalter in den Listen einstiger Siegerinnen nicht mehr den Zusatz Fräulein oder Frau benutzen. Kein "Miss" beziehungsweise "Mrs." soll mehr vorangestellt werden. Noch dazu sollen verheiratete Spielerinnen ihren eigenen Namen anstelle des Namens ihres Ehemanns nutzen können. Wie Chris Evert beispielsweise, die mit John Lloyd verheiratet war und als Siegerin des Jahres 1981 bislang als „Mrs. J.M. Lloyd“ geführt wird.
Womöglich erlauben sie bald noch farbige Shirts in Wimbledon. Wenn ein Land derart nah an der Selbstaufgabe angekommen ist, ist es nicht mehr weit bis zu anderen Ungeheuerlichkeiten. Kaltes, spritziges Bier im Pub. Oder endlich die Einsicht, dass dieser goddam Ball 1966 eben ganz klar vor der Linie aufgehüpft ist. Wirkliche Sorge um die Britinnen und Briten ist aber wohl erst angezeigt, wenn nicht mehr Horden krebsroter Spirituosenvertilgungsmaschinen mallorquinische Strände säumen, sondern sich der vernünftige Umgang mit Sonnencreme durchgesetzt hat. Bis dahin: alles nur eine Modeerscheinung.
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