Seine Mutter, erzählte Jupp Heynckes unlängst im Gespräch mit dem Kicker, habe sich zu Kinderzeiten große Sorgen um ihn gemacht. Der kleine Josef, der einen Tag nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als neuntes von zehn Kindern auf die Welt gekommen war, hatte nur Fußball im Kopf. „Wenn mich etwas bedrückte, nahm ich mir den Ball. (...) Damit habe ich jongliert oder gegen die Hauswand geschossen, meine Mutter sagte: Was soll ut de Jong noch werden?“ Wenn besagter Jong am Freitag 80 Jahre alt wird, ist die Frage mehr als eindrücklich beantwortet worden, von Jupp Heynckes selbst. Kaum einer ist sowohl als Spieler als auch als Trainer so erfolgreich gewesen wie er: 482 Pflichtspiele als Spieler sowie 1164 Partien als Cheftrainer stehen in seiner Vita, zusammen mit jedem großen Titel, den der Weltfußball hergibt. Und doch gehört es zur Karriere von Heynckes, dass ihm erst spät die ganz große Anerkennung zuteil wurde.
Der Fußball-Olymp, so schien es als Spieler, schien für die Stars wie Günter Netzer oder Franz Beckenbauer reserviert – schillernde Persönlichkeiten, die auch abseits des Rasens eine Strahlkraft hatten. Heynckes schoss zwar für die Gladbacher Tore am Fließband – in der Geschichte der Bundesliga haben nur Gerd Müller (365 Tore), Robert Lewandowski (312) und Klaus Fischer (268) öfter getroffen als er (220) – die Lieblinge der Massen waren aber andere. „Zum Idol fehlen die Facetten“, schrieb der Stern einst. Eine Aussage, die aus heutiger Sicht umso erstaunlicher scheint, wenn man sich alleine die Torzahlen des Angreifers betrachtet. Zweimal holte er sich sogar den Titel des Torschützenkönigs, mit 30 und 28 Treffern. So einer würde heute mit einem Marktwert von rund 100 Millionen Euro gehandelt werden.

Uli Hoeneß über Jupp Heynckes: „Für dich gehe ich durch dick und dünn“
Auch als Trainer begleitete Heynckes der Vorwurf, zu spröde und langweilig zu sein. „Die Wetterkarte ist interessanter als ein Gespräch mit Jupp“, lästerte der mittlerweile verstorbene Trainer-Rivale Christoph Daum zur Hochzeit des Meister-Kampfes seines FC Köln mit den Bayern. Bei den Bayern, die er viermal trainierte, fand Heynckes aber jemanden, der ihn damals ebenso vehement verteidigte und der auch jetzt wieder sagte: „Für dich gehe ich durch dick und dünn.“ Uli Hoeneß schrieb das in einem Gastbeitrag für das Bayern-Klubmagazin 51 anlässlich des Geburtstags seines Freundes. Dass Heynckes, der als Spieler so eng mit den Gladbachern verbunden war, beim einst großen Konkurrenten aus München als Trainer seine große Zeit hatte, ist eine weitere Kuriosität der Karriere.

Tiefe Spuren, so Hoeneß, habe Heynckes bei den Münchnern hinterlassen – und das trotz großer Konkurrenz. „Wenn ich auf all die Trainer zurückblicke, die wir bei Bayern hatten, bist du derjenige, zu dem ich bei aller Wertschätzung für die anderen großen Persönlichkeiten wie Ottmar Hitzfeld, Pep Guardiola, Udo Lattek, Carlo Ancelotti oder Louis van Gaal emotional die tiefste Verbindung habe.“ Den Rausschmiss Heynckes‘ bei dessen erster Amtszeit im Oktober 1991 bezeichnete Hoeneß oft als „den größten Fehler meiner Karriere“.
Eine Episode mit Robert Enke zeigt die menschliche Seite von Jupp Heynckes
Tatsächlich: Heynckes und die Bayern – das passte. Vielleicht war gerade die Ernsthaftigkeit des in dieser Hinsicht so untypischen Rheinländers so ein wohltuender Gegenpol inmitten des chronisch aufgeregten Umfelds an der Säbener Straße. Heynckes kam 2009 zurück, als das Experiment mit Jürgen Klinsmann gescheitert war. Er kam zwei Jahre später nochmals, als der Verein nach der stürmischen Phase mit Louis van Gaal Beruhigung dringend nötig hatte. Und er machte 2017 einen Rückzieher vom Karriereende, nachdem Carlo Ancelotti die Kabine verloren hatte. Erfolg war immer da – und wie. 2013 holte Heynckes als erster Trainer einer deutschen Mannschaft das Triple aus Champions League, Meisterschaft und Pokal. Für ihn war es der zweite Erfolg in der Königsklasse nach dem Gewinn mit Real Madrid im Jahr 1998. Zwei Siege im wichtigsten Pokal, den der europäische Vereinsfußball zu bieten hat – das gelang bis heute nur fünf Trainern: Ernst Happel, Ottmar Hitzfeld, José Mourinho und Carlo Ancelotti und eben Heynckes.
Heynckes gilt als emsiger, seriöser Arbeiter – aber auch als jemand, der zu den Menschen vordringt. In der posthum erschienenen Biographie von Robert Enke wird beschrieben, wie der an Selbstzweifeln leidende Keeper nach seinem Wechsel zu Benfica Lissabon den Transfer kurz nach Unterschrift wieder rückgängig machen wollte. Heynckes, der Benfica 1999 trainierte, suchte das Gespräch, richtete Enke auf. Am Ende blieb Enke drei Jahre, am Ende als Kapitän. „Mit Jupp Heynckes verbinde ich die schönste Zeit meines Fussballerdaseins“, sagte der Torwart Jahre später. Ein Satz, den vielleicht auch Uli Hoeneß so unterschreiben könnte. Nur einen Gefallen tat ihm sein Freund nicht: 2018 blieb es beim Nein für eine weitere Saison bei den Bayern. Wohl besser so. Heynckes hatte im Dezember 2022 eine schwere Herzoperation, erhielt dabei mehrere Bypässe. Ein Fitnessprogramm hält ihn heute noch fit. Dennoch brauchen die Bayern sich wohl nur zu melden, um Geburtstagswünsche zu übermitteln.
„Zwei Siege im wichtigsten Pokal, den der europäische Vereinsfußball zu bieten hat – das gelang bis heute keinem anderen deutschen Coach.“ Ottmar Hitzfeld gewann diesen mit Borussia Dortmund 1997 und Bayern München 2001 und somit schon vor Jupp Heynckes 2 mal!
Vielen Dank für Ihren Hinweis. Sie haben natürlich recht. Freundliche Grüße
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