Laura Dahlmeier zu Olympia 2022: "Bin froh, nicht dabei zu sein"
Exklusiv Die zweifache Olympiasiegerin Laura Dahlmeier spricht über ihr Leben nach der Biathlon-Karriere, ihren Job als TV-Expertin – und über den Gedanken an ein Comeback.
Frau Dahlmeier, Sie studieren Sportwissenschaften an der Technischen Universität München. Was ist anstrengender: das Studentenleben oder das Sportlerleben?
Laura Dahlmeier: Für den Sportler gibt es nur einhundert Prozent, entweder Schalter an oder aus. Mir ist es anfangs im Studentenalltag etwas schwerer gefallen, dass man von früh bis spät am Abend beschäftigt ist. Es ist selten die eine Spitzenleistung gefordert, aber konstante Aufmerksamkeit.
Welchen Schwerpunkt verfolgen sie beim Studium, wo wollen Sie hin?
Dahlmeier: Da bin ich noch offen. Ich will den Bachelor-Abschluss, ich habe viele Teile in einem Puzzle, aber ich weiß noch nicht genau, wie das Bild am Ende aussehen wird.
Nebenbei machen Sie den Trainerschein im Biathlon, wie weit sind Sie?
Dahlmeier: Den C-Trainer habe ich noch in meiner aktiven Karriere gemacht. Jetzt habe ich den B-Trainer abgelegt. Das ergänzt sich gut mit meinem Studium, weil das schon sehr theorielastig ist. Aber die praktische Seite macht mir schon viel Spaß.
Können Sie sich die Biathlon-Bundestrainerin Dahlmeier vorstellen?
Dahlmeier: Eher nicht. Ich habe für mein Studium ein Praktikum beim Deutschen Skiverband machen dürfen, war auch bei einem Nachwuchscamp des Biathlon-Weltverbandes IBU dabei. Mal eine Woche dabei zu sein, hat mir viel Freude gemacht. Aber als Bundestrainerin wäre ich wieder das ganze Jahr genauso viel unterwegs wie als Sportlerin. Entweder macht man das hundertprozentig oder gar nicht. Das will ich nicht mehr. Ich finde es schön, nicht mehr so viel zu reisen und das ganze Jahr nicht auf den Biathlon-Kalender abstimmen zu müssen.
Wenn sie knapp drei Jahre zurückblicken: Wie schwer oder wie leicht ist ihnen der Rücktritt gefallen?
Dahlmeier: Als ich die Entscheidung getroffen habe, ist es mir sehr leicht gefallen. Die erste Weltcup-Saison dann am Fernseher zu erleben und eine passive Rolle zu haben, war dann doch nicht so leicht zu verdauen. Das habe ich akzeptieren müssen. Den Rücktritt erleichtert hat mir meine Rolle als TV-Expertin für das ZDF. Da war der Schnitt nicht ganz so krass. Ich würde die Entscheidung wieder so treffen, aber mein Herz schlägt noch immer für Biathlon. Sonst hätte ich es auch nicht so lange betrieben.
Als Studentin ist man an der Uni gefordert, aber es gibt auch Semesterferien. Haben sie ein paar Dinge nachgeholt, die im eng getakteten Jahreskalender eines Biathleten nicht möglich sind?
Dahlmeier: Auf jeden Fall. Im vergangenen Sommer war ich drei Wochen mit dem Bus in Chamonix und der Dauphine unterwegs. Ich habe das Handy ausgeschaltet und konnte von Tag zu Tag entscheiden, wo ich klettern gehe. In Biathlonzeiten habe ich im Juli und vielleicht im September eine Woche frei gehabt. Ansonsten wurde trainiert.
Haben Sie ein wenig Ihre Jugend nachgeholt?
Dahlmeier: Ja, schon. Gerade zu Anfang des Studiums geht man abends mit Freunden zum Essen, ins Kino oder aus. Das war fast wieder so wie in Schulzeiten.
Wann hatten Sie zuletzt ein Gewehr in der Hand und die Langlaufski an den Füßen?
Dahlmeier: Das Gewehr hatte ich in meinen Abschlussrennen in der Arena auf Schalke zuletzt in der Hand. Das System und den Lauf habe ich von meinem Arbeitgeber, dem Zoll, erhalten. Inzwischen habe ich es zurückgegeben. Ich habe auch keine Waffenbesitzkarte oder keinen europäischen Feuerwaffenpass mehr. Das Waffenrecht in Deutschland ist relativ streng. Der hölzerne Schaft steht etwas vernachlässigt im Keller. Ich brauche aber auch kein Gewehr mehr. Die Langlaufski sind mehrmals wöchentlich in Gebrauch. Erst gestern Abend habe ich sie gewachst.
Die Saison läuft auf Hochtouren, die Sportler bereiten sich auf den Abflug nach Peking vor. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie das: Wehmut, nicht mehr dabei zu sein? Oder: Gott sei Dank, das bräuchte ich jetzt nicht?
Dahlmeier: Die Vorfreude auf Olympische Spiele ist etwas Schönes, deshalb ist da schon etwas Wehmut dabei. Auf der anderen Seite, wenn ich verfolge, wie anspruchsvoll die Corona-Situation in Peking für die Athleten ist, dann bin ich froh, nicht dabei zu sein. Die größte Sorge der Sportler derzeit ist, sich nicht mit dem Virus anzustecken, um dann nicht ausgeschlossen zu werden. Den psychischen Druck, von äußeren Faktoren abhängig zu sein, stelle ich mir enorm vor. Es ist schwer, weil die Athleten nicht wissen, was auf sie zukommt. Wettkämpfe im Vorfeld sind ausgefallen, auch wegen Corona. Das ist eine anspruchsvolle Phase. Ich habe es mal mitgemacht und erfolgreich gemeistert. Aber ich bin froh, augenblicklich nicht in dieser Hochleistungsphase zu stecken.
Wie sind Ihnen Ihre letzten Olympischen Spiele in Pyeongchang in Erinnerung geblieben, mit zweimal Gold im Sprint und der Verfolgung sowie mit Bronze im Massenstart?
Dahlmeier: Die Rennen waren weit weg, und es war knackig kalt, unter minus 20 Grad, weil die Wettkämpfe alle am späten Abend stattgefunden haben. Die Stunden davor waren von Warten geprägt. Es war eine ständige Anspannung: Klappt alles? Aber vom Erfolg, der dann kam, habe ich auch wunderschöne Bilder im Kopf. Gerade die ersten drei Rennen sind genial für mich gelaufen. Die Momente werde ich nie vergessen. Bei den Staffeln habe ich mir mehr ausgemalt und erhofft. Dadurch habe ich beide Seiten erlebt: Am Anfang war alles perfekt – im zweiten Teil gab es einen Dämpfer, weil nicht alles aufgeht.
Sie sagten mal im Interview mit unserer Redaktion, Olympia sei ihr Kindheitstraum gewesen. War es traumhaft?
Dahlmeier: Sportlich habe ich mir den Traum zu 100 Prozent erfüllt, das bleibt positiv im Kopf. Dass ich die Leistungen geschafft habe, dass ich gefeiert habe und hochgelobt worden bin. Auf der anderen Seite sind die Gefühle gemischt. Es waren nicht die pompösen Spiele der Athleten und der Freundschaft gewesen, wie man sich das als Kind viel bunter ausmalt. Ich hatte es mir anders vorgestellt. Man war viel mit Warten beschäftigt, doch auch alleine, angespannt in einem Land, in dem ich mich nicht ausgekannt habe und nicht viel von der Kultur mitbekommen habe. Wir Athleten waren viel im olympischen Dorf, haben trainiert, gegessen, geschlafen und dann sind die Rennen gekommen. Vom olympischen Flair habe ich nicht viel wahrnehmen können.
Jetzt geht es wieder in ein asiatisches Land. Was glauben Sie, was die Sportler in Peking erwartet?
Dahlmeier: Von der sportlichen Seite wird alles tipptopp hergerichtet sein. Von den Wettkampfstätten bis zu den Unterkünften. Von der Stimmung, von der Olympia ja auch lebt, erhoffe ich mir nicht ganz so viel. Aber das ist auch Corona geschuldet. Für die Athleten werden die Beschränkungen bedeuten, dass sie viel Zeit mit sich selbst verbringen. Du läufst dein Rennen, gehst zurück ins Hotelzimmer und darfst dich nicht mal mit Kolleginnen oder den Skitechnikern freuen.
Sie waren als TV-Expertin im Einsatz, ist da wieder etwas geplant?
Dahlmeier: Ja. Ich werde im ZDF-Olympiastudio in Mainz während der Biathlon-Berichterstattung im Einsatz sein, werde die eine oder andere Analyse machen und meine Expertenmeinung einbringen. Die Technik macht es möglich, Spiele, die viele tausend Kilometer weit entfernt stattfinden, zu kommentieren. Vor Ort wird zudem ein Moderationsteam des ZDF sein.
War es schwierig für Sie, die ehemaligen Teamkolleginnen und -kollegen einzuschätzen und zu kritisieren?
Dahlmeier: Konstruktive Kritik zu üben und dann auch noch in der richtigen Wortwahl – das ist eine Herausforderung. Ich habe nur wenige Sekunden Zeit, meine Einschätzung auf den Punkt zu bringen. Und das live gleich nach dem Rennen, das ist nicht leicht. Aber es macht mir unheimlich viel Spaß, auch etwas von meinen Erfahrungen weitergeben zu können.
Hat man versucht, Ihren O-Ton Süd ein wenig ins Hochdeutsche zu glätten?
Dahlmeier: Anfangs habe ich Bedenken gehabt, ob ich meine Sprache mit meinem oberbayerischen Dialekt komplett umstellen muss. Ich habe den Verantwortlichen gleich klargemacht, dass ich mir da schwertun würde. Aber beim ZDF haben sie gesagt: Solange man mich gut versteht und keine Untertitel einblenden muss, ist es okay.
Sie sind erst 28 und damit im besten Alter für eine Biathletin. Haben Sie seit dem Rücktritt auch nur eine Sekunde lang über ein Comeback nachgedacht?
Dahlmeier: Ja, kurz. Ich habe im Jahr nach dem Rücktritt nur das gemacht, was ich wollte. Ich war viel beim Klettern, beim Bergsteigen, bin Skitouren gegangen oder war beim Langlaufen. Da habe ich mir gedacht, wäre ich noch fit? Wir wäre es, wenn sie mir ein Gewehr in die Hand drücken und ich noch einmal an den Start gehe? Es hat in den Fingern gejuckt, für ein Rennen hätte ich es noch mal wissen wollen. Aber wenn man den Gedanken zu Ende denkt, dann ist klar, dass es nicht bei einem Rennen bleibt. Ich will nicht mehr mein ganzes Leben auf den Biathlonsport ausrichten.
Zur Person: Laura Dahlmeier war vor ihrem Rücktritt vom aktiven Sport im Mai 2019 die erfolgreichste deutsche Biathletin. Zweimal Gold und Bronze holte die zierliche Frau aus Garmisch-Partenkirchen bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang. Mit fünf Weltmeistertiteln räumte die 28-Jährige bei den Wettkämpfen in Hochfilzen 2017 ab. Seit ihrem Abschied vom Schießstand studiert sie Sportwissenschaften an der Technischen Universität München und arbeitet als Biathlon-Expertin beim ZDF.
Die Diskussion ist geschlossen.