
Die Spanienrundfahrt ist zu einem internen Ausscheidungsrennen von Jumbo-Visma geworden. Noch nie war die Dominanz eines Teams so groß. Was bleibt, ist die Hoffnung auf Egoismus.
Wer die Vuelta ignoriert, hat den Radsport nie geliebt. So oder so ähnlich würde Rudi Völler es wohl sagen. Nun ist nicht überliefert, dass der Gerade-mal-wieder-Retter-des-deutschen-Fußballs den Pedaleuren in irgendeiner Form zugeneigt sei, noch dass er selbst sein dauergewelltes Haupthaar besonders gern unter einen Fahrradhelm quetschte. Doch inhaltlich hätte er (natürlich) recht. Die Spanienrundfahrt ist in der öffentlichen Wahrnehmung zwar die kleinste der drei großen Rundfahrten, bietet in diesem Jahr aber jede Menge Außergewöhnliches.
Drei Jumbo-Visma-Fahrer führen Vuelta-Gesamtwertung an
Eine kleine Übersicht: Gleich beim Auftaktzeitfahren hatten die Organisatoren den Sonnenuntergang falsch berechnet und schickten die letzten Fahrer in Dunkelheit auf die regennasse Strecke. Da deren komplettkarbonisierten Rennmaschinen nicht für den Einsatz von Stecklichtern konzipiert sind, gab es prompt mehrere Stürze. Gestürzt ist auch Radstar Remco Evenepoel. Nach seinem Sieg auf der dritten Etappe kollidierte er hinter der Ziellinie mit einer die Straße querenden Frau und zog sich eine Platzwunde am Kopf zu. Dazu kommen noch zwei Sabotageversuche, die die Polizei verhinderte. In einem Fall wollten vier Männer 400 Liter Öl auf die Fahrbahn kippen.
Ist also gerade eine Menge los in Spanien. Doch über allem steht, und hier sind wir im weitesten Sinne wieder beim deutschen Fußball und damit Rudi Völler, dass die FC-Bayernisierung des Radsports zügig voranschreitet. Kaum einer zweifelt noch ernsthaft daran, dass ein Fahrer aus dem niederländischen Team Jumbo-Visma die Spanienrundfahrt gewinnt. Gleich drei Profis dieses Rennstalls führen die Gesamtwertung an. Darunter sind mit Primoz Roglic und Jonas Vingegaard auch die diesjährigen Gesamtsieger des Giro d’Italia und der Tour de France. Dritter im Bunde ist ein US-Amerikaner mit dem wunderbaren Namen Sepp Kuss. Hinter dem Trio klafft eine mehrminütige Lücke. Noch nie hat im Straßenradsport ein Team alle drei Grand Tours gewonnen. Und auch einen Dreifachsieg gab es erst ein Mal, das war 1966.
Evenepoel: "Sie können es jetzt spielen wie auf der Playstation"
Man darf es also eine erdrückende Dominanz nennen, was da gerade passiert. Oder, wie es der in der Vuelta-Gesamtwertung weit abgeschlagene Titelverteidiger Evenepoel formuliert: "Sie können es jetzt spielen wie auf der Playstation." Es gab schon Vorwürfe, die unheimliche Siegesserie beruhe auf manipulierten Rädern, Motordoping also. Beweise dafür gibt es nicht.
Wie dem auch sei, allzu spannend ist das alles gerade nicht. Wer Spannung will, muss darauf hoffen, dass sich die drei Teamkollegen von Jumbo-Visma zumindest untereinander noch in die Wolle kriegen. Denn eines bleibt der Radsport: ein Einzelsport, in dem Egoismus noch selten von Nachteil war.
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