Friedliche Fans feiern vor dem Wiener Rathaus
Mehr als 70.000 Fußballfans haben den Platz vor dem Wiener Rathaus zur Partyzone gemacht. Gegenseitige Frotzeleien der Österreicher und der Deutschen gehören dazu, doch auch nach der Niederlage der Gastgeber bleibt es friedlich.
Wien (ddp-bay). Für ein paar Sekunden gleicht die Fanmeute vor dem Wiener Rathaus am Montagabend einer Kraterlandschaft. Eine rot-weiße Fläche mit zuckenden schwarz-rot-goldenen Vertiefungen. In den Kratern stehen gebückte Anhänger der deutschen Fußballnationalmannschaft, die sich humpelnd und mit gedämpfter Stimme über ihre Nachbarn lustig machen. "So gehen die Ösis, die Ösis gehen so", singen sie. Beim zweiten Vers "Und so gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so", springen sie schreiend nach oben und reißen Arme und Fahnen in die Luft.
Einer der Krater-Springer ist der 30 Jahre alte Martin aus Passau. Mit seinen sieben Kumpels hat er sich in der Fan Zone Wien bis in die erste Reihe vor die 70 Quadratmeter-Leinwand gekämpft. Dass sie auf ihrem Weg von einigen Österreich-Fans angepöbelt und rumgeschubst wurden, findet Martin nicht so schlimm. "Ein paar vereinzelte Blöde gibt es überall", sagt er. Die bayerischen Jungs fallen nicht nur wegen der Lederhosen und der schwarz-rot-goldenen Hüte auf. Um sie herum stehen lauter Österreicher.
Der 27 Jahre alte Philipp aus Wien hat sich extra für das "Bruderduell" Deutschland gegen Österreich frei genommen. Normalerweise kocht er für die VIPs im Ernst-Happel-Stadion, in dessen Katakomben Ballack & Co sich gerade auf das Spiel vorbereiten. "In der Fan Zone ist die Stimmung aber besser als im Stadion", sagt Philipp. Mit rot-weiß bemaltem Gesicht und einer Irokesen-Perücke steht er in eine Österreich-Fahne gewickelt da und wartet auf den Anpfiff. Wenn die Österreicher nicht gewinnen, ist die EM für sie zu Ende. Die Deutschen brauchen mindestens ein Unentschieden.
Die Fan Zone ist bereits vor Spielbeginn überfüllt. 72.000 Leute drängeln sich zwischen den Gitterzäunen. Die Sicherheitsleute versperren die Eingänge, vor den Toren bilden sich Trauben murrender Fans. Das ärgert die österreichischen Polizisten, die vor dem Tor für Ruhe sorgen sollen. "Wozu brauchen wir überhaupt einen Zaun", fragt ein Bezirksinspektor. "Das ist doch Blödsinn! Der Zaun erzeugt nur Druck." An einem der Tore werden frustrierte Fans später Plastikflaschen auf die Polizisten werfen. "Und alles nur, damit einer 70-jährigen Frau bei der Kontrolle der Regenschirm abgenommen werden kann", echauffiert sich der Inspektor.
Das erste Tor fällt in der zweiten Halbzeit. Der Freistoß-Treffer von Deutschlands Kapitän Michael Ballack lässt die "Wien wird Cordoba"-Gesänge schlagartig verstummen. VIP-Koch Philipp schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen. "Dabei spielen wir besser als ich gedacht habe", sagt er. Ein korpulenter junger Mann neben Philipp hat die Rot-Weißen schon fast aufgegeben. "Ich weiß, dass wir verlieren, aber ich hoffe, dass wir gewinnen", sagt der 24 Jahre alte Wiener René.
Nach dem Schlusspfiff ist Philipp schnell verschwunden. Dafür posieren Martin und seine Lederhosen-Freunde für die Kameras. Die bayerischen Jungs packen sich an den Schultern, hüpfen im Kreis und singen "Deutschland, Deutschland". Es dauert nicht lange bis sich René einen Ruck gibt und bei Martin und den anderen zum Händeschütteln vorbeikommt. "Wir müssen uns nicht verstecken, wir haben ja gut gespielt."
Während Martin, René und Tausende andere Fans in der Fan Zone friedlich weiterfeiern, spitzt sich in der Innenstadt die Lage zu. Ein Pulk von rund 600 hartgesottenen Deutschland-Fans steuert grölend auf den Stephansdom zu. Kurz vor dem Gottesgebäude strömen schwarz gekleidete österreichische und bayerische Polizisten mit Helm, Mundschutz und Schlagstock ausgerüstet auf die Deutschen zu, um sie von den österreichischen Fans zu trennen.
Statt Krawall machen die Deutschen einen Kreis. Sie bücken sich, humpeln und fangen an zu singen: "So gehen die Ösis, die Ösis gehen so. Und so gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so."
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