Alexander Zverev kann seine Emotionen nicht verstecken. Nicht in diesem Moment. Mit einem weißen T-Shirt sitzt er vor der grünen Wand. Es ist früher Abend Londoner Zeit, Zverev hat gerade einen der bittersten Momente seiner Tennis-Karriere erlebt. Aus in Runde eins in Wimbledon nach fünf Sätzen gegen den Franzosen Arthur Rinderkneck. Eine Überraschung, womöglich gar eine Sensation.
Zverev also, Deutschlands derzeit bester Tennisspieler, soll erklären, wie das passieren konnte. Viele Journalisten sitzen in einem kinoähnlichen Saal vor ihm. Zverev redet auf Englisch, wie das bei internationalen Turnieren so üblich ist. Seine Stimme ist leise, aber klar. Er weiß genau, welche Wucht die kommenden Worte entfalten werden.
Zverev spricht über seine Gemütslage. Nicht unbedingt auf dem Tennisplatz, sondern in seinem Leben. „Ich habe mich noch nie so leer gefühlt. Mir fehlt der Spaß an allem, was ich tue“, sagt der 28-Jährige. Selbst Siege, wie zuletzt in München, Stuttgart oder Halle hätten keine stimmungsaufhellende Wirkung. „Etwas in mir muss sich ändern, etwas, das nicht notwendigerweise auf dem Tennisplatz liegt“, fügt Zverev an.
Selbst der Bruder ist von den Aussagen überrascht
Nach Wimbledon war er mit seinem gewohnten Team gereist. Der Vater als Trainer, Bruder Mischa als Begleiter. Gemeinsam wohnten sie während der Vorbereitung und der ersten Turniertage in einem Haus. Freundin Sophia Thomalla fehlte, als TV-Moderatorin und Werbemodell hat sie viele Termine. Es war allerdings nicht das erste Mal, dass Thomalla bei einem Grand-Slam-Turnier nicht dabei war.
Mischa Zverev, der in Wimbledon auch als Experte für den Streamingdienst Amazon Prime arbeitet, ist jedenfalls von den Aussagen seines Bruders überrascht. „Da hat sich nichts Großartiges angedeutet, viele Sachen erfahre ich auch von euch. Ein oder zwei Tage nach einem Ereignis kommt man noch mal zusammen, und dann redet man über das Thema noch mal. Wenige Stunden oder wenige Minuten nach einem Ereignis ist man noch ganz anders aufgewühlt“, sagte er während der Übertragung.
Wie aber geht es mit seinem Bruder weiter? Sein nächster geplanter Start ist Ende Juli in Toronto. Die nächsten Tage werde er auf jeden Fall pausieren, mit dem Training möchte er am Montag wieder beginnen. Er könne sich vorstellen, eine Therapie zu machen. Erstmals in seiner Karriere. Bereits seit den Australian Open, als er das Finale verloren und damit eine weitere Chance auf seinen ersten Grand-Slam-Sieg vergeben hatte, plagen ihn die mentalen Probleme.
Nur seine Tochter macht Zverev momentan glücklich
Bei den vergangenen Turnieren in Deutschland war stets seine Tochter Mayla seine Stimmungsaufhellerin. Sie mache ihn am meisten glücklich derzeit, gibt Zverev zu. Fügt aber auch an: „Sie ist vier. Normalerweise muss es andersrum sein, ich muss ihr Energie geben, ich muss sie glücklich machen und nicht andersrum. Das kann es nicht sein.“
Was also tun? Wie wieder Freude finden und damit den Erfolg im Tennissport? Zverev kann sich vorstellen, wieder einen Berater von außen ins hauptsächlich von der eigenen Familie geprägte Team aufzunehmen. Eine solche Diskussion hatte Boris Becker vor wenigen Wochen angestoßen, was zu kontroversen Diskussionen geführt hatte. Ob womöglich sogar Becker selbst ein guter Ratgeber in der nun schwierigen Situation wäre? Zumindest hat der ehemalige Tennisprofi als Coach von Novak Djokovic bewiesen, dass er in der Betreuung von Spitzenspielern Talent hat.
Zverev hat in seiner Karriere schon etliche schwierige Momente durchgemacht. Mit den Medien, aber auch ganz allgemein im Leben, sagt er. Seine Diabetes-Erkrankung hat er erst spät öffentlich gemacht, auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft verletzte er sich vor drei Jahren in Paris schwer am Knöchel. Im vergangenen Jahr musste er sich parallel zu den French Open mit einem Prozess um den Vorwurf der Körperverletzung auseinandersetzen, der gegen eine Geldauflage von 200.000 Euro ohne Verurteilung eingestellt wurde. Zverev gilt weiter als unschuldig.
Andrea Petkovic kann sich gut in Zverev reinfühlen
Der 28-Jährige wartet weiter auf seinen ersten Grand-Slam-Titel. Auch seinem zweiten großen Ziel, Nummer eins der Welt zu werden, hechelt er hinterher. Gerade aber geht es um mehr als Erfolge auf dem Platz. „Ich muss mich wieder selber ein bisschen finden und verstehen, welche Menschen mir Freude bringen, was mir Spaß macht, was mich motiviert“, sagte Zverev. „Das ist für mich die Nummer-eins-Aufgabe mit 28.“
Auch Andrea Petkovic hatte sich dieser Herausforderung stellen müssen. Im gleichen Alter habe sie „eine Riesenkrise“ gehabt. „Das Tennisspielerdasein ist generell ein einsamer Sport. Du fühlst dich auf dem Tennisplatz alleine, du fühlst dich außerhalb alleine“, sagt die Ex-Spielerin. Exakt so geht es gerade Alexander Zverev.
Offenbar berichten andere Tennisprofis über ähnliche Probleme, ergo ist der Zustand nicht unbekannt.
Zverev kann Tennis spielen. Für mich, von der Ferne aus betrachtet, deutet viel auf ein psychisches Problem hin.
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