Er ist in Deutschland „Mister Tischtennis“ und zählt zu den populärsten deutschen Sportlern aller Zeiten. Für viele steht der heute 44-jährige Timo Boll in der Beliebtheitsskala auf einer Stufe mit Franz Beckenbauer, Boris Becker oder Dirk Nowitzki. Weil auch die Größten irgendwann Abschied nehmen müssen, steht auch für Boll nun das Unvermeidliche an: Am Sonntag beendet der Hesse seine glanzvolle Karriere. Mit dem Play-off-Finale der Tischtennis-Bundesliga zwischen Borussia Düsseldorf und den TTF Ochsenhausen legt der im Odenwald geborene Sportler passenderweise in Frankfurt seinen Schläger endgültig zur Seite. Der ehemalige Weltranglistenerste kämpft im letzten Duell seiner Laufbahn um seine 15. nationale Meisterschaft. Im Verein spielte Boll für den TV 1875 Höchst, die FTG Frankfurt, den TTV Gönnern und seit 2006 für Rekordmeister Borussia Düsseldorf. 5000 Zuschauer werden zu seinem Abschiedsfinale erwartet.
In den vergangenen Jahrzehnten waren Eberhard Schöler oder Jörg Roßkopf die Fixpunkte der deutschen Tischtennis-Szene. Doch Timo Boll hat diese beiden ehemaligen Stars mit seinen Erfolgen und seinem Auftreten längst übertroffen. Dass er zu dem Sport mit dem Zelluloidball kam, ist dem Zufall zu verdanken. Sein Vater wollte, dass er Tennis spielt und wollte ihm im heimischen Garten sogar einen Tennisplatz bauen. Doch das städtische Bauamt in Höchst verwehrte die Genehmigung. Und so kaufte Boll Senior seinem Sohn eine Tischtennisplatte. Es war nicht die schlechteste Idee.
Mit gerade einmal 17 Jahren gewann Timo Boll die Europameisterschaft
Denn bald stellten sich beim hessischen Talent die ersten internationalen Erfolge ein. Timo Boll gewann 1995 bei den Schüler-Europameisterschaften (EM) in Den Haag dreimal Gold. Nach dem zweiten Platz 1996 bei seiner ersten EM in der Jugendklasse gewann er in den beiden folgenden Jahren den Titel im Einzel und weitere Medaillen im Doppel und mit der Mannschaft. Am 9. September 1997 bestritt er sein erstes Länderspiel bei den Erwachsenen. Im Europaligaspiel gegen Polen in Warschau gewann er im Einzel gegen Lucjan Blaszczyk.
Bei der EM 1998 in Eindhoven sorgte der damals 17-Jährige für eine Riesenüberraschung. Der junge Deutsche traf auf den schwedischen Altmeister Jan-Ove Waldner, der kurz zuvor WM-Gold gewonnen hatte, ohne einen einzigen Satz zu verlieren. Boll nimmt ihm an diesem Tag zwei ab, doch im fünften und entscheidenden Satz stand es schnell 14:20. Aber Boll zwingt Waldner in die Verlängerung und siegt sensationell nach neun abgewehrten Matchbällen. Dass der Hesse auch ein Freund des fairen Sports ist, zeigte er bei der Weltmeisterschaft 2005 in Shanghai. Achtelfinale. Boll hat Matchball, korrigiert aber eine Schiedsrichter-Entscheidung zugunsten seines Gegners Liu Guozheng. Und verliert das Spiel. Bundestrainer Richard Prause sagte damals: „Vielleicht hätten auch andere diesen Ball zugegeben. Das Besondere an Timo ist die Selbstverständlichkeit, mit der er es gemacht hat.“ Für die lebende Legende gab es die Fair-Play-Medaille.
Boll wurde 2018 zum ältesten Weltranglistenersten im Tischtennis
Timo Boll gewann in seiner Karriere eine Vielzahl von nationalen und internationalen Meistertiteln. 2003 war er zum ersten Mal Erster der Weltrangliste und belegte von da an über fünfzehn Jahre lang einen Platz unter den Top 15; im März 2018 rückte er zum vierten Mal an die Spitze vor und wurde damit zum bisher ältesten Weltranglistenersten. Seine bedeutendsten Erfolge waren der dritte Platz bei den Weltmeisterschaften 2011 und 2021 sowie der zweimalige Gewinn des Weltcups, bei dem er auch viermal Silber und zweimal Bronze gewann. Die Europameisterschaft holte er achtmal. Im Doppel wurde er Vize-Weltmeister und fünffacher Europameister. Mit dem Nationalteam gewann Boll in Peking 2008 und Tokio 2021 olympisches Silber, Bronze bei Olympia in London und Rio de Janeiro.
Siebenmal war er am europäischen Titel beteiligt, sowie fünfmal am Gewinn von WM-Silber. Außerdem wurde er sieben Mal Champions-League-Sieger mit dem TTV Gönnern (zwei Titel) und Borussia Düsseldorf (fünf Titel). Mehrere Male spielte Boll in den Sommermonaten in der ersten Chinesischen Liga und gewann dort 2011 sowie 2014 mit seinen Teams den Meistertitel.
Apropos China: In Frankfurt oder Berlin kann das Tischtenis-Ass unbehelligt durch die Stadt gehen, in Peking oder Shanghai geht das nicht. Tischtennis ist vor allem in China der populärste Sport. Dort das Werbegesicht deutscher Firmen zu sein, hat sich für Timo Boll auch finanziell gelohnt.
Doch was kommt nach der Karriere mit dem kleinen Plastikball? Ganz offen sagt Boll im ZDF-Sportstudio: „Ich spiele Tischtennis, seitdem ich drei oder vier Jahre alt bin und mache das professionell, seit ich 15 oder 16 bin. Wenn man kein anderes Leben kennt, hat man natürlich Angst vor dem Moment, an dem es heißt: Jetzt ist damit Schluss. Aber es fühlt sich trotzdem irgendwie auch rund an.“ Mit seinem Lieblingsfußballverein Borussia Dortmund möchte er reden. Boll als Türöffner für den BVB im Tischtennis-Wunderland China? „Noch ist nichts spruchreif“, sagte er in einer Medienrunde. Das Finale gegen Ochsenhausen - es wird für Boll auch der Startschuss für etwas Neues sein.
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