Ukraine-Schwimmer Govorov: "Wir müssen jetzt Menschen bleiben"
Exklusiv Andrii Govorov wurde in Deutschland von dem Krieg in der Ukraine überrascht. Ein Gespräch über große Helden, kleine Hilfen und seinen Kampf gegen den Weltverband.
Andrii Govorov, der Krieg in Ihrer Heimat hat Sie in Wiesbaden überrascht, wo Sie sich auf die WM vorbereiten wollten. Wie geht es Ihrer Frau und Ihrem Sohn, die in der Ukraine leben?
Andrii Govorov: Die beiden haben das Land einen Tag vor dem Beginn der Kriegshandlungen verlassen. Ich hatte eine Vorahnung, dass es so schlimm werden könnte und habe ihnen gesagt, sie sollen sofort nach Polen fahren. Verwandte von mir sind noch in Dnipro. Der Krieg ist dort aber noch nicht angekommen. Andere Freunde sind mitten im Kriegsgebiet. Das ist alles sehr schwierig für mich.
Ein Teil Ihrer Familie ist russisch und lebt auch in Russland. Welche Reaktionen bekommen Sie von dort angesichts der jüngsten Ereignisse?
Govorov: Durch die Propaganda in Russland waren die ersten Reaktionen sehr befremdlich. Ich habe dann mit vielen meiner Verwandten gesprochen und ihnen erklärt, was gerade passiert. Sie unterstützen die Ukraine. Mehr kann ich dazu nicht sagen, weil ich niemanden in Gefahr bringen will. Ich bekomme viel Unterstützung von dort, aber es traut sich niemand, öffentlich zu reden.
Sie haben selbst einen Teil Ihrer Kindheit in Russland verbracht. Schlagen nun zwei Herzen in Ihrer Brust, wenn Sie sehen, dass russische Soldaten die Ukraine angreifen?
Govorov: Ja. Ich bin ein russisch sprechender Ukrainer. Einer von Putins Gründen für den Angriff auf die Ukraine war, dass dort die russische Community verfolgt werde. Ich habe da gelebt, ich bin durchs ganze Land gereist, ich war überall in der Ukraine. Ich habe immer russisch gesprochen und bin nicht ein einziges Mal als jemand behandelt worden, der kein Ukrainer ist. Das ist in etwa so, als wenn du mit einem bayerischen Dialekt nach Norddeutschland fährst. Die Leute merken, dass du aus einem anderen Teil des Landes kommst. Aber trotzdem gehörst du zum gleichen Land. Wenn ich Interviews gegeben habe, habe ich das auf Russisch gemacht. Und das war nie ein Problem.
Wie können Sie Ihren Landsleuten in der Ukraine jetzt helfen?
Govorov: Die Situation ist sehr hart für mich. Ich versuche als Athlet Druck auf Entscheidungsträger auszuüben, damit sie im Sport härtere Sanktionen gegen Russland verhängen. Und vor ein paar Tagen habe ich eine Aktion gestartet, um Geld zu sammeln. Momentan gibt es eine unglaublich große Hilfsbereitschaft für die Ukraine. Ich kenne viele Menschen, die genau jetzt Hilfe brauchen. Gestern bekam ich eine Nachricht von einem Kinderheim, dass Kinder aus den Kriegsgebieten aufnehmen muss, aber keine Matratzen für sie hat. Also habe ich ein paar Freunde angerufen die losgegangen sind, um Matratzen zu kaufen. Wir versuchen, mit dem Geld direkt vor Ort zu helfen und schnell zu reagieren. Geld ist momentan aber nicht das größte Problem. Viel schwieriger ist, die Hilfe zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bekommen. Ich habe eine große Community in der Ukraine, die mir hilft.
Angesichts dieser Situation: Können Sie sich momentan überhaupt noch auf Ihren Sport und das Training konzentrieren?
Govorov: Das ist sehr sehr schwer. Es fällt mir unglaublich schwer, mich in Form zu halten. Bevor alles anfing, war ich in einer sehr guten Verfassung. Aber seit zehn Tagen schlafe ich sehr schlecht, vielleicht drei oder vier Stunden. Die restliche Zeit telefoniere und organisiere ich. Ich versuche aber, so schnell wie möglich wieder gut zu trainieren. Denn meine Aufgabe ist es, als Champion die Ukraine zu repräsentieren. Ich will, dass meine Stimme für mein Land gehört wird. Wenn die Leute sagen, dass Sport sich aus der Politik heraushalten solle, dann ist das falsch. Ein Land zu repräsentieren ist Politik. Auf meiner Brust ist meine Flagge. Natürlich will der Sport kein Teil der Politik sein. Aber das ist nicht möglich.
Der Schwimmweltverband Fina hält an dieser Einstellung aber fest und lässt russische sowie belarussische Schwimmerinnen und Schwimmer weiter starten – unter neutraler Flagge. Was halten Sie davon?
Govorov: Die Fina macht nichts, weil Russen großen Einfluss innerhalb der Fina haben. Vladimir Salnikov, der Präsident des russischen Schwimmverbandes, zum Beispiel. Ich weiß nicht, wie viel Geld die zahlen, aber die bisherigen Sanktionen sind ja nicht einmal Sanktionen. Weil die Russen ja schon seit dem Dopingskandal sanktioniert sind und nur unter neutraler Flagge starten dürfen. Wir verhängen also die gleichen Sanktionen für einen Krieg wie für Doping. Was soll das? Ich bereite gerade ein Statement vor, um die ganze Schwimmgemeinschaft um Unterstützung zu bitten, dass die Fina härtere Sanktionen verhängt. Dafür spreche ich mit anderen bekannten Schwimmerinnen und Schwimmern. Wenn wir zusammenhalten, können wir die Fina zum Handeln zwingen.
In der Ukraine ist Präsident Wolodymyr Selenskyj zum Symbol des Widerstands gegen das russische Militär geworden. Ist er ein Held?
Govorov: Ja, jetzt ist er ein Held. Er ist der Beste, um die Ukraine jetzt anzuführen. Weil er ein Beispiel für Tapferkeit ist. Er gibt den Ukrainern Halt. In der Vergangenheit war ich nicht so zufrieden mit ihm. Ich habe ein Politik-Studium und ich war nicht sehr überzeugt von seiner Politik. Aber jetzt macht er genau das Richtige: Er bleibt trotz aller Gefahren in der Ukraine.
Einige ukrainische Sportler sind ebenfalls dort und kämpfen mit der Waffe. Sind Sie auch gefragt worden, warum sie das nicht machen?
Govorov: Ich bin kein Soldat. Ich war nie in der Armee. Meine Anwesenheit mit einer Waffe in der Hand würde nicht helfen. Ich glaube, dass es sehr viel effizienter ist, meine Stimme als Sportler zu erheben. So kann ich Geld sammeln und ich kann Hilfe organisieren.
Wann werden Sie Ihre Familie sehen?
Govorov: Das weiß ich nicht. Sie bleiben erst einmal in Polen und helfen anderen Flüchtlingen. Meine Frau kann mit dem Geld, das wir sammeln, direkt vor Ort helfen. Sie kann zum Beispiel Zimmer anmieten für Menschen, die sonst keinen Platz haben. Es sind nur kleine Dinge, die wir bewegen können. Aber auch viele kleine Tropfen ergeben am Ende einen See. Wir müssen jetzt Menschen bleiben. Und Menschen helfen einander.
Zur Person: Andrii Govorov, 29, ist ein ukrainischer Weltklasseschwimmer. Seit 2018 hält er den Weltrekord über 50 Meter Schmetterling (22,27 Sekunden), wurde fünfmal Europameister und gewann zweimal Bronze sowie einmal Silber bei Weltmeisterschaften. Momentan organisiert Govorov eine Hilfsaktion für die Ukraine.
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