Corona: Und was wird jetzt aus Weihnachten?
Im Corona-Jahr droht nicht der Grinch, sondern ein Virus das Fest zu klauen. Viele sorgen sich laut einer neuen Umfrage um Weihnachten - das sind die Zahlen.
Früher war mehr Lametta, heute ist mehr Lamento. Die klagevolle Frage "Und was wird jetzt aus Weihnachten?" steht im Raum. In der Vor-Corona-Zeit wurde monatelang darüber nachgedacht, was man denn nun schenke und ob Weihnachten diesmal vielleicht weiß werde.
Doch das ist Schnee von gestern. 2020 geht es um die handfeste Frage: Findet Weihnachten überhaupt statt - mit Familie, Kindern, Enkeln, Freunden? Wird es Gottesdienste geben, Krippenspiele, ein Essen an großer Tafel? Die Pandemie verunsichert, verhindert womöglich die gemeinsame Weihnacht. Das könnte eine wahrlich stille Nacht werden.
Weihnachten in der Isolation erwartet
Rund die Hälfte der erwachsenen Bundesbürger rechnet laut einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur mit einem Weihnachten in der Isolation: 52 Prozent befürchten, dass Haushalte getrennt feiern müssen. 53 Prozent erwarten, dass Restaurants, Kneipen und Cafés rund um die Feiertage geschlossen bleiben.
Dass Weihnachten und Silvester überwiegend so ablaufen wie jedes Jahr, erwarten lediglich 8 Prozent. Gefragt nach dem persönlich vorherrschenden Gefühl mit Blick auf Weihnachten nennt die Hälfte negative Gefühle wie Sorge (19 Prozent), Traurigkeit (16), Unbehagen (14) und Angst (2). Nur 6 Prozent empfinden Vorfreude.
Weihnachten, das ist nicht irgendein Fest in Deutschland, das ist Tradition und Sentimentalität - generationenübergreifend.
Feiertage werden sich anders anfühlen
Abgesagte Weihnachtsmärkte, eingeschränkte Kontakte, weniger Reisen führen wohl dazu, dass sich die Feiertage 2020 merkwürdig anfühlen werden. "Ich denke, dass Weihnachten in diesem Jahr ein anderes Weihnachten sein wird", sagte kürzlich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Bis zur alten Normalität werde es noch lange dauern.
Zuversicht im Zusammenhang mit dem Teil-Lockdown verbreitete dagegen Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus: "Wenn wir es jetzt im November richtig machen, dann haben wir eine Chance, dass wir einigermaßen vernünftig Weihnachten feiern können."
Verzicht auf Verwandtschaftsbesuche
Normalerweise steigen Millionen Deutsche kurz vor dem Fest oder an den Festtagen selbst ins Auto oder in den Zug, um ihre Familie oder Freunde zu besuchen. Fällt die familiäre Völlerei 2020 aus, gibt es Heiligabend nur per Skype und Zoom? Sind Oma und Opa dann abgehängt?
Der Soziologe Sacha Szabo, der das Weihnachtsfest im Wandel der Zeit erforscht hat, sieht in Videoschalten keine befriedigende Alternative, da die körperliche Präsenz fehle. Er könne sich höchstens vorstellen, dass Online-Lösungen an die Stelle des Telefons treten. "Dass man nach der Bescherung vielleicht kurz rundruft."
Weihnachten sei das Fest, an dem sich Familien - vor allem beim Essen - ihrer selbst versicherten. "Vielleicht ist diese Bedeutung sogar noch stärker geworden, in dem Maße dieses Fest profaner wurde und seine religiöse Bedeutung in den Hintergrund trat", sagt der Weihnachtsexperte, Herausgeber des Sammelbands ""Fröhliche Weihnachten". X-Mas Studies. Weihnachten aus Sicht der Wissenschaft".
Alternative Familienmodelle nicht berücksichtigt
Szabo sieht jedoch das Problem, dass die aktuellen Verordnungen die heutige Pluralität kaum abbilden. "Es wird ein bestimmtes Familienbild transportiert. Angenommen, es dürfen sich die Angehörige zweier Haushalte treffen, dann bildet man, zugespitzt formuliert, die Einkindfamilie der Babyboomer-Generation ab." Doch werde es schon kompliziert, wenn die Feier bei deren Eltern stattfinde, oder man denke an soziale Gefüge wie Patchwork-Familien und Freundeskreise. "All das gibt es natürlich, aber es wird zugunsten eines romantisch verklärten Familienbildes ausgeblendet."
Der Lyriker Max Czollek ("Desintegriert Euch!") warf bei Twitter ein: "Wenn Weihnachten als zentraler Erwartungshorizont für Maßnahmen angegeben wird, dann ist das christliche Dominanz."
Manche in sozialen Medien geben zu bedenken, das Fest sei als Taktgeber für eine Pandemie-Bekämpfung unpassend. Gehe es bei den jetzigen Beschränkungen nicht vor allem darum, zu volle Intensivstationen zu vermeiden?
Soziologe Szabo findet es auffällig, dass Weihnachten im Corona-Jahr immer wieder als Zeitmarke vorkomme. "Dass man Weihnachten nimmt, trägt schon auch die Botschaft mit sich, wenn man jetzt "brav" ist, dann gibt es ein "schönes Weihnachtsgeschenk". Das kann man dahin deuten, dass die Bürger ein wenig wie Kinder betrachtet werden, die erzogen werden müssen. Aber zugleich ist es eben auch eine Botschaft, die sofort verstanden wird, weil dieses Belohnungsmuster vertraut ist."
Angst vor Ansteckung in der Familie
Noch wisse niemand, wie das Weihnachtsfest konkret ablaufen soll. "Einerseits existiert ein Bedürfnis, sich innerhalb der Familie, als Hort der Sicherheit, aufgehoben zu fühlen. Zugleich aber kann jeder auch selbst ein Spreader sein und so die Bedrohung in genau dieses sehr private Gefüge hineintragen." Oder es existiere die nachvollziehbare Angst, eben dort angesteckt zu werden, sagt Szabo.
Und was glaubt er - gibt es ein Licht am Ende des Tunnels? "Bemerkenswerterweise wird ja nicht nur Weihnachten als markante Zeitmarke gewählt, sondern bei vielen Impfstoffprognosen wird gerne Ostern als möglicher Zeitpunkt genannt, an dem ein Mittel verfügbar ist, mit dem diese Krise endet und das normale Leben wieder beginnt. Ob das aber eintritt, weiß im Moment erst recht niemand." (tmn)
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