Vitamin D kann vom Körper selbst hergestellt werden und gilt deshalb streng genommen als Hormon, nicht als Vitamin. Viele Wirkungen im Körper sind bereits bekannt, was aber von immer mehr Wissenschaftlern gefordert wird, ist eine geschlechterspezifische Forschung. Auch bei Vitamin D zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, dass es im Körper von Frauen und Männern unterschiedlich wirkt. So spielt Vitamin D etwa während der Wechseljahre für die Knochengesundheit eine wichtige Rolle. Brauchen Frauen deshalb mehr Vitamin D als Männer?
Vitamin-D-Wert für Frauen - Wie hoch ist der tägliche Bedarf?
Frauen haben meist einen anderen Vitamin-Tagesbedarf als Männer. Bezüglich Vitamin D unterscheidet die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) bei ihren Empfehlungen aber nur nach Alter. Sie gibt an, dass Erwachsene 20 Mikrogramm Vitamin D am Tag benötigen, was umgerechnet 800 IE entspricht. Darüber, ob dieser Wert wirklich ausreicht, herrscht unter Experten und internationalen Instituten Uneinigkeit. Auf Anfrage teilt uns Kai-Jürgen Lüthgens, Facharzt für Labormedizin in Stuttgart, mit: „Auf kaum einem Gebiet gibt es so viele unterschiedliche Angaben und Empfehlungen zum Normbereich wie bei 25-OH-Vitamin D.“
Der National Health Service in Großbritannien empfiehlt mit 400 IE täglich sogar nur die Hälfte der DGE. Einige Experten empfehlen allerdings höhere tägliche Dosierungen: Das Linus Pauling Institute der Oregon State University gibt für Frauen und Männer gleichermaßen die Empfehlung einer täglichen Supplementierung von 2.000 IE - auch in der Schwangerschaft und Stillzeit.
Auch für Nephrologin und Stoffwechselexpertin Helena Orfanos-Bockel, die seit mehreren Jahren Patienten mit Nährstoffen in ihrer eigenen Praxis therapiert, sind die Empfehlungen der DGE für die meisten Menschen zu gering. Allerdings ist sie gegen eine generalisierte Empfehlung. „Jeder Mensch hat seine eigene Vitamin-D-Schuhgröße. Was für den einen passt, kann für den anderen zu wenig oder zu viel sein“, sagt uns die Ärztin im Interview. „Es hängt auch davon ab, in welchem medizinischen Kontext die Vitamin-D-Therapie erfolgen soll. Geht es um etwas rein Präventives, oder geht es um etwas Kuratives, wo die Behandlung mit Vitamin D dem Stoffwechsel helfen soll, wieder gesünder zu werden“. Der „gesunde“ und „kranke“ Tagesbedarf hängt von sehr vielen verschiedenen Basis-Faktoren ab - die genetische Veranlagung, das Alter, das Gewicht und der Lebensstil spielen eine wichtige Rolle. In ihrer Praxis würden die meisten eher normal-gewichtigen, mittelalten, relativ gesunden Patientinnen und Patienten mit hellerem Hauttyp im Schnitt 4000 IE bis 5000 IE täglich brauchen, um optimale Blutwerte zu haben. Die therapeutische Breite gehe aber von 1000 IE bis knapp 20.000 IE täglich, erklärt die Ärztin.
Laut Orfanos-Bockel zeigt die Erfahrung aus ihrer Praxis: Zwischen Männern und Frauen besteht beim Vitamin-D-Bedarf kein grundsätzlicher Unterschied. Frauen haben also nicht automatisch einen höheren Bedarf.
Wie viel Vitamin D individuell nötig oder sinnvoll ist, lässt sich nur durch Blutkontrollen feststellen. Aus Sicht der Ärztin ist es daher wichtig, den Vitamin-D-Spiegel so lange regelmäßig zu messen, bis die persönliche Erhaltungsdosis gefunden ist – also die Menge, die dauerhaft nötig ist, um stabile und gesunde Blutwerte zu halten.
Vitamin-D-Werte in der Tabelle: So hoch ist der Bedarf bei Frauen
Orfanos-Boeckel gibt Empfehlungen nur basierend auf den Blutwerten, die sie vorher gemessen hat. Der optimale Bereich liegt zwischen 50 und 70 ng/ml. Bei einer Vitamin-D-Therapie sollten auch immer zusätzlich die Nährstoffe Calcium, Magnesium, Bor und K2 geprüft und gegebenenfalls supplementiert werden. In ihrem Ratgeber „Nährstofftherapie“ empfiehlt sie folgende Dosierungen für Frauen und Männer:
Blutwerte | Tagesbedarf |
---|---|
<20 ng/ml | 3000 bis 6000 IE |
20-30 ng/ml | 2000 bis 3000 IE |
30-40 ng/ml | 2000 IE |
40-50 ng/ml | 1000 IE |
„Blind“ - also ohne vorher die Blutwerte gemessen zu haben - sind 2000 IE am Tag in den meisten Fällen nicht schädlich zu hoch, sogar im Gegenteil „eher zu niedrig“, wie uns Orfanos-Boeckel erklärt. „Wenn man wirklich eine therapeutische Wirkung auf den Stoffwechsel erzeugen möchte, muss man den Vitamin-D-Haushalt in seinem medizinischen Kontext im Blut an verschiedenen Parametern messen“, sagt sie.
Zum Vergleich: Das ist die Tabelle mit Blutwerten, die das Robert Koch Institut (RKI) zur Verfügung stellt. Während Orfanos-Boeckel bei Blutwerten von weniger als 30 noch von einem Mangel spricht geht das RKI von einer „ausreichenden Versorgung“ aus.
25(OH)D in nmol/l | 25(OH)D in ng/ml | Interpretation |
---|---|---|
<30 | <12 | Mangelhafte Versorgung mit einem erhöhten Risiko für Krankheiten wie Rachitis, Osteomalazie und Osteoporose. |
30-<50 | 12-<20 | Suboptimale Versorgung mit möglichen Folgen für die Knochengesundheit. |
50 -<75 | 20-<30 | Ausreichende Versorgung in Bezug auf die Knochengesundheit. |
75-<125 | 30-<50 | Ausreichende Versorgung in Bezug auf die Knochengesundheit ohne weiteren Zusatznutzen für die Gesundheit. |
≥125 | ≥50 | Mögliche Überversorgung, die für den Körper negative gesundheitliche Folgen haben kann, zum Beispiel Hyperkalzämien, die zu Herzrhythmusstörungen oder Nierensteinen führen können. |
Die verschiedenen Werte kommen aufgrund der unterschiedlichen Einheiten zustande, die verwendet wurden, um den Vitamin-D-Spiegel zu messen. Das ist abhängig vom Labor.
Vitamin D bei Frauen: Diese spezifische Wirkung sollten Sie kennen
Studien vernachlässigen häufig den starken geschlechterspezifischen Unterschied in der Wirkung von Vitamin D. Ein Vitamin-D-Mangel kann sich bei Frauen anders äußern als bei Männern. Ältere Frauen mit einem Vitamin-D-Mangel leiden eher unter Skelettproblemen und ziehen sich laut Studien auch häufiger Brüche zu als Männer.
Im Interview erklärt Helena Orfanos-Boeckel, dass ein ungleichgewichtiges Verhältnis zwischen den Vitamin-D-Formen 25(OH)D und 1,25(OH)₂D – auch D-Ratio genannt – das Risiko für Osteoporose erhöhen kann. Besonders bei Frauen sieht sie eine genetische Tendenz, das Speicherhormon 25(OH)D besonders schnell in die aktive Form 1,25(OH)₂D umzuwandeln. Das kann zu einem Ungleichgewicht führen, selbst wenn die 25(OH)D-Werte im Blut zunächst unauffällig erscheinen.
Auch während der Schwangerschaft ist eine gute Versorgung mit Vitamin D entscheidend. Helena Orfanos-Boeckel erklärt, dass das ungeborene Kind seinen Calciumbedarf notfalls aus den Knochen der Mutter deckt. Ein Vitamin-D-Mangel kann daher die Knochengesundheit der Mutter erheblich belasten. Die Natur sei in dieser Hinsicht kompromisslos, so die Ärztin: „Das Kind wächst – egal zu welchem Preis.“
Orfanos-Boeckel hat in ihrer langjährigen ärztlichen Tätigkeit beobachtet, dass ein Vitamin-D-Mangel das Risiko erhöhen kann, nach der Geburt eine Hashimoto-Thyreoiditis zu entwickeln. Eine mögliche Erklärung liefert die sogenannte immunologische Toleranz – ein Mechanismus, der das Immunsystem der Mutter während der Schwangerschaft stabilisiert und reguliert. Vitamin D spielt dabei eine zentrale Rolle.
Eine im Fachmagazin Frontiers in Immunology veröffentlichte Studie aus dem Jahr 2019 belegt diesen Zusammenhang: Ein Vitamin-D-Mangel während der Schwangerschaft wurde dort mit einem häufigeren Auftreten von Hashimoto-Thyreoiditis (HT) in Verbindung gebracht. Demnach litten fast 50 Prozent der Frauen mit Vitamin-D-Mangel an Hashimoto.
Auch wichtig zu wissen: Sonnencreme blockiert die Bildung von Vitamin D und Frauen nutzen sie laut Umfragen deutlich häufiger als Männer.
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