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Aura im Sinngrund: Die Deutschen glaubten, Hitler lebe noch: Ein aus dem Sinngrund stammender Amerikaner war 1948 schockiert

Aura im Sinngrund

Die Deutschen glaubten, Hitler lebe noch: Ein aus dem Sinngrund stammender Amerikaner war 1948 schockiert

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    Haumeister Otto Hofmann schnitzte 1948 vor seinem Wohnhaus an seiner Hobelbank Besenstiele. Er flocht auch Körbe.
    Haumeister Otto Hofmann schnitzte 1948 vor seinem Wohnhaus an seiner Hobelbank Besenstiele. Er flocht auch Körbe. Foto: Ignaz Hofmann

    In was für eine Welt war Ignaz Hofmann da nur zurückgekommen? Der gebürtige Auraer war 1930 im Alter von 20 Jahren in die USA ausgewandert und hatte nun, nach dem Zweiten Weltkrieg, 1948 für einen Monat seine alte Heimat besucht. Was er vor 75 Jahren sah und hörte, sei furchtbar deprimierend gewesen, sagte er hinterher einer amerikanischen Regionalzeitung. "Die Menschen leben von Tag zu Tag", erzählte er im Artikel, der der Redaktion vorliegt – ohne Hoffnung, ohne Zukunft. Die Bevölkerung in Aura sei auf 1200 Menschen angewachsen, immer noch strömten Vertriebene und zerlumpte Flüchtlinge aus der nahen russischen Zone in den Ort und bettelten um Essen.

    In Würzburg stünden nur noch Häusergerippe, die verbliebenen Einwohner hausten in Kellern. Der Wiederaufbau gehe sehr langsam vonstatten, weil die Menschen nicht wüssten, wo sie anfangen sollten und weil es kein Baumaterial gab. Bei einem von Brandbomben ausgebrannten Schloss und Museum, gemeint ist vermutlich die Residenz, sei eine Maschine gestanden, die Schutt gemahlen habe, aus dem später Backsteine entstehen sollten. Durch Deutschland zu reisen sei eine Katastrophe, in den wenigen Züge hätten sich die Reisenden buchstäblich gestapelt. Am Würzburger Bahnhof, wo er ein Belegtes aß, habe ein kleines Kind um ein Stück Brot gebeten und sich über das letzte Stück, das fast nur noch aus Kruste bestand, gefreut. 

    "Alles stand still. Die Leute hörten einfach auf zu arbeiten, und wer Geld hatte, gab es aus wie verrückt."

    Ignaz Hofmann nach seinem Besuch in Deutschland

    Hofmann war offenbar kurz vor der Währungsreform am 20. Juni 1948 in Deutschland gewesen. Als bekannt geworden sei, dass die westlichen Besatzungsmächte neues Geld einführen wollten, um die Inflation und den Schwarzhandel zu bekämpfen, hätten sich die Verhältnisse weiter verschlechtert. "Alles stand still. Die Leute hörten einfach auf zu arbeiten, und wer Geld hatte, gab es aus wie verrückt", sagte er. Er erzählte den Amerikanern vom Tauschhandel, bei dem Zigaretten, Kaffee und Eier am begehrtesten gewesen seien. Zigaretten seien in der Eisenbahn für bis zu fünf Mark das Stück, etwa einen US-Dollar, verkauft worden.

    Die Deutschen rechneten mit einem baldigen neuen Krieg, diesmal zwischen dem Westen und Russland. Und sie würden glauben, dass Hitler noch am Leben sei, sich in Spanien oder Südamerika verstecke. Hitler würden sie einerseits die Schuld an ihrem Leid geben, andererseits hätten sie geäußert, dass er ihnen auch eine gute Zeit beschert habe.

    Der Artikel erschien kurz nach seinem Deutschlandbesuch am 25. Juni 1948 in der "Saginaw News", der Regionalzeitung in seiner neuen Heimat Saginaw in Michigan, wohin seine 14 Jahre ältere Schwester Theresia schon vor ihm ausgewandert war. Hofmann war am 27. März 1910 in Aura geboren worden. Er absolvierte nach Abschluss der Volksschule eine Druckerlehre in Würzburg, bevor er auswanderte und dort ebenfalls als Drucker und Grafiker arbeitete. In Amerika änderte er die Schreibweise seines Namens in Ignace Hoffman. Mit 25 heiratete er seine Frau Varalene, mit der er eine Tochter bekam. 1955 machte er sich selbstständig mit einer Gravurfirma und später einem Seidendruck-Unternehmen.

    In Aura besuchte Hofmann seine 72-Jährige Mutter sowie seine dort verbliebenen drei Schwestern und zwei Brüder. Eines seiner großen Hobbys war die Fotografie. So fotografierte er in seinem Heimatort Häuser, Bauern bei der Arbeit, fahrendes Volk im Dorf, die Ausstattung der 1920 gebauten Ortskirche, die Dorfschmiede, Personengruppen, den 88-jährigen Dorfschäfer Christoph Sachs und vieles mehr. Auch seinen Bruder Kaspar, wie er vom Weiler Deutelbach kommend als Postbote auf der Auraer Höhe rastet, hielt er auf einem Foto fest. Ferner erstellte er zahlreiche Dias.

    "Wenn Sie zum Spaß irgendwohin reisen wollen, dann sollten Sie nicht dorthin."

    Ignaz Hofmann riet Amerikanern von Deutschland-Reisen ab

    Die Leserinnen und Leser der Zeitung in den Vereinigten Staaten warnte er nach seiner Reise nach Deutschland. "Wenn Sie zum Spaß irgendwohin reisen wollen, dann sollten Sie nicht dorthin." Hofmann wurde nach der Rückkehr von der Zeitung gefragt, ob er glaube, dass man den Deutschen die Werte der amerikanischen Demokratie näherbringen könne – mit genug Essen und Kleidung sowie starken demokratischen Führern könne das gelingen, antwortete er.

    Der 38-Jährige besuchte Würzburg offenbar mehrmals. Einen Tag bevor er das letzte Mal nach Würzburg fuhr, sei der Bus einen Hang hinabgerollt. "Das war knapp", kommentierte er. Über Aura erzählte er, dass dort damals Wilderer ihr Unwesen trieben. Eine Woche vor seiner Ankunft habe eine kleine Wildererbande einen Förster erschossen.

    1968 ging Hofmann, genannt "Iggie", in Ruhestand und zog nach Florida, wo er in Bradenton mehrere Jahre lang einen Golfplatz betrieb. Als seine Frau starb, heiratete er seine zweite Frau Pauline. Hofmanns Tochter Julie Johnson übergab dem gebürtigen Auraer Lothar Fuchs 1990 das Fotomaterial zur Kopie für dessen Ortsarchiv. Die Glasdias ließ Fuchs entwickeln. Am 13. Oktober 2007 verstarb Ignaz Hofmann im hohen Alter von 97 Jahren. Wie seine Tochter berichtet, war Aura selbst in seinen letzten Stunden unvergessen.

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