Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wertingen
Icon Pfeil nach unten

Lebensrettende Versorgung im Kreis Dillingen: Arzt fordert Behandlung für Herzinfarkte

Dillingen/Wertingen

Arzt fordert Versorgung von lebensbedrohlichen Krankheiten im Kreis Dillingen

    • |
    • |
    • |
    Ende März demonstrierten etwa 2000 Menschen in Wertingen gegen die drohenden Einschnitte im Wertinger Krankenhaus. Die Klinik, in der Wolf-Rüdiger Kühl lange als Chefarzt arbeitete, ist im Hintergrund zu sehen.
    Ende März demonstrierten etwa 2000 Menschen in Wertingen gegen die drohenden Einschnitte im Wertinger Krankenhaus. Die Klinik, in der Wolf-Rüdiger Kühl lange als Chefarzt arbeitete, ist im Hintergrund zu sehen. Foto: Franz Käsinger (Archivbild)

    Herr Doktor Kühl, was denken Sie über die derzeitige Situation der Kreiskliniken Dillingen-Wertingen?
    DR. WOLF-RÜDIGER KÜHL: Die Probleme der Landkreis-Kliniken sind nicht primär von der Krankenhausreform verursacht. Diese dürfte allerdings die Schwierigkeiten in Zukunft eher noch verstärken. Ursache war vielmehr eine Geschäftsleitung, die in den vergangenen 20 Jahren unfähig war, die Anforderungen einer Medizin zu erkennen, die sich weiterentwickelt. Und dafür Sorge zu tragen, die für die Versorgungsmedizin der Bevölkerung notwendigen personellen und apparativen Voraussetzungen zu schaffen beziehungsweise zu erhalten.

    Was kritisieren Sie konkret?
    KÜHL: Die verantwortlichen Politiker im Kreistag haben in das Tagesgeschäft nie ernsthaft eingegriffen, sondern die Zustände beklagt und teure Gutachten anfertigen lassen, deren Erkenntnisse nur zum Teil oder gar nicht umgesetzt wurden. Dabei hätten sie mit eigener Kompetenz Verwaltungsleiter und führende Ärzte ins Boot holen und notwendige Interventionen anbieten sollen. Wenn die zahlenmäßig wichtigsten Krankheiten nun nicht mehr im Landkreis behandelt werden, sondern hierzu andere Landkreise zur Hilfe eilen müssen, werden die Belegzahlen noch weiter sinken, und ein weiterer Bettenabbau endgültig auch das Dillinger Krankenhaus unrentabel machen.

    Dr. Wolf-Rüdiger Kühl
    Dr. Wolf-Rüdiger Kühl Foto: privat

    Können Sie das weiter ausführen?
    KÜHL: Statistisch finden sich in den Industrienationen die höchsten Erkrankungs- und Todesraten bei Schlaganfällen, Herzerkrankungen und Infarkten mit einem Behandlungsfenster von vier bis sechs Stunden, um Folgeschäden zu minimieren und unter Umständen das Schlimmste abzuwenden. Bis vor zehn Jahren verfügte das Krankenhaus Wertingen in enger Kooperation mit dem Augsburger Klinikum über beide Behandlungsmöglichkeiten. Das Haus war mit aufwendigen Steuermitteln saniert und konkurrenzfähig gemacht worden. Später wurde das dafür notwendige Herzkatheterlabor erst verkauft und dann ebenso wie die monitorisierten Schlaganfallbetten abgeschafft. Das bedeutet für Patienten, dass wertvolle Zeit verloren geht, da sie nicht mehr im Landkreis behandelt werden können.

    Der Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, Roland Engehausen, sagte erst kürzlich in einem Interview mit unserer Zeitung: „Die Sorge, dass man mit einem Schlaganfall oder Herzinfarkt nicht gut versorgt wird, ist unberechtigt.“ Es sei bereits heute etabliert, in solchen Fällen innerhalb von 40 Minuten ein dafür besonders ausgestattetes Krankenhaus zu erreichen. Wie stehen Sie dazu?
    KÜHL: Diese immer wieder genannten Transportzeiten beziehen sich auf den kürzesten Transportweg im Idealfall, ohne Berücksichtigung der Praxis mit ihren Einschränkungen durch Verkehr und Witterung auf Landstraßen. Zudem werden sie willkürlich – nicht evidenzbasiert – als zumutbar angesehen. Das bereits genannte enge Zeitfenster für eine erfolgreiche Therapie wird weiter eingeschränkt durch die Entscheidungszeit des Patienten oder seines Umfeldes, Ankunft des Notarztes, Ankunft der Ambulanz sowie die Zeit von der Klinikankunft bis zum Behandlungsbeginn. Man kann davon ausgehen, dass diese Zeitabläufe bereits optimiert sind und somit nicht weiter zu reduzieren sind. Es bleibt dabei: Je mehr Zeit vergeht, umso größer werden die bleibenden – oft zu minimierenden – Folgeschäden, die die weitere Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit bestimmen.

    Was folgern Sie daraus?
    KÜHL: Wie in der Wirtschaft, wo die Nachfrage das Angebot steuert, muss das Angebot angepasst werden. Eine angemessene medizinische Globalversorgung zumindest der lebensbedrohlichen wie auch gängigsten Krankheiten innerhalb des Landkreises muss möglich bleiben. Die Belegung der Betten ist nur auf diese Weise zu steigern und rentabel zu machen. Ein Bettenabbau wie bisher, um auf akzeptable Belegungszahlen zu kommen, ist das voraussehbare Aus der Kliniken. Stattdessen sollten 70 Prozent derjenigen, die ins Krankenhaus müssen, im Landkreis Dillingen auch versorgt werden können. Ich meine damit die Fälle, die täglich auftreten. Klar, hat jemand Leukämie, muss das woanders behandelt werden.

    Was wäre eine Voraussetzung dafür, diese lebensbedrohlichen und gängigsten Krankheiten behandeln zu können?
    KÜHL: In Dillingen oder in Wertingen müsste es wieder ein Herkatheterlabor und eine monitorisierte Schlaganfalleinheit in enger digitaler Kooperation mit einem übergeordneten Schlaganfallzentrum geben, in dem spezialisierte Radiologen und Neurologen zur Verfügung stehen. Nur so können die Hausärzte den Landkreis-Kliniken wieder vermehrt Patienten zuweisen. Schließlich ist es die vornehmste und wichtigste Aufgabe des Staates und damit der Länder und Kommunen, die Bürger bei Krankheit medizinisch adäquat zu versorgen und im Alter abzusichern. Dafür zahlt der Bürger im Voraus während seiner Arbeitszeit.

    Zur Person

    Wolf-Rüdiger Kühl wurde 1943 in Dresden geboren, er ist verheiratet und hat eine Tochter. Von 1987 bis 2008 war er im Krankenhaus Wertingen Chefarzt der Inneren Medizin mit Schwerpunkt Interventionskardiologie und Endoskopie. 2008/2009 saß Kühl im Wertinger Stadtrat und fungierte als Krankenhaus-Referent. Zurzeit arbeitet der Wertinger als freiberuflicher Flugarzt für internationale Patientenrückführung in ihre Heimatkrankenhäuser.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden