Wie riskant ist die Delta-Variante für Deutschland?
Die Coronavirus-Mutation breitet sich in vielen Länder rasant aus. Doch Experten warnen vor Panik - und verweisen auf Erfahrungen aus dem Ausland.
Australien, Großbritannien, Israel, Portugal, Spanien: Der Blick in Länder, die glaubten, sie hätten die Corona-Pandemie nach teils bitteren Erfahrungen überwunden, beunruhigt derzeit viele, wenn sie auf die Gefahr der aus Indien stammenden sogenannten Delta-Variante blicken. In der australischen Millionenmetropole Sydney steht seit Samstag das Leben still. Die größte Stadt des Kontinents verhängte einen zweiwöchigen Lockdown. Die Menschen sollen bis auf wenige Ausnahmen wie Lebensmitteleinkäufe nicht das Haus verlassen. Offenbar hatte eine Flugzeug-Crew das Delta-Virus eingeschleppt und damit einen Fahrer beim Weg in die Quarantäne angesteckt.
Seitdem registrieren die australischen Behörden Hunderte Neuansteckungen trotz sommerlicher Temperaturen von bis zu 30 Grad. Die offiziellen Stellen sind besonders alarmiert, nachdem ihre Nachforschungen die hohe Ansteckungsgefahr der Delta-Variante auf einer Überwachungskamera in einem Einkaufszentrum in Sydney regelrecht beobachten konnten: Zwei Menschen liefen an einem Infizierten nur kurz vorbei und steckten sich höchstwahrscheinlich in diesem Moment an, wie genetische Sequenzierungen des Virus-Erbguts ergaben. Allerdings tragen in Australien kaum Menschen eine Schutzmaske, da sie dazu nirgendwo verpflichtet sind. Auch die Region Darwin verhängte einen Lockdown.
In Israel haben rund 90 Prozent der Neuinfizierten die aggressivere Delta-Variante
Während in Australien gerade mal fünf Prozent der Menschen komplett geimpft sind, führt Israel mit knapp 60 Prozent die Impf-Weltrangliste an. Doch auch hier lässt die Delta-Variante die Zahlen der registrierten Neuinfektionen deutlich ansteigen. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist mit elf Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner sogar höher als in Deutschland.
Nach Untersuchungen des israelischen Gesundheitsministeriums haben rund 90 Prozent der Neuinfizierten die aggressivere Delta-Variante. Die meisten der Infizierten sind ungeimpfte Kinder, aber viele der positiv getesteten Menschen waren bereits geimpft. Auch in Europa breitet sich die Delta-Variante aus: In Großbritannien ist die Sieben-Tage-Inzidenz sogar auf 154 hochgeschossen, in Portugal auf 57.
Das Robert Koch-Institut hat das Urlaubsland als Virusvariantengebiet eingestuft – und so treten etliche deutsche Touristen eilig die Rückreise an, um noch vor Dienstag wieder zu Hause zu sein und so eine Quarantäne zu umgehen. Vor einigen Wochen hatte bereits Großbritannien das südliche EU-Land auf die Schwarze Liste gesetzt und damit für Bestürzung gesorgt – denn von nirgendwo kommen mehr Urlauber nach Portugal.
Die zweifache Impfung zeigt auch gegen die Delta-Variante einen sehr hohen Schutz
Während sich die Hotels leeren, werden die Krankenhäuser immer voller. Die Zahl der Patienten mit Covid-19 stieg am Sonntag abermals um 30 auf 477. Davon lagen 116 auf der Intensivstation. So hoch waren die Werte zuletzt Mitte April gewesen. Besorgniserregend ist vor allem die Lage im Großraum Lissabon, wo seit Wochen rund zwei Drittel aller landesweiten Ansteckungen verzeichnet werden – obwohl nur etwa 27 Prozent der 10,3 Millionen Bürger Portugals dort leben. Auch hier macht die besonders ansteckende Delta-Variante bereits mehr als 70 Prozent aller neuen Fälle aus.
Doch es gibt auch Hoffnungszeichen: Zum einen bietet die zweifache Impfung auch gegen die Delta-Variante einen sehr hohen Schutz. Sie schützt Geimpfte fast vollständig zumindest gegen schwere Krankheitsverläufe. Auch in Israel wurden zwar doppelt Geimpfte positiv auf die Delta-Variante getestet, die meisten hatten jedoch überhaupt keine Krankheitssymptome, wenige einen leichten, einer Grippe ähnlichen Verlauf. Die größte Gefahr besteht laut Experten für sehr alte Patienten und Menschen, deren Immunsystem geschwächt ist. „Es gibt bestimmte Patientengruppen, die auch bei einer Zweifach-Impfung schlecht oder gar nicht mit einem ausreichendem Immunschutz reagieren“, sagt Immunologe Carsten Watzl.
Genau für diese Gruppen soll es auch in Deutschland eine Drittimpfung spätestens im Herbst geben, damit die Betroffenen gut über den Winter kommen. Watzl nennt zudem Transplantations- oder Krebspatienten, Menschen mit Autoimmunerkrankungen oder bestimmte Fälle schwerer Rheuma-Erkrankungen, die spezielle Medikamente benötigen. „All diese Betroffenen sollte man vor dem Herbst mit einer dritten Impfung schützen, bevor die Welle mit der Delta-Variante über das Land rollt“, sagt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. „Alle Jüngeren werden mit ihrer Impfung sicher gut über den Winter kommen.“ Wie lange der Impfschutz anhält, müssten erst Studien zeigen.
Hohe Infektionszahlen bedeuten nicht mehr zwangsläufig viele schwere Verläufe
„Steigende Infektionszahlen mit Delta müssen beobachtet werden, man muss aber nicht panisch werden“, betont Watzl. „Wir müssen konsequent weiter impfen, damit auch bei uns der Zusammenhang zwischen Infektionen und schweren Verläufen gebrochen wird.“ Denn tatsächlich zeigen Studien aus Großbritannien und Schottland, dass dort zwar die Infektionszahlen wegen der Delta-Variante stark ansteigen. Doch anders als in allen anderen Wellen zuvor, steigen die Krankenhaus-Einweisungen aufgrund von Corona-Erkrankungen sehr viel geringer an.
Dies deutet daraufhin, dass die älteren Briten offenbar tatsächlich ausreichend durch die Impfungen vor schweren Krankheitsverläufen geschützt sind, während sich überwiegend jüngere Ungeimpfte anstecken. Die Jüngeren stecken eine Infektion in der Regel besser weg, zumindest ist ihr Risiko um ein Vielfaches geringer, an ein Beatmungsgerät zu müssen. „Dadurch wird die Verbindung zwischen Infektionszahlen und Krankenhausaufenthalten gebrochen“, betont Immunexperte Watzl. Schutz bräuchten aber vor allem die Kinder in den Schulen.
„Hohe Infektionszahlen bedeuten also nicht mehr zwangsläufig viele schwere Verläufe“, sagt der Dortmunder Professor. Gelänge es auch in Deutschland mit ausreichend Impfungen bis zum Herbst, die Kette zwischen Infektionen und Krankenhausaufenthalten zu zerschlagen, würde man nicht mehr Gefahr laufen, das Gesundheitssystem zu überlasten. „Deshalb müssen wir dafür werben, dass sich im Sommer möglichst viele Menschen impfen lassen, wenn genug Impfstoff zur Verfügung steht“, sagt Watzl. Er ist überzeugt: „Die vierte Welle wird kommen. Aber wenn genügend Menschen vollen Impfschutz gegen die Delta Variante haben, werden wir hoffentlich nicht mehr mit Maßnahmen wie einem Lockdown gegensteuern müssen.“
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Dass Herr Watzl ein Impfverfechter ist, hat sich ja in den letzten Beiträgen hier in der Augsburger Allgemeine schon gezeigt und das ist auch OK. Dass er auch die Kinder am liebsten durchimpft, was einige Politiker übrigens auch fordern, ist auch kein Geheimnis. Allerdings widerspricht er damit der Stiko-Empfehlung und auch die Kinder- und Jugendärzte springen da nicht auf den Zug mit auf: https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_90351062/corona-impfung-bei-kindern-kinderaerzte-widersprechen-lauterbach.html
"Kinder- und Jugendärzte haben sich in der Debatte um Risiken durch die Delta-Variante für Kinder hinter die Beurteilung der Ständigen Impfkommission (Stiko) gestellt. "Diese hat prinzipiell die Corona-Impfung für Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren nur bei bestimmten Vorerkrankungen empfohlen", sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Jörg Dötsch, der "Rheinischen Post" (Dienstagsausgabe)
"Ich schätze die Gesundheitsrisiken durch eine Corona-Infektion für Kinder und Jugendliche derzeit als so gering ein, dass auch Abwarten auf neue Erkenntnisse zur Impfung eine Option für zögerliche Menschen sein kann", sagte er. Die Sterblichkeitsrate und Erkrankungsschwere von Kindern und Jugendlichen nach einer Corona-Infektion seien ähnlich niedrig wie bei der saisonalen Grippe. Bislang gebe es keine Hinweise darauf, dass die Delta-Variante das ändere."