Was hinter dem Höhenflug und Absturz der Biontech-Aktie steckt
Das Papier des Impfstoffherstellers hat seit Jahresanfang massiv an Wert gewonnen. Jetzt will die Arzneimittelbehörde EMA den Impfstoff genauer unter die Lupe nehmen. Das hat prompt Folgen.
Der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech hat die schöne Adresse "An der Goldgrube 12". Dieses Detail ist zwar schon häufiger erwähnt worden, für zahlreiche Aktionärinnen und Aktionäre wurde die Verheißung aber tatsächlich wahr. Denn seit der Erstnotierung 2019 hat das Papier zeitweise rund 3000 Prozent zugelegt. Die Herstellung des Corona-Impfstoffs hat Biontech kräftig Schub gegeben. Jetzt hat eine kritische Nachricht der europäischen Arzneimittelbehörde EMA den Kurs aber stark korrigiert. Investment-Spezialisten raten, vorsichtig mit Einzelaktien zu sein.
Biontech ist es wie nur wenigen anderen Unternehmen gelungen, in Rekordzeit einen Corona-Impfstoff herzustellen. In Deutschland haben die meisten bisher gegen Corona geimpften Menschen das Biontech-Mittel erhalten. "Gemeinsam mit unserem Partner Pfizer haben wir die Marke von einer Milliarde ausgelieferter Covid-19-Impfstoffdosen weltweit überschritten", sagte Gründer Ugur Sahin. "Wir sind stolz darauf, diesen Meilenstein nach nur sechs Monaten erreicht zu haben." Biontech liefere den Impfstoff "in mehr als 100 Länder und Regionen weltweit", darunter auch in ärmere Staaten.
Biontech: Gewinn von 2,8 Milliarden Euro im zweiten Quartal
Durch den Corona-Impfstoff sind die Umsätze von Biontech in die Höhe geschnellt. Machte das Unternehmen im zweiten Quartal 2020 gerade mal einen Umsatz von 41,7 Millionen Euro, waren es heuer im gleichen Zeitraum rund 5,3 Milliarden (!) Euro. Vor einem Jahr hatten die Mainzer noch rote Zahlen geschrieben, nun erzielte Biontech einen Quartals-Nettogewinn von rund 2,8 Milliarden Euro. Das ist eine traumhafte Rendite, die kaum ein anderes Unternehmen derzeit erreicht.
Es ist klar, dass dies die Fantasie der Anleger beflügelt. "Biontech und Pfizer gehen davon aus, bis Ende 2021 bis zu drei Milliarden Dosen herzustellen", berichten die Mainzer. Das klingt nach einer guten Basis für die Zukunft, vor allem wenn Auffrischungsimpfungen nötig werden oder gegen neue Corona-Varianten geimpft werden müsste. Das Unternehmen entwickelt bereits seinen Impfstoff weiter, sodass dieser insbesondere gegen die Delta-Variante schützt.
Durch den rasanten Kursanstieg zählen die Brüder Andreas und Thomas Strüngmann inzwischen zu den reichsten Deutschen. Sie halten knapp die Hälfte der Biontech-Anteile. Auch Gründer Sahin haben die Kursgewinne zum Milliardär gemacht.
EMEA will Impfstoffe von Moderna und Biontech nochmals untersuchen
Doch Aktiengewinne können vergänglich sein. Das Biontech-Papier kratzte diese Woche bereits an der 400-Euro-Marke. Dann teilte die Arzneimittelagentur EMA mit, sie wolle die Impfstoffe von Biontech und Moderna nochmals unter Lupe nehmen. In einer kleinen Gruppe Menschen sind allergische Hautreaktionen und Nierenkrankheiten beobachtet worden. Prompt gab der Kurs der Biontech-Aktie stark nach. Auch das Papier des US-Herstellers Moderna knickte ein.
Anlage-Experte Sandro Fetscher: "Wo der Aktienkurs im nächsten Monat steht, weiß nur Gott"
Sandro Fetscher, Investment-Experte aus Augsburg, warnt deshalb, dass Einzelwerte wie die Biontech-Aktie trotz der guten Story mit großen Risiken verbunden sind. "Die Covid-Impfstoffe sind alles neue Wirkstoffe, die in kurzer Zeit zugelassen worden sind", sagt er. Es handele sich praktisch um ein "Feldexperiment", bei dem offen sei, ob in Zukunft noch Nebenwirkungen bekannt werden. "Dieses Damoklesschwert wird in den nächsten Jahren über den Biotech-Konzernen schweben", sagt Fetscher, Gründer des Investment-Unternehmens Professor Money.
Dazu kommt, dass der Biotech-Bereich mit hohen Forschungs- und Entwicklungskosten verbunden ist. "Dieses Geld muss erst einmal verdient werden", meint Fetscher. Letztlich sei auch die Konkurrenz ein Risiko: "Was, wenn im nächsten halben Jahr ein anderer Hersteller mit einem Impfstoff auf den Markt kommt, der eine höhere Wirksamkeit hat?"
Die Schwankungen der Aktienkurse seien unter Biotech-Firmen besonders hoch, lautet Fetschers Erfahrung. Es könne sein, dass die Kurse stark steigen, genauso gut können die Aktien nach kurzer Zeit nur noch halb so viel wert sein. "Wo der Aktienkurs in einem Monat steht, das weiß nur Gott", sagt der Börsenexperte.
Legt man einen großen Teil des eigenen Vermögens in eine Aktie an, sei dies deshalb seiner Meinung nach Spekulation. Akzeptabler findet es der Experte, wenn Anlegerinnen und Anleger zum Beispiel über 100.000 Euro verfügen, diese breit in Fonds und Einzelwerte gestreut haben und dann ein bis zwei Prozent des Betrages in eine Biotech-Aktie investieren. "Das Risiko ist dann überschaubar, selbst ein Verlust ist zu verschmerzen."
Fetscher selbst rät dazu, mit Aktienfonds oder ETFs zu arbeiten, die sich an Börsenindizes wie dem Dax orientieren. "Das ist besser und sicherer."
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