Copa América: Alles eine Nummer kleiner in Brasilien
Mit der Copa América ist das Ende einer Serie an Großereignissen in Brasilien erreicht. Das Ergebnis der brasilianischen Mannschaft könnte Jair Bolsonaro nutzen.
Als Brasiliens damaliger Präsident Lula da Silva (2003 bis 2011) die Fußball-Weltmeisterschaft und Olympische Sommerspiele ins Land holte, galt der südamerikanische Gigant noch als potenzielle Supermacht in einer sich neu formierenden Weltordnung. Das Magazin Forbes zeigte auf seiner Titelseite eine Christus-Statue als Rakete, die gen Himmel startete. Gerade waren Öl und Gasvorkommen entdeckt worden und Lula setzte voll auf fossile Brennstoffe als Motor für Wirtschaftswachstum. Nichts konnte und sollte Brasilien aufhalten. Es kam anders: Lula überschätzte sich und sein Land. Der Ölpreis stürzte ab und heute sind fossile Brennstoffe alles andere als zukunftstauglich. Statt zu wachsen, versank Brasilien in Korruption und Chaos. Lula da Silva sitzt inzwischen im Gefängnis, auch wenn seine Verurteilung umstritten ist.
Fünf Jahre nach der WM und drei Jahre nach Olympia endet nun ein bemerkenswerter Reigen von Großereignissen: Weltjugendtag und Confed Cup 2013, WM 2014, Olympia 2016 und nun die Copa América, die am Freitag mit dem Auftaktspiel zwischen Gastgeber Brasilien und Bolivien in São Paulo beginnt.
Die Seleção muss bei der Copa América auf Neymar verzichten
Diesmal ist alles anders am Zuckerhut und im Rest dieses riesigen Landes. Alles ist eine Nummer kleiner und überschaubarer. Und darin liegt eine große Chance. Straßenhändler werden nicht aus dem Umfeld der Stadien verjagt, wie es die Knebelverträge mit Fifa und IOC verlangten.
Hotel- und Flugpreise sind auch wenige Tage vor Beginn des Turniers noch erschwinglich. Die Erwartungshaltung ist nach den Enttäuschungen der vergangenen Jahre beim Durchschnittsbrasilianer zusammengedampft. Und weil die Seleção auf ihren verletzten und in juristischen Problemen steckenden Superstar Neymar verzichten muss, gilt sie nicht als der große Favorit.
Das alles sind Zutaten für eine Überraschung, die die junge, neuformierte Mannschaft von Nationaltrainer Tite schaffen kann. Gelingt es ihr, durch einen überzeugenden Auftaktsieg gegen Bolivien in der Nacht zum Samstag eine neue Euphorie zu entfachen, wäre der Boden bereitet für eine große brasilianische Party, die eigentlich hätte schon viel früher steigen sollen.
Präsident Jair Bolsonaro könnte von den Ergebnissen bei der Copa America profitieren
Profitieren könnte davon der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro. Er ist seit Jahresbeginn im Amt. Zwar schaut der Rest der Welt mit Schrecken auf die hoch umstrittene Umweltpolitik Bolsonaros im von Abholzung bedrohten Regenwald, doch erste Indizien deuten an, dass sein umstrittener Politikkurs das Land stabilisiert: Im Mai gab es erstaunlich positive Arbeitsmarktdaten, zudem ist die Inflation auf dem niedrigsten Stand seit über zehn Jahren. Und auch die Mordrate sank laut jüngster Statistik um 23 Prozent.
Am Tag des Eröffnungsspiels ist aber auch ein Generalstreik geplant. Gewerkschaften, Studenten und Anhänger der langjährigen Regierungspartei PT wollen auf die Straße gehen und gegen Bolsonaros Sparpolitik und für die Freilassung des inhaftierten Lula da Silva demonstrieren.
Bolsonaro sucht derweil den Schulterschluss zum Fußball. Beim Spiel des populären Traditionsvereins Flamengo in Brasilia präsentierte sich Bolsonaro am Mittwochabend mit seinem umstrittenen Justizminister Sérgio Moro, der Lula noch als Ermittlungsrichter ins Gefängnis brachte, im Flamengo-Trikot. Die meisten Zuschauer feierten das prominente Duo.
Beifall und Jubel für einen Politiker in einem brasilianischen Stadion gab es schon lange nicht mehr. Als sich die damalige Präsidentin Dilma Rousseff beim Confed Cup 2013 im Stadion zeigte, gab es in Brasilia ein gellendes Pfeifkonzert.
Es wird spannend sein zu sehen, wie das Publikum reagiert, sollte sich Bolsonaro nun bei einem Seleção-Heimspiel zeigen. Schon bei den Testspielen hatte der Präsident die Nähe zur Nationalmannschaft gesucht und sich hinter den von bislang nicht bewiesenen Vergewaltigungsvorwürfen bezichtigten Neymar gestellt.
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