
Drei Solo-Selbstständige erzählen von ihrem härtesten Jahr

Plus Die Corona-Krise hat Solo-Selbstständige besonders hart getroffen. In Wortlaut-Protokollen berichten sie von großen Plänen und jäher Enttäuschung.
Die Corona-Krise stellt das Leben vieler Menschen auf den Kopf - und trifft den Arbeitsmarkt hart. Wer sind die Menschen, die ihren Job verloren haben? Dieser Frage sind wir im Sommer und Herbst in einer Bürgerrecherche in Zusammenarbeit mit Correctiv nachgegangen. Herausgekommen sind die Geschichten von Menschen, die sonst nicht im Mittelpunkt stehen. Viel Spaß beim Lesen!
Tatjana Stieglitz, 52, betreibt einen Stand auf der Augsburger Dult und zieht von Markt zu Markt:
"Erklären Sie mir das einmal: Wenn Sie auf einem Markt eine tolle Backform sehen, dann ein bisschen grübeln - kaufen oder nicht? Und Sie gehen dann erst einmal in Gedanken weiter. Nach einigen Metern stellen Sie fest, ja die kaufe ich. Eigentlich drehen Sie dann um, kehren zu meinem Stand zurück und kaufen. Gilt das Einbahnstraßensystem, dann geht das nicht. Sie kommen nicht zurück, nur dann, wenn Sie noch einmal eine halbe Stunde im Kreis gelaufen sind. Unter diesen Bedingungen lief mein Geschäft die letzten Wochen und Monaten. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich schränke mich auch ein. Ich bin Risikopatientin. Ich kaufe nun auch verstärkt im Internet ein. 95 Prozent beträgt mein Umsatzausfall.
"Das Jahr ist gelaufen."
Was ich mir wünsche, sind echte Hilfen, die ankommen. Oder Standorte, an denen ich wirklich hätte Geld verdienen können. Die Märkte wurden eingezäunt und mit Mindestbesucherzahlen belegt. Oder wir bekamen Plätze, die uns nichts brachten, bei denen die Händlerzahl reduziert war und die Stände zu weit auseinander gezogen wurden. Es ist ja nett gemeint, wenn die Stadt uns vor einigen Monaten einen Platz vor der City-Galerie in Augsburg stellt. Aber dort kommen die Menschen mit dem Auto direkt im Parkhaus an. Die haben gar nicht gemerkt, dass wir Marktleute vor der Tür stehen. Das war ein Draufzahlgeschäft. Wie ich mich über Wasser halte? Meine Frau arbeitet, ihr Gehalt reicht zum Lebensunterhalt. Nicht für meine gewerblichen Kosten im Monat. Von den geringen staatlichen Hilfen darf ich allerdings keinen Cent für Krankenversicherung hernehmen, geschweige für private Zwecke. Wirklich zählbares kam im letzten Quartal nicht zustande. Das Jahr ist gelaufen."

Tobias Blaser, 34, produziert Videos für Firmen und fotografiert auf Hochzeiten.
"Eigentlich wäre ich in den letzten Monaten durch Europa geflogen, von Stadt zu Stadt, ich hätte für eine große Firma Videos produziert für ihren Messeauftritt. Außer dass ich für Firmen Videos produziere, fotografiere ich Hochzeiten. Mit einer Gesellschaft wäre ich nach Italien geflogen. Vor Corona lief es gut, ich war zufrieden.
Während der Pandemie gab es Zeiten, da hatte ich fast keinen Cent mehr – von heute auf morgen. Ich las, dass die Politik etwas tun will. Gelder sollten bereitgestellt werden, ich war optimistisch, da ich Angst hatte, dass die Aufträge komplett ausbleiben würden. Da wäre Unterstützung gut gewesen. Dann haben wir Fotografen und Filmer gemerkt: Für uns ist nichts dabei. Ich arbeite von zu Hause aus, mein Büro befindet sich in meiner Wohnung. Doch die Hilfen waren nur für die Betriebskosten bestimmt. Dass ich auch essen und meine Miete zahlen muss, davon will die Politik nichts wissen. Ich bin froh, dass ich Rücklagen habe, die greife ich nun an. Wissen Sie, Ich hatte noch nie das Gefühl, dass die Politik die Solo-Selbstständigen liebt und jetzt erst recht nicht.
Mir geht es noch einigermaßen gut. Ich kann mich über Wasser halten. Und wenn es doch nicht klappt? Ich habe International Management studiert. Dann müsste ich mir wohl einen normalen Job suchen und mich anstellen lassen. Wollen tue ich das natürlich nicht. Aber ich habe es in der Hinterhand. Ich habe das Gefühl, die Politik subventioniert nur das Angestelltenverhältnis und die großen Unternehmen.“
Ein Augsburger, der anonym bleiben möchte, 42, ist Videotechniker und Videoproduzent.
"Gewissheit, dass sich alles ändern würde, kam zu dem Zeitpunkt, als der Genfer Autosalon abgesagt wurde. Jetzt war allen klar: Es wird ernst. Ich habe innerhalb von zwei Tagen meine Aufträge verloren. Ich dachte, ich hätte schon alles erlebt als Selbstständiger, doch die Pandemie war eine neue Erfahrung.
Mein Steuerberater hat mich dazu überredet, Hartz IV zu beantragen. Für einen Selbständigen ein schwerer Schritt. Ähnlich schwer wie die Beantragung der bayerischen Soforthilfe. Hier wurde mir schnell und unkompliziert geholfen, auch wenn der Hartz IV-Antrag mit rund 500 Seiten alles andere als einfach war. Im Sommer wollte ich dann die Kredite der Landesbank und der KfW beantragen. Den KfW-Kredit lehnte meine Hausbank ab. Und auch den Kredit der Landesbank, gab es nur unter hohen Hürden. Warum es uns so schwer gemacht wird, ist mir schleierhaft. Ab Herbst stiegen meine Umsätze wieder an, mit den Umsätzen steigen die Infektionszahlen. Jetzt ist der zweite Shutdown Realität. Viele meiner Kollegen mussten aufgegeben. Ich halte noch durch.
"Ich halte noch durch."
Wir als Veranstaltungsbranche haben zu lange im Verborgenen gearbeitet. Unser Motto war: Nicht auffallen, im Hintergrund dafür zu sorgen, dass Veranstaltungen stattfinden und das Fernsehen läuft. Wir haben viel zu wenig Lobbyarbeit geleistet. Trotz der Wirtschaftsmacht die Fernsehen und Veranstaltungsbranche, Kunst und Kultur, besitzen. Wir haben keinen Zugang zur Politik. Inzwischen sind zwei meiner Weggefährten an Corona verstorben. Noch vor Weihnachten werden wir die Beisetzung eines Freundes aufzeichnen."
Dieser Text ist Teil unserer Bürgerrecherche "Job weg - und nun?". Das Projekt ist in Kooperation mit der Deutschen Journalistenschule entstanden und wurde gefördert von "Netzwerk-Recherche".
Die Übersichtsseite zu unserem Projekt erreichen Sie hier.
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