Darum sind die EU und die Schweiz im Börsen-Clinch
Brüssel will die Eidgenossen abstrafen, Bern reagiert mit einem Gegenschlag. Was hinter dem Zoff zwischen der Schweiz und der EU steckt.
Die Schweiz und die EU: Der Zwerg mit 8,5 Millionen Einwohnern und der Koloss mit einer Bevölkerung von mehr als 510 Millionen sind wirtschaftlich und politisch eng verbunden. Die ungleichen Partner begegnen sich aber oft mit Misstrauen und Unverständnis. Das jüngste Kapitel in der schwierigen Beziehung begann Anfang dieser Woche: Die Schweizer Börse SIX eröffnete am Montag, ohne dass die EU sie noch anerkennen wollte. Brüssel hatte dem Handelsplatz die „Äquivalenz“ entzogen, sieht die Börse in Zürich also nicht mehr als gleichwertig an. EU-Händler können dort erst einmal nicht mehr uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Damit wollen die Europäer die Eidgenossen politisch bestrafen – für ihre Unbotmäßigkeit beim sogenannten Rahmenabkommen.
Doch die Sanktion zeigte zunächst keine Wirkung. Der Schweizer Leitindex SMI legte zu und hielt sich über der psychologisch wichtigen Marke von 10.000 Punkten. Am Montag hatten sich die Eidgenossen sogar über „prächtige“ Geschäfte gefreut, wie das Fachmedium Finanz und Wirtschaft jubelte. Der „Börsenhandel brummt auch ohne EU-Äquivalenz“, hielten die Experten fest. Im SMI seien am Montag fast vier Milliarden Schweizer Franken umgesetzt worden: „Das sind rund sechs Prozent mehr als an einem durchschnittlichen Handelstag des vergangenen Quartals“, lautete das Fazit.
Hinter dem Streit steckt ein Zwist um das Rahmenabkommen
Der Entzug der Äquivalenz bedeutet konkret, dass seit dem 1. Juli keine Bank und kein Finanzunternehmen aus der EU mehr an der Schweizer Börse handeln darf. Dieses Verbot der Europäischen Union parierte die Regierung in Bern jedoch mit einem Gegenschlag. Das Eidgenössische Finanzdepartement untersagte den Börsen in der EU ebenso mit Wirkung zum 1. Juli „den Handel mit bestimmten Beteiligungspapieren von Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz anzubieten oder diesen Handel zu ermöglichen“. Somit mussten die Börsen in Frankfurt oder London Schweizer Aktien aus dem Angebot nehmen. Betroffen sind etwa die Schwergewichte UBS, Nestlé oder Novartis. Ihre Anteile werden nun noch stärker an der Schweizer Börse gehandelt.
Hinter dem Schlagabtausch steckt das sogenannte Rahmenabkommen zwischen Bern und Brüssel. Vor gut fünf Jahren begannen auf Drängen der EU die Verhandlungen über das Abkommen, das die bilateralen Beziehungen regeln soll. Es soll sicherstellen, dass die Schweizer relevantes EU-Recht akzeptieren und umsetzen. Streitfälle wollen die Parteien durch eine neue Instanz geregelt wissen. Nachdem sich Europäische Union und die Schweiz im Dezember 2018 prinzipiell auf das Abkommen geeinigt hatten, verspürte die Regierung in Bern jedoch innenpolitischen Druck. Kritiker des Abkommens beklagten inakzeptable neue Auflagen der Europäischen Union. Gewerkschaften warnten vor einem Absinken der hohen Schweizer Löhne auf das niedrigere Niveau innerhalb der EU.
Juncker will keinen Dialog mit der Schweiz
Um das und anderes Ungemach doch noch zu verhindern, schlug Helvetiens Bundespräsident Ueli Maurer am 7. Juni dem noch amtierenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker einen neuen „Dialog“ vor. Juncker wollte aber von Nachverhandlungen nichts wissen und setzte den Eidgenossen die Pistole auf die Brust: Innerhalb weniger Tage sollten zwischen den Kontrahenten alle Unklarheiten ausgeräumt sein. Für den schwerfälligen Berner Politikbetrieb war die kurze Frist ein Ding der Unmöglichkeit. Ohne Einigung, so ließ Juncker durchblicken, werde die EU die Börsenäquivalenz fallenlassen. So kam es dann auch.
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