Der Klimaschutz birgt Sprengstoff für die Koalition
Während in Berlin die Umweltminister aus über 30 Staaten tagen, hat ein Forschungsinstitut einen Plan für die Energiewende vorgelegt. Der hat Konfliktpotenzial.
Wenn Politik das Bohren dicker Bretter ist, haben die Klimaforscher der Bundesregierung einen Balken vor die Tür gelegt. Der Termin war passend gewählt. Denn gleichzeitig kamen am Montag in der Hauptstadt im Rahmen des jährlichen Petersberger Klimadialogs Umweltminister aus drei Dutzend Staaten zusammen, um darüber zu beraten, wie der Kampf gegen die Erderwärmung verbindlich geführt werden kann.
Thinktank Agora Energiewende arbeitet 15 Vorschläge aus
Unter den Augen der internationalen Öffentlichkeit bekam die Bundesregierung also ihre Versäumnisse aufgezeigt. "Sie können das als eine Kabinettsvorlage lesen", sagte der Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende, Patrick Graichen, bei der Vorstellung des Klimaschutzplans seines Instituts.
Dieses Jahr entscheide sich, ob Deutschland seine Klimaziele für 2030 erreichen könne, meinte der ehemalige Referatsleiter für Energie- und Klimapolitik im Bundesumweltministerium.
Seine 15 Vorschläge sind sehr weitreichend und haben die Kraft, die Koalition zu sprengen. Schon bei Punkt 1 sind Union und SPD zerstritten. Graichen fordert die Verabschiedung eines Klimaschutzgesetzes nach dem Entwurf von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) mit bindenden Vorgaben für die Bereiche Energieerzeugung, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Industrie, wie viel CO2 sie einsparen müssen.
In der CSU wird der Ansatz mit dem Vorgehen einer sozialistischen Räterepublik verglichen. Der nächste Knackpunkt folgte prompt an zweiter Stelle. Die Agora-Klimaforscher verlangen die Einführung einer Kohlendioxid-Steuer von 50 Euro je Tonne Treibhausgas. Nach ihren Berechnungen würde damit der Liter Benzin um zwölf Cent teurer, der Liter Diesel um 13 Cent und Erdgas um einen Cent je Kilowattstunde.
CO2-Steuer soll Menschen zum Umstieg auf Bus und Bahn motivieren
Dadurch sollen die Menschen dazu gebracht werden, öfter Bus und Bahn zu nehmen oder eine sparsame Heizung einzubauen. Die Einnahmen sollen an 80 Prozent der Bürger zurückgezahlt werden, um wirtschaftlich Schwächere und Normalverdiener nicht zu belasten. Die wohlhabendsten 20 Prozent sollen hingegen die Klimaabgabe berappen.
Bei der CDU hat sich der Wirtschaftsflügel klar gegen die Steuer gestellt, bei den Christsozialen sogar die Parteispitze. Die SPD plädiert für eine CO2-Steuer, allerdings will sie zunächst nur 20 Euro kassieren.
In der Regierung besonders unter Druck steht Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Sein Sektor bläst noch genauso viel CO2 in die Luft wie 1990. Der CSU-Politiker muss also Einschneidendes auf den Tisch legen, wenn die Fachminister im Klimakabinett am 29. Mai ihre Pläne vorstellen. Agora schlägt ihm unter anderem den Umbau der Kfz-Steuer vor. Kleine, verbrauchsarme Wagen und Elektro-Autos sollen einen Bonus erhalten, schwere Karossen draufzahlen.
Der Kauf PS-starker Limousinen und SUVs aus den Fabriken von BMW, Daimler und VW würde 5000 Euro teurer. Dass der Verkehrsminister Politik gegen die eigenen Autohersteller macht, ist aber selbst nach Jahren der Dieselkrise nicht zu erwarten.
Windenergie: Rekord bei der Erzeugung, aber kaum neue Windräder
Scheuer und Schulze bilden die Extrempole innerhalb der Koalition, wenn es um die Klimapolitik geht. Beide Politiker liefern sich einen Kleinkrieg um die dringend benötigten Antworten auf die Aufheizung der Erde. Allein diese drei der 15 Punkte aus dem Agora-Katalog zeigen exemplarisch, welche Welten Schwarz-Rot trennen.
Unter den Vorschlägen finden sich außerdem die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Straßen und die Verdopplung der Ausbauziele für Solarenergie. Auch diese beiden Schritte würden für viel Ärger im Regierungsbündnis sorgen. "Das Versprechen von Paris einlösen heißt aus meiner Sicht für Deutschland: noch in diesem Jahr ein starkes Klimaschutzgesetz zu beschließen", machte die SPD-Ministerin zum Auftakt des sogenannten Petersberger Klimadialogs Druck auf CDU und CSU. Sie ziehe damit die Lehren aus der Vergangenheit, wonach es an Verbindlichkeit gefehlt habe.
Die Umweltminister treffen sich seit 2010 regelmäßig in Deutschland, um die jeweils nächste Welt-Klimakonferenz vorzubereiten. Seinerzeit vor neun Jahren war die Bundesrepublik noch Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Neue Ansätze für den ganzen Erdball kamen aus Deutschland. Konsequent zu Hause umgesetzt wurden sie nicht. Deshalb sieht der ehemalige Pionier im internationalen Vergleich mittlerweile alt aus. Die Energiewende verschlingt enorme Summen, bringt aber zu wenig.
Dazu passt, welche Entwicklung die Windenergie in Deutschland gerade nimmt: Denn zum einen hat die Produktion von Windstrom einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Auf den anderen Seite werden an Land so wenig neue Windräder errichtet wie seit vielen Jahren nicht mehr.
In diesem Jahr (Stand 7. Mai) wurde bislang nach Angaben des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE annähernd die Hälfte des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Quellen hergestellt, genau 46,8 Prozent. In den ersten drei Monaten des Jahres gingen aber nur 41 Windräder ans Netz. Das waren fast 90 Prozent weniger als im gleichen Quartal des Vorjahres. (mit dpa)
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