Wieder muss sich ein Gericht mit dem Stoff beschäftigen, der so sehr im Kontrast zu unseren Werten steht. Dabei ist das Thema nicht juristisch zu lösen.
Vielleicht ist es ja die eine Frage, die die Menschheit für alle Ewigkeiten umtreiben wird. "Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?", ließ Faust das Gretchen fragen. Heute sind es die Gerichte, die klären müssen, wie viel offen zur Schau getragener Glaube die Gesellschaft hinnehmen muss. Während Musliminnen heute zum Weltkopftuch-Tag aufrufen, ist beim Europäischen Gerichtshof ein Fall gelandet, bei dem es ums Grundsätzliche geht: Dürfen Unternehmen religiöse Symbole am Arbeitsplatz verbieten? Das Urteil wird einen Präzedenzfall schaffen. Und doch wird es die Gesellschaft nicht von der Pflicht entbinden, selbst eine Antwort zu finden. Denn die Frage, die hinter dem Streit steht, ist die nach dem richtigen Weg hin zur Integration.
Was wäre die Folge eines Kopftuch-Verbots?
Was wäre, wenn…? Was wäre, wenn die junge Frau, die das Urteil erzwingt, künftig nicht mehr mit Kopftuch bei der Arbeit erscheinen darf? Wird sie dann das Kopftuch ablegen und als Symbol der weiblichen Unterdrückung erkennen? Oder wird sie kündigen und sich in eine Parallelwelt zurückziehen, ins Private, wo sie Kopftuch tragen wird?
Der Fall ist komplex: Diesmal geht es nicht um Lehrerinnen, Polizistinnen oder Richterinnen, denen man einen sensiblen Umgang mit der eigenen weltanschaulichen Grundposition zumuten darf. In einem Gerichtssaal hat das Kopftuch ebenso wenig Platz wie die Kippa oder ein Parteiabzeichen – der säkulare Staat muss auch nach außen hin sichtbar sein. Anders ist es im vorliegenden Fall: Es geht um eine Verkäuferin in einem Drogeriemarkt, eine Dienstleistung, bei der religiöse Ausrichtung der Mitarbeiter herzlich egal sein kann. Nicht was seine Angestellten auf dem Kopf haben sollte für den Unternehmer von Bedeutung sein – sondern, was sie im Kopf haben.
Den Staat geht mein Kleiderschrank nichts an
Keine Frage: Das Kopftuch steht für ein Frauen- und Weltbild, das unserem Verständnis in besonders krasser Form widerspricht. Es steht für männliche Dominanz, die in einer modernen Gesellschaft keinen Platz mehr hat. Es ist daher richtig, dass die öffentliche Debatte über das Kopftuch nicht verstummt. So belastet der Begriff Leitkultur sein mag, ist es doch genau das, was Gruppen für sich definieren müssen: Leitplanken für die eigene Überzeugung. Doch nicht alles, was wir nicht gut finden, muss auch mit einem Verbot bekämpft werden – darin unterscheidet sich Deutschland von Staaten wie dem Iran oder Saudi Arabien. Die deutsche Gesellschaft hält ein Kopftuch an der Drogeriemarkt-Kasse aus. Der Staat darf über Recht und Ordnung wachen, nicht jedoch über den Kleiderschrank. Erst in der Vielfalt wird sich beweisen, wie belastbar unsere Demokratie und unser Werteverständnis wirklich sind.
Kein Kopftuch ist auch keine Lösung
Lösen lässt sich das Problem allein durch das Einführen von Kleidungsvorschriften ohnehin nicht. Nur mit größeren Integrations-Anstrengungen wird es gelingen, dass zumindest der jungen Generation von Frauen der Weg zu einem selbstbestimmten Leben geebnet wird. Hier liegt das eigentliche Versagen: Viel zu lange hat es der Staat versäumt, aktiv in die Biotope der Zugewanderten hineinzuwirken. Statt sich mit praktischen Herausforderungen zu beschäftigen, werden lieber Scheindebatten geführt und philosophische Nebelmaschinen angeworfen. Über kaum eine Frage hat sich die Politik mehr echauffiert als über jene, ob der Islam zu Deutschland gehöre. Es ist das Vortäuschen von politischer Aktivität, die plakativ wirkt und doch in der Theorie verharrt. Genauso verhält es sich mit dem Kopftuch: Wer es verbannt, erhält nicht automatisch eine homogene Gesellschaft. Kein Kopftuch ist also auch keine Lösung.
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"Die Gesellschaft" hat schon viel ausgehalten, was anschließend als sozialer Zerfall beklagt wurde. Das Kopftuch ist eine Scheidelinie, ein Symbol, das leider neben den persönlichen Aspekten auch viele öffentliche hat, z. B. Einmischung nationalistisch-reaktionärer Staaten wie der Türkei in innenpolitische Angelegenheiten, der Einfluss einer z. T. aggressiven und scheinbar nicht entwicklungsfähigen Religion oder einfach nur das Unvermögen, im Sinne des menschlichen Gemeinschaftsbedürfnis (heute) noch Ungleiches gleich zu machen. Die weiche Linie in allen Ehren, aber: beim Steuerzahlen habe ich die auch nicht.
Der EuGH hat doch bereits entschieden, dass ein Arbeitgeber AUCH ein Kopftuch im Kundenkontakt verbieten kann, wenn er denn zugleich alle anderen weltanschaulichen Zeichen verbietet und gute Gründe dafür hat. https://www.sueddeutsche.de/karriere/religionsfreiheit-arbeitgeber-duerfen-kopftuch-am-arbeitsplatz-unter-umstaenden-verbieten-1.3418686
Sie meinen, wenn die Klägerin unterläge, würde sie sich in eine Parallelgesellschaft zurückziehen (müssen?). Vllt. aber auch gerade nicht, weil dann klar ist, dass sie eben nur zur Arbeit gehen kann, wenn sie dort nicht offenkundig ein Symbol ihrer Religion vor sich hertrüge (Metapher).
Es wird beklagt, dass Muslima, die Kopftuch tragen dreimal mehr Bewerbungen schreiben müssten. Welch Wunder, wenn der AG nun mal nicht will, dass religiöse Symbole in seinem Betrieb offensiv gezeigt werden und er weiß, dass er so etwas auch nicht unterbinden kann. Nach einem Urteil im Sinn der Klägerin, könnte es sein, dass viermal mehr Bewerbungen geschrieben werden müssen.
Die Religionsfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht. Ob man sie aber unbedingt an seinem Arbeitsplatz ausüben muss? Auch das mit dem Gewähren von Betzeiten halte ich für grenzwertig.
Der Staat wacht nicht über den Kleiderschrank, wenn er dem Arbeitgeber das Recht zugesteht, seinen Betrieb weltanschaulich neutral zu gestalten. Warum soll ihm nicht zustehen, was in staatlichen Institutionen für angebracht gehalten wird? Grundsätzlich ist der Privatmann ja deutlich freier in seinen Handlungen als der Staat. Die Diskriminierung ist nur eine gern benutzte Keule seine Rechte auszuhebeln. Zieht aber nicht, wenn eben ALLE religiösen Symbole untersagt werden.
Unsere Gesellschaft hält das aus? Gewiss. Aber darum geht es ja gar nicht! :-)
Also mir ist es ganz egal, ob mich jemand mit oder ohne Kopftuch bedient, ob eine Kollegin neben mir mit oder ohne Kopftuch arbeitet.
Der menschliche Umgang ist entscheidend; nicht das, was man auf dem Kopf, sondern im Kopf hat. Jede Frau muss selbst entscheiden, wie sie sich zeigen möchte. Ob die Frauen muslimischen Glaubens in ein paar Jahren vorwiegend ohne Kopftuch zu sehen sein werden – sie müssen diesen Weg ganz allein entscheiden. Lächerlich, dafür die Gerichte zu bemühen.