Hat die Europäische Zentralbank ihre Kompetenzen überschritten?
Nicht nur der mögliche Brexit lässt Europa zittern. Warum auch deutsche Richter ein politisches Beben mit einem Urteil zur Europäischen Zentralbank auslösen könnten.
Politiker neigen ja bisweilen zur Übertreibung. Wann immer eine wichtige Entscheidung ansteht, redet irgendjemand gleich von einer „Schicksalsfrage“. In dieser Woche kann man das allerdings ohne Übertreibung tun. Denn in dieser Woche steht für Europa eine Menge auf dem Spiel.
Da sind natürlich die Briten, die am Donnerstag abstimmen, ob sie Teil dieser Europäischen Union bleiben wollen. Aber auch in Karlsruhe geht es um Grundsätzliches. Schon morgen entscheidet dort das Bundesverfassungsgericht, was Notenbanken im Kampf gegen die europäische Schuldenkrise tun dürfen – und was nicht.
Urteil gegen die Europäische Zentralbank mit Auswirkungen
Im Kern geht es dabei um die Frage, ob die Europäische Zentralbank ihre Kompetenzen überschritten hat. Deren Chef Mario Draghi hatte im Sommer 2012 auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise versprochen, man werde notfalls unbegrenzt Staatsanleihen verschuldeter Euro-Staaten aufkaufen, um die Lage zu stabilisieren. Seine Aussage „Whatever it takes“ wurde zum geflügelten Wort. Auf Deutsch hieß das in etwa: Die Europäische Zentralbank wird alles tun, um einen Zusammenbruch der Finanzmärkte zu verhindern – „koste es, was es wolle“.
Mit seiner Aussage wollte Draghi die hypernervösen Finanzmärkte beruhigen. Und zumindest teilweise ist ihm das auch gelungen. Allein die Ankündigung des Italieners entspannte die Lage. In das „Anleiheaufkaufprogramm“ ist dann zwar kein einziger Euro geflossen, doch Experten und Justiz streiten schon seit Jahren darüber, ob Draghi zu weit gegangen ist. Schließlich hat er die nationalen Notenbanken, also auch die Bundesbank, in Mithaftung genommen. Und am Ende haftet schließlich der Steuerzahler.
Besonders brisant ist die Debatte, weil das Bundesverfassungsgericht den Alleingang des Notenbank-Chefs grundsätzlich ganz anders bewertet als der Europäische Gerichtshof. Sollten die Karlsruher Richter morgen also tatsächlich auf Konfrontationskurs zu den Kollegen in Luxemburg gehen, dürfte sich die Bundesbank im Notfall möglicherweise gar nicht an den umstrittenen Anleihekäufen beteiligen. Jedenfalls nicht unter den bisherigen Bedingungen. Damit blieben von Draghis Versprechen nur leere Worte. Neue Turbulenzen an den Finanzmärkten wären nicht ausgeschlossen.
Dort liegen die Nerven ohnehin schon blank. Gespannt warten die Börsen auf das Brexit-Referendum. Am Donnerstag entscheiden die Menschen auf der Insel, ob ihr Land aus der Europäischen Union austritt oder nicht. Nach dem Mord an der bekannten Brexit-Gegnerin Jo Cox wurde der hart geführte Wahlkampf auf der Insel vorübergehend unterbrochen. Nun geht es in den Endspurt. Es steht eine Menge auf dem Spiel. Für Großbritannien. Und für Europa.
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