Genug geteilt? Wie erfolgreich Carsharing tatsächlich ist
Eine neue Studie zeigt: Der Komfort des Privatwagen ist unschlagbar. Das Carsharing floppt. Stimmt nicht, sagt der Bundesverband. Was ist nun richtig?
Es klingt so einfach: Auto suchen, beim Anbieter registrieren, online bezahlen. Mit dem Handy die Autotüre entriegeln, einsteigen und sofort losfahren. Carsharing-Modelle galten in den vergangenen Jahren als erfolgreiches Mobilitätskonzept. Die Nachfrage sollte eigentlich massiv steigen, die Dienste den Privatwagen komplett ablösen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das sagt zumindest Ferdinand Dudenhöffer, Autoexperte von der Universität Duisburg-Essen. „Wir haben vom Carsharing eine Bestandsaufnahme der letzten zehn Jahre gemacht – und das Ergebnis ist ernüchternd.“
Anzahl der Autos nimmt besonders in Großstädten zu
Zu dieser Einschätzung kommt Dudenhöffer in einer aktuellen Studie. „Immer wieder hört man: Carsharing boomt, immer mehr Menschen verzichten auf das eigene Auto. Doch das beißt sich mit der Realität.“
Laut den Untersuchungen des Branchenfachmanns ist erstens die Anzahl aller Autos in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren angestiegen. 2009 waren 41,3 Millionen Pkw angemeldet, 2019 rund 47,1 Millionen. Vor zehn Jahren kamen auf 1000 Einwohner 504 Autos, 2019 waren es schon 567 Stück. „Angesichts aller Diskussionen zum Thema Mobilität und Klimawandel finde ich diese Entwicklung erstaunlich.“
Zweitens nimmt vor allem in deutschen Großstädten die Anzahl an Autos immer weiter zu. In Augsburg zum Beispiel liegt die Wachstumsrate bei 19,8 Prozent, 2011 waren dort etwa 1130.00 Autos gemeldet, 2019 kletterte die Anzahl auf mehr als 136.000. Ähnlich sieht es auch in Ingolstadt und München aus. „Das war ebenfalls überraschend für mich. Es heißt, die Menschen in der Großstadt wollen keine Autos mehr. Die Daten aber zeigen etwas anderes.“
Neben den Autozahlen hat Ferdinand Dudenhöffer auch Carsharing selbst untersucht. Im Jahr 2019 waren in Deutschland etwa 2,5 Millionen Fahrberechtigte und rund 20.000 Fahrzeuge registriert. „Das passt hinten und vorne nicht zusammen. Die Zahl erscheint äußerst unrealistisch, es scheinen viele Karteileichen im System zu sein.“ Carsharing ist laut Dudenhöffer zudem ein schwieriges Geschäftsmodell. „Carsharing-Anbieter haben hohe Kapazitätskosten.“ Manche Anbieter hätten deshalb in den vergangenen Jahren fusioniert, um wirtschaftlich zu bleiben, andere dagegen seien insolvent gegangen oder wurden eingestellt. „Werden die Fahrzeuge nur gering ausgelastet und sind die Preise nicht kostendeckend, fahren die Unternehmen in die Verluste.“
Was sagen die Betreiber aus der Praxis?
Gegen diese Erkenntnisse der Studie von Ferdinand Dudenhöffer wehrt sich nun der Bundesverband Carsharing. Geschäftsführer Gunnar Nehrke sagte im Gespräch mit unserer Redaktion: „Ich halte das nicht für eine Studie. Das sind ein paar zusammengefügte Informationen, aus denen man aber nicht die Schlüsse ziehen kann, wie Dudenhöffer es möchte.“ Ja, Carsharing sei nach wie vor ein Nischenmarkt, das sei richtig, sagt Nehrke. „Aber Carsharing kann unter den gegebenen Umständen heute nicht woanders sein, als es ist.“ Jahrzehntelang sei der private Pkw-Besitz politisch massiv gefördert worden und von der Automobilindustrie mit riesigen Marketing-Budgets beworben worden. „Vor diesem Hintergrund halte ich nichts davon, unseren Nischenmarkt schlechtzumachen.“
Und was sagen die Betreiber und Anbieter zu der aktuellen Studie? Peter Bantele hat Erfahrung mit dem Thema Carsharing. Er bietet seit 2004 in Kempten 13 Fahrzeuge in seinem Verleih „Stadtflitzer“ an. Etwa 140 Teilnehmer sind bei ihm registriert. Er sagt: „Für mich geht es um die Philosophie. Carsharing hat für mich etwas Soziales an sich. Es geht um das Teilen mit anderen Menschen.“ Von einer Ernüchterung, wie sie Studienautor Dudenhöffer bezeichnet, will er nicht sprechen. „Ich bin als kleiner bis mittlerer Anbieter durchaus zufrieden mit dem Geschäft“, sagt Bantele. „Wir haben in den vergangenen Jahren zweistellige Zuwachszahlen verzeichnet.“ Vor allem durch die intensiveren Diskussionen um die Mobilitätswende steigt die Nachfrage nach den Stadtflitzern. „Wir wollen in unseren Möglichkeiten als Nischenmarkt wachsen. Als Mosaikstein im Mobilitätskonzept.“
Einer Sache kann Peter Bantele aber auch zustimmen. „Das Geschäftsmodell ist wirklich schwierig. Ich kann mir das auch nur erlauben, weil ich eigentlich von meiner Gebäudereinigungsfirma lebe.“ Um wirtschaftlich zu arbeiten, müsse er finanziell einige Kunstgriffe anwenden. „Besonders die Fahrzeugschäden machen uns zu schaffen. Denn sie kommen ungeplant, man kann sie finanziell nicht einkalkulieren.“
Um die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wissen auch die Stadtwerke Augsburg. Sie sind 2015 mit 200 Kunden und 24 Fahrzeugen gestartet. Matthias Reder, Sprecher der Stadtwerke Augsburg, erzählt: „Die Augsburger haben sich das neue Angebot und die Entwicklung in den ersten ein bis zwei Jahren angeschaut und dann unser Carsharing für sich entdeckt. Heute teilen sich 5300 Kunden 200 Fahrzeuge.“ Auch die Stadtwerke Augsburg stehen der Mobilitätsstudie von Ferdinand Dudenhöffer kritisch gegenüber: „Die Zahlen sind korrekt, die Schlüsse daraus teils falsch. Für uns als ganzheitlichen Mobilitätsdienstleister ist es wichtig, die Mobilitätskette zu schließen und neue, zusätzliche Angebote zu schaffen.“ Auch sie wollen nicht von einer Ernüchterung im Carsharing sprechen: „Wir haben ein hohes zweistelliges Kundenwachstum. Zur Zeit teilen sich 26 Kunden ein Fahrzeug. Und wir schaffen mittlerweile auch die schwarze Null.“
Der Komfort des eigenen Autos ist den Menschen wichtig
Doch trotz allem sind die Zahlen eindeutig. Und die Daten, die Ferdinand Dudenhöffer gesammelt hat, belegen deutlich, wie beliebt nach wie vor das eigene Auto ist. Doch warum? Autoexperte Dudenhöffer hat eine Vermutung: „Der ausschlaggebende Punkt ist der Komfort.“ Wenn das Auto 24 Stunden vor der Haustür parkt, steht es permanent zur Verfügung. Man muss nirgendwo hinlaufen, man muss nicht darauf warten. Es ist immer da. „Die Leute verdienen heutzutage so viel Geld, dass sie sich diesen Komfort einfach erlauben können.“ Und je weiter man aufs Land geht, desto wichtiger und bedeutender ist dieser Komfort. „Weil dort die öffentlichen Verkehrsmittel immer noch viel schlechter ausgebaut sind als in der Stadt.“
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