Grünen-Fraktionschef: Das ist ein "Ausstieg aus der Energiewende"
Exklusiv Grünen-Vizefraktionschef Oliver Krischer kritisiert die Windkraftpläne der Bundesregierung. Mit dem Gesetzentwurf würde der Ausbau der Wasserstofftechnologie unmöglich.
In Bayern ist der Ausbau der Windkraft durch strenge Abstandsregelungen zum Erliegen gekommen. Nun plant die Bundesregierung im ganzen Bundesgebiet schärfere Regelungen. Welche Auswirkungen erwarten Sie?
Oliver Krischer: Die bayerische Regelung ist ein Unding. Sie verhindert den Windkraftausbau im größten Flächenland der Bundesrepublik, obwohl es wichtig wäre, dass Bayern hier zur Energiewende beitragen würde. Die Bundesregierung plant nicht nur einen Mindestabstand von tausend Metern zu mindestens fünf Wohngebäuden. Die Abstandsregelung soll auch für bebaubare Grundstücke gelten. Das führt dazu, dass deutschlandweit 50 bis 60 Prozent weniger Flächen für Windkraft zur Verfügung stehen könnten. Damit droht ab kommendem Jahr sogar ein Abbau bestehender Windkraftanlagen, wenn dadurch alte Windräder nach 20 Jahren Laufzeit nicht mehr durch neue leistungsfähigere ersetzt werden können. Es ist ein völliges Rätsel, wie die Bundesregierung mit dieser Politik ihre Klimaschutzziele erreichen will. Diese Politik ist ein Ausstieg aus der Energiewende.
Wie wichtig ist der Ausbau der erneuerbaren Energien für die Klimaziele?
Krischer: Wir können kein einziges der Klimaziele ohne den Ausbau der erneuerbaren Energien erreichen. Strom aus Wind und Sonne ist die Voraussetzung für zahlreiche Zukunftstechnologien. Elektromobilität macht ohne Erneuerbare überhaupt keinen Sinn, wenn der Strom stattdessen aus Kohlekraftwerken kommt. Das gilt auch für den viel diskutierten Einsatz von Wasserstoff für eine klimafreundliche Produktion in der Industrie, etwa bei Stahlwerken und in der Chemieindustrie. Es ist ein Stück aus Absurdistan, dass nun die Bundesregierung ausgerechnet die Basis für klimafreundliche Technologien abwürgt.
Gerade Regierungsvertreter werben für Wasserstofftechnologien. Oft heißt es, man wolle für die energieaufwendige Wasserstoffproduktion überschüssigen Windstrom nutzen. Gleichzeitig hat die Bundesregierung die Ausbauziele für Windenergie an Land bis 2030 von 80 auf 70 Gigawatt gesenkt. Wie passt das alles zusammen?
Krischer: Überhaupt nicht. Das ist ein völliger Widerspruch, wenn wir sagen, Wasserstoff soll eine zentrale Rolle spielen. Tatsächlich sind wasserstoffbasierte Kraftstofftechnologien eine Perspektive im Transportwesen beim Lkw-Verkehr, Schiffen und auch Flugzeugen, ebenso in der Industrieproduktion. Beim Auto scheint die Technologieentscheidung dagegen bereits zugunsten der Batterieelektrofahrzeuge gefallen zu sein, auch wenn es mal mehr Wasserstoffautos geben sollte. Aber wenn man auf Wasserstoff setzen will, muss man die enormen Effizienzverluste bei der Produktion ausgleichen: Man braucht mindestens drei Kilowattstunden Strom, um eine Kilowattstunde Wasserstoffenergie zu erzeugen. Das heißt, jeder, der auf Wasserstoff setzt, muss erst recht die erneuerbaren Energien ausbauen und entfesseln. Doch die CSU zum Beispiel redet zwar viel über synthetische Kraftstoffe, tritt dann mit beiden Füßen auf die Bremse bei den Erneuerbaren – so eine Politik widerspricht schlicht und einfach den Grundsätzen der Physik.
Besteht die Hoffnung, dass ein Ausbau der Windkraft vor der Küste den Verlust an Land ausgleichen kann?
Krischer: Man muss alles drei machen: Windenergie an Land ausbauen, Windenergie auf dem Meer ausbauen und die Photovoltaik voranbringen. Das sind die drei Hauptsäulen. Da geht es nicht um ein Entweder-oder. Allein auf Windkraft im Meer zu setzen, reicht als Strategie nicht aus. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass man dafür die Netzkapazitäten ausbauen muss, wo ebenfalls gebremst wird. Deshalb ist der dezentrale Ausbau an Land mindestens genauso wichtig wie vor der Küste im Norden.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier betont, die Probleme beim Ausbau der Windkraft liegen beim Arten- und Naturschutz. Tatsächlich gibt es Windkraftgegner, die plötzlich den Naturschutz entdecken, um den Ausbau in ihrer Gegend zu verhindern. Müssen hier die Regelungen gelockert werden?
Krischer: Natürlich gibt es hier auch oft Konflikte mit dem Naturschutz. Und es gibt auch Leute, die das benutzen. Plötzlich wollen Menschen den Rotmilan schützen, die ein Jahr vorher diesen Vogel gar nicht kannten und hinter dem Namen eher einen Freiheitskämpfer vermuteten. So etwas muss man von den Bedenken der Naturschutzverbände trennen. Aber das Problem liegt woanders: Es wäre besser, der Wirtschaftsminister würde sich gemeinsam mit der Umweltministerin dafür einsetzen, dass wir klare bundeseinheitliche Regelungen beim Artenschutz bekommen. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat das schon angemahnt. Behörden und Gerichte sind überfordert, Entscheidungen zu treffen. Es geht nicht um Lockerungen oder Zurückdrehen beim Arten- und Naturschutz, sondern um bundeseinheitliche Klarheit. Aber die Bundesregierung scheint nicht die Kraft zu haben, so ein komplexes Thema zu lösen.
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