Die Wirtschaftswelt blickt auf Augsburg
In Bayern lässt sich wunderbar studieren, wie Globalisierung funktioniert. Alle Vor- und Nachteile der weltweiten Kapitalverflechtung werden in Augsburg offenbar, so als ob man sie unter einem Mikroskop betrachten würde. Der Blick richtet sich auf das dortige Werk des deutsch-französisch-spanischen Luft- und Rüstungskonzerns EADS.
Die mehr als 2500 Mitarbeiter der bayerischen Fabrik haben so gute Arbeit abgeliefert, dass es zu einer Sensation kam. Der amerikanische Flugzeugbauer Boeing lässt erstmals wichtige Teile in Augsburg fertigen - in einem Werk, das bisher an allen Programmen der EADS-Tochter Airbus beteiligt ist. Der Standort gilt als ertragsreiche Perle, so dass der Konzern mit seiner Ankündigung, die Fabrik verkaufen zu wollen, zunächst für Verwirrung sorgte. Der Betrieb geriet plötzlich in heftige globale Turbulenzen.
Airbus steuerte trotz eines Auftragsbooms, wie ihn das Unternehmen noch nicht erlebt hat, in die Krise. Das liegt zum einen an den Folgen technischer Probleme wie beim Bau des Riesen-Fliegers A380, zum anderen macht dem Anbieter der gegenüber dem Euro hohe Dollarkurs zu schaffen. In der zivilen Luftfahrtbranche wird in der US-Währung abgerechnet, was auf den Airbus-Ertrag drückt. So beschloss das Unternehmen, ein kraftvolles Sanierungsprogramm namens "Power8" aufzulegen, das den Verkauf von Werken vorsieht.
Airbus will das Dollarrisiko und die hohen Entwicklungskosten für neue Flugzeuge wie das Langstreckenmodell A350 stärker auf Zulieferer abwälzen. Deshalb kamen zunächst die niedersächsischen Standorte Varel und Nordenham auf die Verkaufsliste. Doch nach Informationen unserer Zeitung stellte sich heraus, dass diese Fabriken allein schwer zu verkaufen sind. Potenzielle Investoren winkten weltweit ab und ließen erkennen, sie könnten umdenken, wenn das technologisch führende Werk in Augsburg mit in das Paket gepackt wird. Mit einem Mal stand der Betrieb im Zentrum der globalen Begehrlichkeiten, wobei schon früher Finanzinvestoren angeklopft und sich zu ihren Kaufgelüsten bekannt hatten.
Plötzlich warben mit höchstem EADS-Segen Luftfahrtzulieferer wie das amerikanische Unternehmen Spirit, das aus Boeing hervorgegangen ist, um die Augsburger. Spötter sagen, dem Management des Werkes wurde es zum Verhängnis, zu innovativ und qualitätsorientiert gearbeitet zu haben. Da nützte dem Standort seine Dasa- und Messerschmitt-Vergangenheit nichts. Allerdings kommt, wie sich gestern nach monatelangem Hin und Her herausstellte, nicht Spirit zum Zuge, sondern die Bremer Firma OHB Technology AG, zu der das Augsburger Luft- und Raumfahrtunternehmen MT Aerospace gehört.
Hier zeigte wohl auch der politische Einfluss Wirkung. Allen voran Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) hatten erkennen lassen, sie seien für eine nationale Lösung. Hinter den Kulissen arbeiteten auch Politiker wie vor allem der schwäbische CSU-Chef Markus Ferber und der Augsburger CSU-Bundestagsabgeordnete Christian Ruck intensiv an einer Konstruktion mit deutschem Schwergewicht. Sie übten Kritik an den Plänen des deutschen Airbus-Lenkers Tom Enders, die Werke an Spirit zu veräußern. Dieser politische Druck blieb nicht ohne Folgen. Doch wie zu hören ist, setzten sich auch die Vertreter des EADS-Großaktionärs Daimler für ein Ergebnis im Sinne der Bundesregierung ein. Hinzu kam der Widerstand der bei EADS traditionell stark vertretenen Gewerkschaft IG Metall, die sich in der Region mit Jürgen Kerner an der Spitze für eine Lösung im Sinne der Beschäftigten engagierte.
All das, da sind sich Kenner des Konzerns einig, brachte letztlich die OHB-Gruppe ins Spiel, die hartnäckig ihre Ziele verfolgte und trotz mancher Rückschläge während des Bieterverfahrens nicht aufgab. So wurde das Unternehmen jetzt von dem europäischen Luftfahrtunternehmen als "bevorzugter Bieter" ausgewählt und wird exklusiv über den Kauf der drei Standorte verhandeln. Der Chef der Tochterfirma MT Aerospace, Hans Steininger, machte gegenüber unserer Zeitung keine Angaben zu einem möglichen Kaufpreis. Ziel sei es, ein eigenständiges Luftfahrt-Unternehmen zu schaffen. Die OHB-Gruppe werde die unternehmerische Führung übernehmen. Wie es heißt, solle EADS mit 20 bis 40 Prozent für einige Jahre an dem um das Augsburger Werk geformten neuen Luftfahrtzulieferer beteiligt bleiben.
Steininger äußerte sich auch nicht zu dem Finanzinvestor, der OHB bei der Übernahme finanziell unterstützt. Nach Informationen unserer Zeitung, die bisher von keiner Seite dementiert wurden, handelt es sich um die amerikanische Beteiligungsgesellschaft Cerberus ("Höllenhund"), die unter anderem beim amerikanischen Autobauer Chrysler eingestiegen ist.
Unser Video-Team war an den Werkstoren in Augsburg und hat erste Reaktionen eingefangen.
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