Start-up Experte Martin Giese: "Wir brauchen mehr Städte wie München"
Martin Giese unterstützt Gründer beim Aufbau ihrer Firmen. Im Interview verrät er, was sie mitbringen müssen – und warum es gerade in München so viele erfolgreiche Start-ups gibt.
Herr Giese, im Moment geht es regelmäßig um das Impfen. Der begehrteste Impfstoff ist von einem deutschen Start-up entwickelt worden, Biontech. Eine typisch deutsche Erfolgsgeschichte – oder eher die Ausnahme in Deutschland?
Martin Giese: Biontech ist ein Beweis dafür, dass wir in Deutschland immer noch Spitzenforschung haben. Oft tun wir uns aber schwer, diese Unternehmen und damit auch Forschungsergebnisse aus den Universitäten und Instituten wirtschaftlich auf die Straße zu bringen. Das ist entscheidend für die Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland. Es gibt zwar viel Potenzial, aber auch noch Luft nach oben. Vom Gründer von Curevac, dem zweiten deutschen Impfhersteller, weiß ich, wie wenig Rückhalt diese Unternehmer oft beim Aufbau ihrer Firmen hatten. Häufig kämpfen sie zehn, 15 Jahre und sind am Anfang die Einzigen, die an ihre Idee glauben. Dazu kommt: Die ersten Geldmittel, die den Aufbau ermöglichen, kommen häufig aus dem Ausland.
Das klingt nicht, als sei Deutschland auf dem Weg zur Start-up-Nation.
Giese: Für ganz Deutschland kann ich nicht sprechen. Ich sehe aber, dass es hier in München, wo ich arbeite, sehr viel Positives und eine kritische Masse an Gründern, aber auch Unterstützern gibt. In den letzten 20 Jahren gab es hier eine sehr gesunde Entwicklung und ein inzwischen reifes Ökosystem.
Was ist das Erfolgsgeheimnis der Münchner Start-up-Szene?
Giese: Es sind verschiedene Zutaten. Zum einen gibt es in München eine exzellente Forschung, dazu eine sehr gute Ausbildung von Ingenieuren, Informatikern und BWLern. Zum anderen hat München eine starke industrielle Basis: Autobauer, Versicherungen, Telekommunikation, Medien, viele Zulieferer, einen gesunden Mittelstand. Außerdem ist die Zahl der Unterstützer groß, die junge Gründer beraten und sie auch vor dem einen oder anderen Irrweg bewahren. Es gibt die Universitäten, Inkubatoren oder auch andere gemeinnützige Programme wie Xpreneurs von UnternehmerTUM, das ich leite. Das alles führt dazu, dass es in München deutlich leichter ist, ein Start-up zu gründen als an manch anderen Orten.
Wie unterstützen Sie Start-ups in Ihrem Inkubator?
Giese: Die Gründer müssen sich erst mal bewerben und einen harten Auswahlprozess durchlaufen. Für jeden Platz gibt es mindestens zehn Bewerber. Über das Jahr verteilt kümmern wir uns dann um rund 50 Start-ups. Die Unternehmen bekommen für drei Monate einen Arbeitsplatz bei uns. Wir suchen einen erfahrenen Mentor für sie, unterstützen sie direkt als Coaches und mit Seminaren und versuchen, sie mit Kunden aus unserem Netzwerk zusammenzubringen. Außerdem helfen wir den Gründern, Darlehen zu beantragen und Investoren zu finden. Auch dafür hat UnternehmerTUM eigene Investitionsprogramme.
Was müssen die Gründer mitbringen?
Giese: Es muss ein Team sein, dass sich völlig auf das Start-up einlässt. Wenn noch Doktorarbeiten geschrieben werden müssen oder der Hauptjob noch nicht aufgegeben wurde, dann ist das ein Warnsignal. Außerdem muss das Produkt plausibel sein und das Team aus verschiedenen Typen bestehen: Es sollte ein Kaufmann dabei sein, der Investoren überzeugen kann. Außerdem jemand, die Zähigkeit für die Vertriebstätigkeit mitbringt. Und jemand, der eine Portion Innovation und technische Exzellenz hat. Meist ist das der eigentliche Erfinder des Produkts.
Apropos Innovation: Sie haben vor einiger Zeit gesagt, dass bayerische Start-ups Ihrer Meinung nach besser durch die Corona-Krise kommen. Das müssen Sie erklären.
Giese: Die Start-ups haben durch die Nähe zu großen Konzernen ein starkes technisches Fundament und spielen eine Schlüsselrolle bei der Digitalisierung der Industrie. Es gibt noch immer viel zu viele Maschinen, die nicht miteinander kommunizieren. Das ist meiner Meinung nach ein krisenfestes Thema. Außerdem merke ich, dass viele Gründer sich und ihre Produkte extrem schnell anpassen. Die Bereitschaft zur Innovation ist in Krisenzeiten größer.
Wie kommen Start-ups generell durch die Krise?
Giese: Das hängt stark von der Branche ab. Unternehmen, die im Bereich Gastronomie oder Reisen tätig sind, haben es doppelt schwer. Viele Start-ups sind darauf ausgelegt, einige Jahre nur durch fremdes Geld zu überleben. Das ist ein sehr verwundbarer Zustand, sobald sich die Rahmenbedingungen ändern. Im letzten Jahr gab es deutschlandweit holprige Phasen, in denen viele Investoren abgewartet oder im letzten Moment zurückgezogen haben. In München haben wir aber insgesamt einen gegensätzlichen Trend gesehen: Hier hat sich das Geld, das im Umlauf ist, vermehrt.
Es klingt, als sei die Start-up-Welt in München relativ in Ordnung. Wenn wir den Blick noch mal auf Deutschland weiten: Woran fehlt es der Start-up-Szene hierzulande?
Giese: Wir brauchen mehr Städte wie München (lacht). Bei den Rahmenbedingungen geht es sehr in die Feinheiten: Aktuell wird etwa über Mitarbeitervergütung durch Anteile diskutiert. In den USA ist das eines der Geheimnisse der dortigen Gründerszene. Denn zum einen ist es wichtig, Gründer zu finden – zum anderen brauchen Start-ups aber auch gute Mitarbeiter. Dafür müssen sie konkurrenzfähig sein. Ein hohes Gehalt können sie oft nicht zahlen, deshalb wäre es wichtig, dass sie auch in Deutschland wie in den USA Anteile an die Mitarbeiter ausgeben können.
Reizt es Sie eigentlich auch, einmal selbst zu gründen?
Giese (lacht): Man muss ja wissen, wo die eigenen Stärken liegen. Und ganz allein gründen, das wäre nichts für mich. Ich würde die ersten eineinhalb Jahre eines Start-ups, während der die technische Entwicklung stattfindet, vor lauter Ungeduld nicht überstehen. Ich schmunzle aber deshalb, weil ich meinen Kollegen erst gerade mitgeteilt habe, dass ich künftig fest zwei Tage die Woche in einem Start-up mitwirken werde, in das ich auch investiert habe.
Zur Person: Martin Giese hat lange in der Telekommunikations-Branche gearbeitet. Mittlerweile leitet er den Münchner Inkubator "Xpreneurs", der Start-ups am Anfang ihrer Laufbahn unterstützt. Zuletzt erschienen ist von ihm der Ratgeber "Fast Forward: Accelerating B2B Sales for Startups".
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