Herr Prof. Spitzer, was hat Hirnforschung mit Wirtschaft zu tun?
Spitzer: Die moderne Gehirnforschung hat sehr viele neue Erkenntnisse hervorgebracht, wie Menschen ticken, von der Wahrnehmung und Handlung über das Lernen bis hin zur Motivation und Kreativität. Hinzu kommt noch die soziale Neurowissenschaft, das heißt die Gehirnforschung zu unserem Zusammenleben. Hier geht es um Schadenfreude und Fairness, Stress und Gleichheit, Vertrauen und Gerechtigkeit, um Sachverhalte, die jeden Unternehmer interessieren müssen.
Deutsche Manager können nicht umstrukturieren
Wie werden Erkenntnisse der Hirnforschung in der Wirtschaft angewendet?
Spitzer: Wir haben weltweit als erste das Gehirn des Autofahrers untersucht. Denn das Schwächste an einem modernen Mittelklassewagen ist der Fahrer. Wir haben zudem untersucht, wie bei Fließbandarbeit die erlebte Selbstwirksamkeit das Arbeitsergebnis beeinflusst. Man kann weiter zeigen, dass deutsche Manager eines definitiv nicht können: umstrukturieren. Sie wissen nicht, wie Lernen funktioniert, was es behindert oder fördert. Das kostet die Unternehmen nicht nur Geld, sondern bringt ihnen auch Krankheitstage ein. Schließlich haben wir untersucht, wie das Licht einer bestimmten Wellenlänge uns wacher macht und besser arbeiten lässt.
Können sie erklären, warum Anleger an der Börse so wenig lernen?
Spitzer: Beim Aktienkauf etwa machen Viele immer wieder die gleichen Fehler: Sie kaufen, wenn alle kaufen und die Wertpapiere teuer sind. Und wenn die Kurse dann fallen, behalten viele die Verlustaktien bis in alle Ewigkeit. Man hat schon Börsenmakler in den Gehirnscanner gelegt, um Fragen wie diesen auf den Grund zu gehen. Allgemein kann man sagen, dass der Mensch weitaus weniger rational handelt, als er das von sich denkt. Dies erklärt das Verhalten vieler Börsianer. Nicht umsonst gibt es ja mittlerweile einen ganzen Forschungszweig, der sich „Behavioral Finance“ nennt.
Bauchentscheidungen finden im Gehirn statt
Was können Unternehmer tun, damit sie selbst und ihre Mitarbeiter möglichst viel dazulernen?
Spitzer: Auf demotivierende Handlungen achten – das machen die meisten falsch – und darauf, dass man die Menschen da abholt, wo sie stehen. Wer ihnen einfach einen „Change-Prozess“ überbrät, sollte sich nicht wundern, wenn keiner freiwillig mitmacht.
Auch in der Wirtschaft werden mitunter Entscheidungen aus dem Bauch getroffen. Wie beurteilen Sie das?
Spitzer: Zunächst einmal finden auch Bauchentscheidungen im Gehirn statt. Daher kann man sie ja auch mittels Methoden der Gehirnforschung (und nicht etwa durch Magen- oder Darmspiegelung) untersuchen. Man weiß, dass gute Bauchentscheidungen eines voraussetzen: die lange und intensive Beschäftigung mit der Materie. Es ist also nicht so, dass man hier einfach so „aus heiterem Himmel“ entscheidet. Vielmehr gibt es komplexe Probleme, deren Lösung wir nicht mehr algorithmisch angehen können, die unser Gehirn mit seinen 100 Milliarden parallel arbeitenden Nervenzellen aber dennoch bearbeiten kann. Unser Gehirn funktioniert eben ganz anders als ein Computer – und genau darauf beruhen gute Bauchentscheidungen. Die Gehirnforschung hat viele Überraschungen auf Lager, besonders wenn es darum geht, wie wir Menschen funktionieren.
Zur Person: Manfred Spitzer ist Psychiater, Psychologe und Hochschullehrer. Zugleich ist er ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm. Heute spricht er beim Wirtschaftsforum der L-Bank in Friedrichshafen über das Thema „Geld im Kopf“.