Ist eine neue Finanzkrise denkbar?
Die Schulden in der Welt sind höher als je zuvor. Gerade die Schwellenländer wackeln. Bank-Insider Andreas Biele berichtet, was seine Branche umtreibt
Vorhersagen für das Wirtschaftswachstum werden nach unten korrigiert, an den Börsen gaben letzte Woche die Kurse nach. In der Weltwirtschaft macht sich nach Jahren des Wachstums eine steigende Unsicherheit breit. Dies zeigten nicht nur die kritischen Stimmen auf dem Treffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds auf Bali. Zehn Jahre nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers und der Finanzkrise mag sich mancher Beobachter auch fragen, ob in absehbarer Zeit ähnliche Erschütterungen wieder denkbar sind. Bankfachleute sind zumindest beunruhigt. Es könnte sich lohnen, ihnen zuzuhören.
Einer, der das Finanzsystem kennt, ist der Bank- und Finanzmanager Andreas Biele, 43. Der Münchner arbeitet selbst bei einer Bank und ist sicher, dass sich an den Finanzmärkten ein „giftiger Cocktail“ zusammenbraut.
G20: 135 Billionen Dollar Schulden
Ein Punkt, der dem Bankfachmann Sorgen bereitet, ist, dass die Schulden in der Welt in den vergangenen Jahren „massiv gestiegen“ sind: In den zwanzig wichtigsten Industrieländern – der G20 – hatten Staat, Haushalte und Unternehmen bis 2016 einen gigantischen Schuldenberg von 135 Billionen Dollar angehäuft. Das ist rund doppelt so viel wie im Lehman-Pleitejahr 2008, berichtete Biele auf Einladung der FDP-nahen Thomas-Dehler-Stiftung in der Villa Augusta in Augsburg.
Schulden alleine wären vielleicht gar nicht das Problem. Aber auch die Begleitumstände sind problematisch: Denn das mit den Schulden erkaufte Wirtschaftswachstum sei niedriger als zum Beispiel in den Jahren vor der Finanzkrise 2008.
Derzeit steigt Biele zufolge die Verschuldung vor allem in den Entwicklungsländern. In Europa hätten es zudem viele Staaten versäumt, ihre Wirtschaft mit Strukturreformen fit zu machen. Italiens neue Regierung plane stattdessen eine nochmals höhere Neuverschuldung. Das Ausmaß des italienischen Schuldenbergs übersteige den Griechenlands um ein Vielfaches: „Italien ist Griechenland mal zehn“, sagte Biele.
Niedrige Zinsen locken in riskante Geschäfte
Und noch ein zweites großes Problem sieht der Bankfachmann: die niedrigen Zinsen. „Wir haben viel billiges Geld“, warnte Biele. Die Zentralbanken hätten ihre Zinsen lange Zeit massiv gesenkt, in Europa liegt der Leitzins immer noch bei null Prozent. Die Europäische Zentralbank pumpt mit ihren Anleihekäufen zusätzlich Geld in den Markt. Die Folgen: Sachwerte, gerade Immobilien, hätten sich massiv verteuert. Stark steigende Immobilienpreise sind für viele Bankfachleute ein Warnsignal. Der Weg zur Blase könnte nicht weit sein. Bei den Geldgebern ist außerdem der Mut zu riskanten Investitionen gestiegen, um überhaupt noch eine Rendite zu erzielen, berichtete Biele.
Faule Kredite könnten Banken in Schieflage bringen
Das Problem: Wird ein Kredit nicht zurückgezahlt, wird es teuer für die Bank. Bei zu viel ausfallenden Krediten droht schnell eine Schieflage. In Italien gilt inzwischen ein großer Teil der Kredite als „faul“, das heißt, sie könnten niemals zurückgezahlt werden.
So schnell wird sich die Politik des billigen Geldes in Europa aber nicht ändern: Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, kündigte anlässlich der IWF-Tagung in Bali an, ein baldiges Ende der lockeren Geldpolitik sei nicht in Sicht. Die EZB werde bis zum Jahresende weiter Anleihen kaufen.
Hohe Schulden, gerade in den Entwicklungsländern, billiges Geld, verzerrt-hohe Immobilienpreise, dazu eine Politik, die durch US-Präsident Donald Trump, den Brexit und Italiens neue Regierung immer unberechenbarer wird – all dies seien die Gründe, die derzeit Sorgen bereiten müssten.
„Es lässt sich nicht genau sagen, was der Auslöser der nächsten Krise sein wird“, meinte Biele. „Aber die Vielzahl an Anfälligkeiten macht das Ganze sehr fragil.“
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