Jobcenter überlastet: Hartz-IV-Empfänger warten länger auf ihr Geld
Jobcenter in Bayern haben derzeit mit großen Umstellungen zu kämpfen. Sie bemühen sich darum, dringende Anträge zügig zu bearbeiten. Doch die Lage spitzt sich zu.
Für Menschen, die in einem Jobcenter nach Hilfe suchen, geht es oft um alles. Viele von ihnen sind ohne Einkommen, womöglich ist sogar das Konto leer und sie brauchen dringend Geld. „Dessen ist sich jeder, der bei uns arbeitet, bewusst“, versichert Ingrid Eicher, Geschäftsführerin im Jobcenter Donau-Ries. Daher versuchen ihre Mitarbeiter, zuerst die Menschen zu versorgen, die zum ersten Mal Hartz IV beantragen.
Neue Computer-Programme: Mitarbeiter müssen Daten per Hand übertragen
Sie müssen Prioritäten setzen, so wie viele andere bayerische Jobcenter auch. Denn die Mitarbeiter sind überlastet und Tag für Tag staut sich mehr Arbeit an. Grund dafür ist eine doppelte Umstellung, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales veranlasst hat. Etliche Jobcenter in Deutschland, darunter 83 bayerische Stellen, haben neue Computerprogramme bekommen und müssen alle ihre Fälle - samt Namen, Geburtsdaten und Kontonummern - per Hand übertragen. Die zweite Umstellung kostet ebenso viel Zeit: das Vier-Augen-Prinzip. Jeder Vorgang muss von einem zweiten Sachbearbeiter überprüft werden.
Geschäftsführerin Eicher rechnet es vor: Nach ihren Schätzungen bearbeitet das vergleichsweise kleine Jobcenter Donau-Ries monatlich etwa 6000 Zahlungen. Jedes Mal, wenn ein Mitarbeiter eine Akte in die Hand nimmt und eine Änderung einträgt, muss er den Antrag anschließend einem Kollegen bringen. Dieser muss seine Arbeit unterbrechen, den Antrag prüfen und zurückbringen. Wenn dieser Vorgang rund 15 Minuten dauert – so rechnet es Eicher durch – bräuchte sie für die zusätzliche Arbeit fast eine weitere Vollzeitstelle. Doch in kleinen Jobcentern, wie zum Beispiel im Donau-Ries oder in Dillingen, erlaubt es das Budget nicht, einen weiteren Mitarbeiter einzustellen.
Entlastung: Bayernweit bald 400 neue Mitarbeiter
Wie die Geschäftsführer berichten, bemühen sich dennoch alle, dringende Fälle zügig zu bearbeiten. Warten müssen diejenigen, die ihre Hartz-IV-Anträge ändern wollen, weil sie zum Beispiel mehr Miete zahlen. Diese Arbeit staut sich an.
In Augsburg, wo die Anzahl der monatlichen Zahlungen im fünfstelligen Bereich liegt, gibt es seit der Umstellung fünf neue Mitarbeiter, fünf weitere sollen dazukommen. Zuvor war die Situation dort besonders angespannt, denn im Stadtgebiet leben viele Ausländer und Flüchtlinge – ihre Anträge sind oft noch komplizierter.
Die Personalratsvorsitzende Anna Grau berichtete von völlig überforderten Mitarbeitern und einem gereizten Klima, vor allem im Wartebereich – sogar Sicherheitsleute sind vor Ort gewesen. Zusammen mit Personalvertretern von 60 bayerischen Jobcentern fordert Grau in einem offenen Brief 800 weitere Stellen. 400 wurden bereits bewilligt. Vertreter der Bundesagentur für Arbeit sagen, sie wollen diesen Hilferuf ernst nehmen, obwohl es keine Hinweise darauf gebe, dass die rechtzeitige Auszahlung von Leistungen an Hartz-IV-Empfänger gefährdet ist.
Vier-Augen-Prinzip soll Fehler bei Anträgen verringern
Angefangen hat diese Umstellungsphase mit einem Auftrag des Bundesfinanzministeriums und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fehler, die bei der Auszahlung des Arbeitslosengeldes passieren, sollen dadurch verringert werden. Die Bundesagentur für Arbeit hatte die Wahl: Entweder die Mitarbeiter schreiben ausführlichere Prüfberichte oder sie führen das Vier-Augen-Prinzip ein. „Eine von beiden Varianten musste umgesetzt werden, wir mussten in den sauren Apfel beißen“, sagt Melanie Thumann, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit in Bayern.
Die bayerischen Mitarbeitervertretungen fühlen sich jedoch in ihrer Arbeit behindert und empfinden diese Änderung als Misstrauensbekundung. Eicher vom Jobcenter Donau-Ries befürchtet, dass dieses Misstrauen die Motivation einiger Mitarbeiter schmälert und sich die Lage weiter zuspitzt. Die Geschäftsführer der Jobcenter in Augsburg und Dillingen vermuten, dass sich die Situation nach der Umstellungsphase wieder entspannt. Zehn bayerische Jobcenter, darunter beispielsweise Günzburg, sind von der Umstellung nicht betroffen, da sie sich in kommunaler Trägerschaft befinden.
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