Kartellvorwürfe gegen BMW: Warum der Konzern auf stur schaltet
EU-Wettbewerbskommissarin Vestager wirft BMW, Daimler und VW vor, ein Kartell gebildet zu haben. Die Münchner lassen das nicht auf sich sitzen.
Mit der Pastorentochter Margrethe Vestager ist nicht gut Kirschen essen. Die 50-jährige EU-Wettbewerbskommissarin legt sich als prinzipienfeste Politikerin, die Chancengleichheit und freiem Wettbewerb zugewandt ist, unerschrocken mit den Platzhirschen der Wirtschaftswelt an. Dabei hat sie den US-Internet-Giganten Google schon mehrfach abgestraft. Zuletzt verhängte die konsequente Wettbewerbsschützerin eine Geldbuße von 1,49 Milliarden Euro gegen den amerikanischen Konzern, weil er Firmenkunden zu restriktiven Bedingungen bei der Vermittlung von Werbung für Suchmaschinen auferlegt habe. Auch gegen Apple zielte Vestager schon erfolgreich.
Dabei geht die Kommissarin nicht nur auf US-Riesen los, selbst Siemens-Chef Joe Kaeser spuckte die Dänin gewaltig in die Suppe, indem sie ihm eine Bahn-Ehe mit dem französischen Konkurrenten Alstom verboten hat. Kein Wunder, dass der nicht minder standhafte Bayer, wie es in hiesigen Breiten heißt, einen gehörigen Grant, also eine entsprechende Wut gegen Vestager hegt. Die EU-Kommission mache „für Europa alles falsch“, ließ Kaeser die Wettbewerbswächter wissen.
Vestager nimmt sich die deutschen Autokonzerne vor
Das sehen Vestager und ihre Mitarbeiter naturgemäß anders, und so überprüfen sie fleißig, ob sich gerade deutsche Fahrzeughersteller an die Regeln halten oder doch zu verbotenen Absprachen neigen. Dabei geht die erfahrene Politikerin, die wohl EU-Kommissionspräsidentin werden will, auch gnadenlos gegen die Mächtigen der deutschen Lastwagen- und Autohersteller vor. Die meisten Konzern-Chefs haben bisher frühzeitig brav nachgegeben und sich Brüssel als Kronzeugen angedient, in der Hoffnung, straffrei oder zumindest mit einem saftigen Bußgeld-Rabatt davonzukommen.
Nur in München gibt es ein hartnäckiges Widerstandsnest. BMW-Chef Harald Krüger und seine Vertrauten wollen sich der Frau nicht fügen. Sie sind sich keiner Schuld bewusst und nehmen lieber eine hohe Strafe in Kauf. Dafür haben sie schon über eine Milliarde Euro für ein mögliches Bußgeld zurückgestellt. Es geht um den Vorwurf, die deutschen Autogrößen BMW, Daimler und Volkswagen samt den Töchtern Audi und Porsche hätten sich in „technischen Arbeitsgruppen“ immer wieder abgestimmt, welche Standards vereinbart werden sollen.
Das ist aus der Sicht Brüssels nicht grundsätzlich verwerflich. Wenn es etwa darum geht festzulegen, wann sich Cabrio-Dächer während der Fahrt öffnen lassen, ist das kein Fall für die Wettbewerbshüter. Seit jeher arbeiten Autobauer in solch kniffligen, die ganze Branche betreffenden Fragen zusammen. Zumal der Wirtschaftszweig auch Antworten auf immer neue, von Brüssel angestoßene Regelungen finden muss – etwa eine deutliche Verringerung des CO2-Ausstoßes.
Nun bezichtigt Brüssel die heimischen Autobauern aber, abgesprochen zu haben, Adblue-Tanks, mit deren Harnstoffgemisch gesundheitsgefährdende Stickoxide bei Dieselfahrzeugen gereinigt werden, möglichst kleinzuhalten. Das ist ein interessanter Vorwurf, der mitten in die Welt des Diesel-Betrugs führt.
Denn in Industriekreisen heißt es immer wieder aus mehreren Quellen, gerade bei Volkswagen hätten sich in der Vergangenheit Manager für solche kleineren Harnstoff-Behälter entschieden – und das, obwohl Ingenieure skeptisch gewesen wären. Letztlich hätten aber VW-Vertriebsleute die Techniker überstimmt. Die Verkäufer seien von der Angst getrieben worden, zu große Adblue-Tanks würden von Kunden nicht akzeptiert, weil sie Platz für andere Einbauten in Autos wegnehmen. Das wiederum soll die Geburtsstunde des Diesel-Betrugs gewesen sein. Denn nun sei die Manipulations-Software eingebaut worden, die Fahrern und Prüfern einen niedrigeren Stickoxidausstoß als in der Realität vorgetäuscht hat.
Brüssel wirft den Autokonzernen auch vor, sich bei der Einführung von Partikelfiltern für Benzinautos abgestimmt und die Neuerung hinausgezögert zu haben, was zulasten der Gesundheit der Bürger gegangen sei. Vestager unterstellt Daimler, VW und BMW also keine Preisabsprachen, sondern beschuldigt sie vielmehr, sich verständigt zu haben, teure Lösungen auf die lange Bank zu schieben. Die Autobauer hätten demnach ein Innovations-Verhinderungs-Kartell gebildet.
Daimler ist beim Wettbewerbsrecht ein gebranntes Kind
Was Brüsseler Wettbewerbsrecht betrifft, ist Daimler ein gebranntes Kind. Als die EU sich das europäische Lkw-Kartell, in dem Preise abgesprochen wurden, vorgeknöpft hat, preschten die Münchner Lastwagenbauer von MAN vor, dienten sich als Kronzeuge an und kamen, zumindest was das Strafrecht betrifft, ohne Geldbuße davon. Daimler hingegen reagierte zu spät und tappte in die Brüsseler Falle. Den Fehler wollten die Stuttgarter beim mutmaßlichen deutschen Autokartell nicht wieder begehen und dienten sich Brüssel wie später auch Volkswagen wohl schon 2014 mit allerlei Beweismaterial als Kronzeuge an.
Der angenehme Nebeneffekt einer solchen Selbstbezichtigung: Wer als Erster auf sich zeigt, geht meist straffrei aus. Der zweite geständige Sünder kann zumindest die Hoffnung hegen, bis zur Hälfte der in diesem Fall drohenden Milliardenstrafe als Reue-Bonus einzustreichen. Der Dritte im Bunde – BMW – will aber kein Kronzeuge werden. Denn die Münchner sind sich eben keiner Schuld bewusst. Sie beharren trotzig auf ihrem Recht und wirken bereit, für diese über Jahre gehenden juristischen Auseinandersetzungen bis vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen.
BMW weist den Vorwurf von unerlaubten Kartellabsprachen brüsk zurück. Vor allem aber führt der Konzern ins Feld, im Gegensatz zu anderen „Lösungen im Markt“ mehrere Abgasreinigungssysteme für Dieselfahrzeuge eingesetzt zu haben. So seien auch Stickoxid-Speicher-Katalysatoren verbaut worden. Dank des aufwendigen und natürlich teureren Reinigungsverfahrens verbrauchen BMW-Dieselautos nach Darstellung des Herstellers vergleichbar wenig Adblue.
All das mag dazu beigetragen haben, dass die Bayern den Diesel-Skandal am glimpflichsten überstanden haben. So herrscht in München Kopfschütteln darüber, dass ausgerechnet BMW als aus Sicht der Manager „sauberster“ Konzern nun von der EU-Kommission abgestraft wird. Die BMW-Oberen sind auch entsprechend sauer auf Daimler.
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer merkt dazu gegenüber dieser Redaktion an: „Drei Autohersteller waren dabei, zwei haben sich angezeigt, der dritte, BMW, hat nun den Schwarzen Peter.“ Autoanalyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler meint: „Die Geschichte klingt schräg und ungerecht, hat sich doch BMW am korrektesten verhalten.“
Bekanntermaßen stimmen Recht und Gerechtigkeit aber nicht immer überein. Die BMW-Chefs kriechen dennoch nicht vor Vestager zu Kreuze, weil sie – wie es in München heißt – auf den guten Ruf ihrer Marke bedacht seien und nicht in die Nähe der Diesel-Sünder von VW, Audi oder Daimler gerückt werden wollten. Das penible Image-Bewusstsein wird teuer. Dies scheint es den BMW-Verantwortlichen indes wert zu sein.
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