Muss man Kleidung aus Bangladesch boykottieren?
Millionen Näherinnen schuften für Hungerlöhne ohne Sicherheitsstandards, damit wir Mode immer billiger einkaufen können. Nur wir können das ändern.
Der Schnäppchenjäger freut sich über die T-Shirts für einen Euro, die beim Modediscounter auf dem Wühltisch liegen. Oder über die Jeans, die kaum mehr kostet als der Cappuccino in der Fußgängerzone. Durch die Billigangebote großer Ketten wie Primark oder Kik ist Kleidung zum wertlosen Ramschprodukt verkommen.
Dabei kann jeder ausrechnen, dass bei diesen Preisen, die Material, Arbeit und Transport beinhalten, nichts übrig bleiben kann für diejenigen, die am Ende der Wertschöpfungskette stehen: für die Millionen Näherinnen nämlich, die in Asien unsere Kleidung herstellen. Sie zahlen einen hohen Preis dafür, dass wir Mode immer billiger einkaufen wollen. Doch die meisten internationalen Modemarken lassen in Bangladesch produzieren. Und zwar nicht nur die Billigketten, sondern auch die Luxus-Labels. Denn die Arbeitslöhne sind dort unschlagbar billig. Arbeitskräfte, die sich ausbeuten lassen, um zu überleben, stehen in dem überbevölkerten Land Schlange. Außerdem lassen sich in diesem korrupten Staat Sozial- und Umweltstandards leicht umgehen.
Bangladesch: 25 Milliarden US-Dollar Umsatz in der Textilindustrie
Soll man deshalb Mode aus Bangladesch boykottieren? Nein, soll man nicht. Das wäre das Schlimmste, was den Näherinnen passieren könnte. Denn die Textilindustrie hat das Land nach vorne gebracht, es lebt von der Branche – und baut seine Zukunft darauf auf. 25 Milliarden US-Dollar (etwa 22 Milliarden Euro) setzt die Textilindustrie schon jetzt im Jahr um, bis 2021 will man diese Summe verdoppeln. Gerade Frauen haben von der Textilindustrie profitiert. Sie waren nichts wert in Bangladesch, durften nicht zur Schule, wurden oft schon mit 14 Jahren verheiratet. Jetzt sind sie die Haupternährerinnen der Familie – wertvoll und wichtig. Hört man auf, deutsche Standards anzulegen, und vergleicht den Lohn der Näherinnen mit anderen Berufen im Land, gehören die Textilarbeiterinnen zu den Gutverdienern.
Also die Billig-T-Shirts kaufen? Auch an dieser Stelle ein klares Nein. T-Shirts für einen Euro muss man boykottieren. Wer die kauft, der sorgt dafür, dass sich nichts ändert an der Sklavenarbeit. Dabei ist etwas in Bewegung: Seit dem Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes, bei dem 1134 Fabrikarbeiterinnen starben, schaut die Welt hin. Viele Verbraucher wollen wissen, wer die Kleidung herstellt, die sie am Körper tragen – und zu welchen Bedingungen. Sie fragen nach – und sollten es noch viel häufiger tun.
Darum haben sich in den meisten Fabriken, in denen westliche Ein-käufer ein und aus gehen, die Arbeitsbedingungen tatsächlich verbessert. Nicht, weil es inzwischen schärfere Arbeits- und Brandschutzgesetze gibt. Auch nicht, weil ein Mindestlohn von umgerechnet 53 Euro im Monat (für die ungelernte Helferin) bis etwa 100 Euro (für die geübte Näherin) eingeführt worden ist, an den sich längst nicht alle Unternehmer halten. Die Bedingungen sind nur deshalb besser geworden, weil die internationalen Marken Druck machen. Und die Kunden den Marken.
Verkaufspreis fünf oder 50 Euro: egal für die Näherinnen
Der Preis eines Kleidungsstücks sagt allerdings – abgesehen von den Billigstklamotten – nichts darüber aus, ob eine Näherin angemessen bezahlt wird. Denn die Hemden von Lidl werden von derselben Näherin gefertigt wie die von Hugo Boss. Diese bekommt – im besten Fall – den Mindestlohn. Sie hat gar nichts davon, ob ein Shirt für fünf Euro bei H&M oder für 80 Euro im Esprit- oder Puma-Laden hängt. Auch der Unternehmer in Bangladesch hat nichts vom Verkaufspreis. Er braucht vier bis acht Euro für ein T-Shirt, um seinen Näherinnen den Mindestlohn zahlen und einen minimalen Sicherheitsstandard garantieren zu können. Der Rest des Gewinns geht an die Marken. Bei H&M macht es die Menge aus, bei den Edelmarken bleibt das Geld im Marketing, dem Flagship-Store oder schlicht als Überschuss hängen. Und der Verbraucher? Der ist verwirrt. Darum ist ein Textilsiegel wichtig, wie es Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) plant. Auf einen Blick erkennt der Käufer dann am „Grünen Knopf“, ob sein Hemd oder die Hose unter einwandfreien Bedingungen hergestellt worden ist.
Hinschauen, Druck machen, einfordern: Das ist unsere Pflicht. In der globalisierten Welt müssen die wohlhabenden Industriestaaten Verantwortung für die Entwicklungsländer übernehmen. Dazu gehört auch, dafür zu sorgen, dass die Näherinnen in Bangladesch unter menschenwürdigen Bedingungen und zu fairen Löhnen für uns arbeiten. Denn wenn wir die Lebensumstände der Menschen in ihren Heimatländern nicht verbessern, kommt es zu jenen Flüchtlingsbewegungen, wie wir sie gerade erleben. Dann machen sich die Menschen auf zu uns. In die Länder, in denen sich die Menschen eine einzige Jeans für 100 Euro leisten können. Diese Summe verdienen sie meist nicht mal im Monat.
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" Hinschauen, Druck machen einfordern", nur so kann sich etwas ändern. Diese ausgebeuteten Näherinnen in Bangladesch benötigen keinen Hungerlohn - sondern einen Lebenslohn! Sie arbeiten unter widrigen Umständen. Sind nicht krankenversichert, auch für das Alter nicht abgesichert. Müssen um ihr Zimmer bezahlen zu können, 6-7 Tage die Woche arbeiten. Und der Restlohn reicht kaum sich ernähren zu können.