
Auch in Deutschland gibt es massive Kritik an Amazon

Die "New York Times" hat Mitarbeiter von Amazon zu ihren Arbeitsbedingungen befragt. Auch in Deutschland gibt es massive Kritik. Gewerkschafter packen aus.
Es ist ein Bericht, der sich wie eine Reportage des Schreckens liest. Die New York Times hat über 100 aktuelle und ehemalige Mitarbeiter des Onlinehändlers Amazon zu den Arbeitsbedingungen befragt. So kommt eine Angestellte zu Wort, der von Vorgesetzten angekreidet wurde, dass sie unmittelbar nach einer Krebsbehandlung zu langsam arbeite.
Nach dem Bericht hat eine andere Frau von ihrem privaten Geld eine Büroassistentin angeheuert, nur um mit ihren Aufgaben fertig zu werden. Und ein ehemaliger US-Offizier, der im Irak gedient hat, hielt die Arbeitsatmosphäre bei Amazon nicht aus. Dabei handelt es sich allerdings nicht um Saisonkräfte oder Lagerarbeiter.
Hoch qualifizierte Mitarbeiter belasten Amazon schwer
Es sind vielmehr hoch qualifizierte Computerspezialisten, Marketing-Fachleute oder Manager, die das Unternehmen schwer belasten (wir berichteten). All diese Frauen und Männer waren oder sind bei Amazon in den USA beschäftigt.
Doch sind auch deutsche Büroangestellte bei Amazon solchem Stress ausgesetzt? Der Pressesprecher der Gewerkschaft Verdi in Bayern, Hans Sterr, bejaht die Frage grundsätzlich. Amazon habe eine globale Firmenphilosophie, die der Konzern in jedem Land und in jedem Unternehmensbereich durchsetze. Auch in Deutschland müssten Mitarbeiter im Urlaub und nach Feierabend für die Firma erreichbar sein.
Auch deutsche Amazon-Mitarbeiter klagen über Arbeitsbedingungen
Gewerkschafter Sterr berichtet, dass nicht nur Mitarbeiter aus deutschen Logistikzentren, sondern auch deutsche Büroangestellte über schlechte Arbeitsbedingungen bei Amazon klagen. Nach Informationen von Verdi ist zeitweise jeder fünfte Mitarbeiter in Deutschland im Krankenstand – ein sehr hoher Wert, der auf den „wahnsinnigen Druck“ am Arbeitsplatz zurückzuführen sei.
Sterr weiß aber auch: Wer bei Amazon den Druck aushält, bekomme viel Geld und interessante Positionen. So schüttet das Unternehmen etwa an fest angestellte Mitarbeiter regelmäßig Aktien aus. In Deutschland verfügt Amazon über große Büros in München und Berlin, wo sich gut 2000 Mitarbeiter um Verwaltung, Handelsprozesse, Software und Marketing kümmern.
Ein zentraler Kritikpunkt im Bericht der New York Times ist das Feedback-, also Bewertungssystem. Damit kann jeder Angestellte Kollegen und Vorgesetzte beurteilen. Wer Kritik formuliert, muss auch seinen Namen nennen. Viele Amazon-Manager würden danach die Kritisierten mit diesen Informationen unter Druck setzen. Allerdings verraten die Manager oft nicht, wer sich negativ über einen Kollegen geäußert hat. Amerikanische Angestellte sagen, damit werde Intrigen Tür und Tor geöffnet.
Das Amazon-System komme einem "gegenseitigen Verpetzen" gleich
Für Verdi-Mann Sterr kommt dieses System einem „gegenseitigen Verpetzen“ gleich. Amazon-Sprecherin Christine Höger bestätigte unserer Zeitung, dass das Beurteilungs-System auch in Deutschland zum Einsatz komme. Allerdings seien die meisten Anmerkungen dort positiv. Es obliege den einzelnen Managern, „wie sie diese in die Gesamtbewertung einfließen lassen und ob sie die Identität derjenigen, die Feedback geben, bekannt geben oder nicht“. Die Mitarbeiter würden das System schätzen. Es gebe ein respektvolles Klima: „Wir sprechen offen, wir respektieren einander, wir kümmern uns.“
Auch wenn die Arbeitsbedingungen in den USA und Deutschland sich ähneln, so wären deutsche Angestellte seltener bereit, Überstunden zu leisten, sagt Gewerkschafter Sterr. Auch Verdi-Handelsexperte Thomas Voß hat erkannt, dass die Bedingungen bei Amazon in Deutschland etwas besser seien. Aber auch hier gebe es „Mobbingerscheinungen“. Häufig würden Angestellte von sich aus kündigen.
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