Rodungsstopp: Das Tesla-Werk hat auch Gegner
In Grünheide nahe Berlin will der US-Autobauer eine Fabrik errichten. Doch jetzt hat ein Gericht die Rodung des Waldes vorläufig gestoppt. Denn das Projekt hat nicht nur Befürworter.
Rot glitzert die Abendsonne im See von Grünheide. Doch bald soll es mit der brandenburgischen Beschaulichkeit vorbei sein. Dort, wo heute ein Kiefernwald steht, will der US-Konzern Tesla Elektroautos bauen. Tesla-Chef Elon Musk macht mobil. Viele haben ihn lange nicht ernst genommen. Auch, weil Musk von einer Reise zum Mars träumt. In seiner Welt heißt ein Standort nicht einfach Werk, sondern Gigafabrik. California Dreamin’ – mitten in Brandenburg. Von einem Zentrum für die grüne Industrie des 21. Jahrhunderts träumen sie in Brandenburg. Der Kaufvertrag für das Gelände ist besiegelt. Im März sollten die Bauarbeiten für die Fabrik starten. Doch jetzt drohen Verzögerungen.
Denn am Samstag hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg überraschend die Rodungsarbeiten auf dem Gelände gestoppt. Plötzlich wird Tesla nicht zum Symbol für die Verkehrswende, sondern auch zum Testfall für den Standort Deutschland. Ein Blick auf eine Debatte.
Bürgermeister Arne Christiani: „Das bringt einen Schub“
„Das bringt einen Schub“, sagt Arne Christiani. Seit 2003 ist er Bürgermeister von Grünheide. Achttausend Einwohner hat der Ort, einen Handballklub und eine Bahnstation mit dem schönen Namen Fangschleuse. Einmal pro Stunde fährt ein Zug nach Berlin, 30 Minuten dauert die Fahrt zum Alexanderplatz.
„Autoschlosser mit Abitur“, stellt sich der Bürgermeister vor. Der Mann spricht schnell. Er ist ein Macher. Und ein Pragmatiker. Privat fährt er Volvo mit Verbrennungsmotor. Was müsste passieren, damit er auf ein Elektrofahrzeug umsteigt? „Das hängt nur von der Leistungsfähigkeit der Autos ab“, sagt Christiani. Hier redet ein Lokalpolitiker, kein Ökovisionär. Für Christiani muss sich die Verkehrswende auf der Straße beweisen.
Was Tesla betrifft, spricht der Bürgermeister von einem „Lottogewinn“. Wobei der Vergleich nicht ganz passt. „Ein Lottogewinn kommt unerwartet.“ In Grünheide aber haben sie alles dafür getan, um das große Los zu ziehen. Schon vor zwanzig Jahren köderten sie einen Autobauer, BMW zog 2001 aber Leipzig vor. Zurück blieb ein voll erschlossenes Grundstück. Zwanzig Jahre lang hieß es hier: Warten auf Industrie. Jetzt fährt Tesla vor.
Die Skeptischen: „Vielen geht es einfach zu schnell“
Nicht alle freuen sich über den Investor. Das zeigt sich an einem kalten Winterabend Ende Januar in Grünheide. Christiani hat zur Bürgerversammlung geladen. Trinkwasser könnte knapp werden, wenn die Produktion hochfährt, warnt der Wasserverband. Neue Brunnen sollen her, beschwichtigt das Land. Mehr als hundert Hektar Kiefernwald müssen für Tesla weichen. Er wird an anderer Stelle im Land wieder aufgeforstet. In Grünheide aber ist die Idylle dahin. Es gibt Kundgebungen gegen das Werk. Und Demos für Tesla.
„Verkauf jetzt, Baubeginn im März. Vielen geht das einfach zu schnell“, sagt Erzieher Sven Gollub. Die Menschen wollen mitgenommen werden auf dem Weg in die Zukunft. Doch verläuft die Debatte hier weniger entlang der klassischen Konfliktlinie Natur gegen Arbeit. Umweltverbände wie Nabu und Bund bleiben lange still. Vor Gericht zog schließlich der Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gab der Klage nun überraschend statt.
Umgehend wurden die Rodungsarbeiten eingestellt. Die Zeit drängt. Bis März müssen die Bäume weg, sonst drohen wegen der beginnenden Vegetation unkalkulierbare Verzögerungen.
Das Land: „Sogwirkung über Brandenburg hinaus“
„Brandenburg hatte sicher lange ein Imageproblem. Das Potenzial hier ist aber riesengroß“, schwärmt Jörg Steinbach, SPD, Brandenburgs Wirtschaftsminister. Der Mann ist Ingenieur. Nun versucht er, auf der Bürgerversammlung in Grünheide für Tesla zu werben. „Wir werden eine Sogwirkung in ganz Brandenburg erzeugen. Vermutlich sogar über Brandenburg und Deutschland hinaus“, sagt er. Schließlich sollen in Grünheide Tesla-Wagen für ganz Europa vom Band rollen. Bis zu 10.000 Jobs könnten entstehen. Weitere könnten folgen. Der pfälzische Chemieweltgigant BASF entschied gerade, in seinem Werk im nahen Schwarzheide künftig Kathodenmaterial für E-Batterien zu fertigen.
Wird Berlin-Brandenburg das Modell für die grüne Industrie des 21. Jahrhunderts? „Brandenburgs Pfund sind die erneuerbaren Energien. Das bietet die Chance, durch die Wasserstofftechnologie die Mobilitätswende in Deutschland hier am schnellsten voranzubringen“, sagt der Minister und macht eine eigene Rechnung auf: „Ich mache gerne den Vergleich mit Bayern vor 30 Jahren, also zur Zeit von Franz Josef Strauß. Damals musste darüber entschieden werden, ob die ländlichen Bereiche entwickelt und industrialisiert werden. Meine Vision ist, dass man in ein paar Jahrzehnten so auf Brandenburg blickt wie wir heute auf Bayern.“
Grünen-Verkehrspolitiker Cem Özdemir: „Erfolg für Autostandort Deutschland“
Grünen-Politiker Cem Özdemir ist Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag und weiß, was für die deutsche Autoindustrie auf dem Spiel steht. Jeder siebte Job in Deutschland hängt vom Auto ab. Özdemir sagt zu Tesla in Grünheide: „Dass Tesla bei uns produzieren möchte, ist erst mal ein Erfolg für den Automobilstandort Deutschland und eine Auszeichnung, für unsere Ingenieure, Facharbeiter und Zulieferer. Und im Übrigen eine peinliche Klatsche für alle die, die meinen, wir in Deutschland könnten keine E-Mobilität.“
Mit Tesla kommt einer der Hauptkonkurrenten unserer Autohersteller nach Deutschland. „Ich rate ihnen, die Herausforderung anzunehmen im Sinne eines sportlichen Wettbewerbs“, sagt Özdemir. Denn: Nehme man den Wettkampf um die Zukunftstechnologien auf, könne man auch gewinnen. „Das Auto wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle in der Mobilität spielen, aber es wird anders sein – vernetzt, zunehmend autonom und emissionsfrei“, ist sich Özdemir sicher.
Die Mobilitätswende bringt vieles in Bewegung. Nicht nur in Brandenburg.
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