Siemens-Chef Joe Kaeser bereitet sein Erbe vor
Joe Kaeser lässt sich von den Spielern an den Kapitalmärkten nicht in die Enge treiben. Er geht seinen eigenen Weg.
„Darf ich aufstehen?“, fragt der groß gewachsene, schlanke Siemens-Chef seine Kommunikations-Expertinnen. Dabei lächelt er. Natürlich darf Joe Kaeser am Donnerstag in München seine Grundsatzrede zur Zukunft des Konzerns am Stehpult halten. Dabei hätte es des wohlwollenden Nickens seiner Kolleginnen nicht bedurft. Der Niederbayer mit den buschigen dunklen Augenbrauen und dem grau-schwarzen Haar gehört zum Typus Mann, der sein Ding schon mal ohne Rückendeckung durchzieht.
Joe Kaeser: „Siemens ist great again“
So trug es sich wohl auch zu, als der 61-Jährige via Twitter seine inzwischen berühmt gewordene Attacke gegen die AfD-Politikerin Alice Weidel ritt und kurz-provokativ textete: „Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Haupt-Quelle des deutschen Wohlstands liegt.“ Nationalismus passt nun mal nicht zum Geschäfts- und Moralkonzept eines Global Players.
Was Kaeser so erregte, waren Weidels ausländerfeindliche Äußerungen vor dem Bundestag. Die Fraktionsvorsitzende hatte polemisiert: „Burkas, Kopftuch-Mädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.“ Der Siemens-Chef hatte den Eindruck, „dass man so etwas nicht stehen lassen kann“. Während andere Spitzen-Manager schwiegen, wagte er Widerworte, was ihm und seiner Familie die üblichen Schmähungen einbrachte.
Doch wenn Kaeser von etwas überzeugt ist, fühlt er sich zum Handeln berufen, ob es um krude Parolen oder die Zukunft der Siemens AG geht. Dabei geht er nicht immer politisch korrekt vor, schert also aus der Riege seiner oft eher braven Manager-Kollegen in großen Aktiengesellschaften aus.
Als der Siemens-Boss die neue Konzern-Strategie „Vision 2020+“ erläutert, verstößt er gegen einen Rat an Spitzen-Manager, es mit der Ironie in der Öffentlichkeit nicht zu übertreiben. Kaeser nimmt Anleihen beim größten aller Twitterer, also Donald Trump. Lächelnd meint der Deutsche: „Ich sollte das nicht sagen, aber Siemens ist wieder ,great again‘.“ Das seien keine „Fake News“. Der US-Präsident will Amerika ja „great again“, eben groß machen. Der Siemens-Chef genießt seinen eigenen Witz. Die Kaeser-Show geht weiter: Er nimmt auch noch Anleihen beim Evolutionstheoretiker Charles Darwin. Demnach doziert der Manager vor Journalisten und Finanz-Analysten auf Englisch: Es überlebe nicht immer die stärkste und intelligenteste Spezies, sondern diejenige, die sich an die Umwelt am besten anpasse.
Siemens-Umbau: Aus fünf Sparten werden drei
Auf was will Kaeser nun hinaus? Führen seine kulturgeschichtlichen Vorreden zur Verkündung eines Job-Abbauprogramms? An dem Tag nicht. Es geht ihm um etwas anderes. Seine Diagnose lautet: Siemens ist so stark wie lange nicht, dürfe sich aber, auch wenn es vielen schwerfalle, nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Jetzt gelte es Veränderungen einzuleiten. Die Kenner des Konzerns sind sich einig: Kaeser, dessen Vertrag Anfang 2021 ausläuft, will sein Erbe schon jetzt regeln, um das Siemens-Haus einmal in so guter Verfassung wie heute übergeben zu können. Deshalb formt er aus fünf drei dann riesige Geschäftseinheiten (Energie, Infrastruktur und digitale Industrie).
Die Sparten sollen unter dem Münchner Dach reichlich Leinenfreiheit genießen. Sie dürfen die Geschäfte unabhängiger als jetzt vorantreiben. Zwei der drei Einheiten sitzen aber im Ausland. Aus der Zentrale sollen dann Stellen in die Standbeine wandern. Kaeser gibt indes nicht den Wünschen der Mächtigen an den Kapitalmärkten nach, Siemens solle filetiert und die Zentrale zur reinen Finanz-Holding umgebaut werden. Der Bayer verzichtet auf eine Zerschlagung des Konzerns, was gestern an der Börse zu einem stark sinkenden Aktienkurs beigetragen hat. Dennoch geht der Manager seinen Weg. Kaesers Selbstbewusstsein speist sich aus guten Geschäftszahlen. Er baut Siemens mit Augenmaß um, was dennoch zu höheren Renditen führen soll. Eines will der Manager vermeiden: Siemens dürfe nicht das Schicksal des einst übermächtigen und tief gefallenen Rivalen General Electric erleiden. Der US-Konzern hat es versäumt, sich zu erneuern, und zerlegt sich nun hektisch selbst.
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