Sind Algen eine grüne Zukunft für die Landwirtschaft?
Viele bäuerliche Betriebe stehen unter Druck. Bei der Suche nach neuen Wegen geraten nun Organismen in den Blick, bei denen viele nicht an Essen denken.
Algen haben keinen guten Ruf. Im Sommer verderben sie Badeurlaubern die Erfrischung oder noch schlimmer: Sie töten bei einer Algenblüte, einer plötzlichen massenhaften Vermehrung, Fische und andere Wassertiere. Erst seit wenigen Jahren beginnt sich das Bild zu wandeln. Die Kosmetikindustrie forscht intensiv an neuen Anwendungen auf der Basis von Algen. Algen sind ein heißer Kandidat für die industrielle Produktion von Bio-Treibstoffen, etwa für den ständig wachsenden Verkehr am Himmel. Und Algen werden immer wichtiger als Lebensmittel – auch außerhalb ihres klassischen Anwendungsortes in der asiatischen Küche.
Die Chance, dass man als Verbraucher zumindest schon einmal Produkte mit Zutaten aus Algen gegessen hat, sind sehr hoch. Als Rohstoffe für Geliermittel und Emulgatoren sind Algen aus der Lebensmittelindustrie kaum noch wegzudenken. Seit kurzem gibt es sogar einen blauen Farbstoff auf Basis der einzelligen Alge Spirulina, der bisherige, synthetisch hergestellte Lebensmittelfarben ersetzen kann. Gesundheitsbewusste Eltern haben damit ein Argument weniger, wenn sie ihren Kindern das blaue Schlumpf-Eis in der Eisdiele ausreden wollen. Aber Algenprodukte sind auch immer häufiger im Supermarktregal zu finden.
Algen könnten bereits 2030 eine deutlich größere Rolle spielen
Neben Algenriegeln, -smoothies oder -crackern gibt es auch Nudeln und Getränke mit Algen. Das spiegelt einen Wandel in der Einstellung der Verbraucher zur Ernährung. Der Lebensmittelgigant Nestlé hat in seiner Zukunftsstudie die Aufgeschlossenheit der Verbraucher für neue Trends abgefragt. Ergebnis: Algen könnten bereits 2030 eine deutlich größere Rolle spielen. Eine ressourcenschonende Ernährung sei für werteorientierte Menschen so etwas wie die Fortschreibung dessen, was heute unter dem Etikett „Bio“ verstanden wird. Algen entsprechen diesem Wunsch perfekt: Im Vergleich zu Nutzpflanzen produzieren sie zehnmal so viel Biomasse in Bezug auf Fläche und Zeit. Vor allem aber können sie in offenen oder geschlossenen Systemen auch auf Flächen kultiviert werden, auf denen sonst keine Landwirtschaft möglich ist.
Geht man auf die Suche, wo die Algen in Zukunft herkommen sollen, landet man schnell bei einem Familienbetrieb im niedersächsischen Vechta. Vor gut 20 Jahren hat Rudolf Cordes dort angefangen, sich intensiv mit der Kultivierung von Algen zu beschäftigen. Der Gülleüberschuss war in dieser Region mit vielen großen Fleischbetrieben schon damals ein drängendes Problem – Algenblüten in der Nordsee die sichtbarste Folge. Das Problem des Nährstoffüberschusses konnte auch Cordes nicht lösen. Aber wenn Algen eine größere Rolle in der Küche spielen sollten, könnte der Fleischverbrauch sinken.
So könnte die Zukunft für einen Teil der Landwirtschaft aussehen
Verbrauchern die neue Zutat schmackhaft zu machen, ist die Mission von Cordes’ Tochter Cathleen. Die 32-Jährige ist im Unternehmen der Familie, das weiterhin auch noch Gemüse anbaut, für die Produktentwicklung und den Vertrieb zuständig. „Die Akzeptanz bei den Endkunden wächst ständig. Heute sind Produkte wie grüne Smoothies oder Riegel kein Problem mehr für die Konsumenten“, sagt sie. Auf der Cordes-Algenfarm wachsen die Sorten Chlorella und Spirulina erst in durchsichtigen Folienschläuchen im Gewächshaus. Wenn sie sich genügend vermehrt haben, landen sie in großen Becken mit bis zu 30.000 Litern Fassungsvermögen.
Geerntet wird eine dunkelgrüne Paste, die noch etwa 20 Prozent Wasser enthält. Getrocknet und zu einem feinen Pulver vermahlen werden die Algen über den eigenen Online-Shop oder an gewerbliche Weiterverarbeiter verkauft. Neben dem proteinreichen Pulver, das in Getränke, Joghurt oder Backmischungen eingerührt werden kann, gibt es auch ein Algenöl und Algenperlen. Mittlerweile arbeitet die Algenfarm mit mehreren Höfen in der Umgebung zusammen. Alle produzieren sie die Algen nach Bio-Standard. „Die Algenproduktion kann für viele Betriebe eine interessante Ergänzung sein“, sagt Cathleen Cordes. Ein Schweinezüchter, der bereits eine Biogasanlage hat, könne mit dieser etwa überflüssige Abwärme sinnvoll nutzen. Und er könne Algen in Bioqualität herstellen, ohne den restlichen Betrieb auf Bio umzustellen.
Aber eine Anbindung an einen landwirtschaftlichen Betrieb ist keine Voraussetzung für die Algenzucht. Das beweist die Firma Roquette Klötze in der gleichnamigen Gemeinde in Sachsen-Anhalt. Zwischen Wolfsburg und Wittenberge wachsen in Europas größter Algenfarm jedes Jahr bis zu 50 Tonnen Algen heran. Sie vermehren sich in einem System aus Glasröhren mit einer Länge von 500 Kilometern. Ein landwirtschaftlicher Betrieb ist die Firma sicher nicht. Aber vielleicht gerade deswegen ein Modell für eine Art der Landwirtschaft der Zukunft: die eng mit der Biotechnologie verzahnte industrielle Erzeugung von Nahrungsmitteln.
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