Streit um Überstunden: Es gibt kaum Kontrollen
Zu lange Arbeitszeiten bleiben oft unentdeckt, weil das Gesetz kaum kontrolliert wird. Diesen Vorwurf untermauert die Gewerkschaft NGG mit Zahlen.
Michaela Rosenberger, die Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), kennt den einfachsten Weg, um den Mindestlohn zu unterschreiten: indem die Arbeitszeit überschritten werde. Mehr als eine Milliarde Überstunden wurden im ersten Halbjahr 2018 in Deutschland geleistet, fand das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in einer Studie heraus, auf die sich Rosenberger am Mittwoch in Berlin beruft. Mehr als die Hälfte davon war unbezahlt. Besonders betroffen seien Frauen.
Schon lange sind die Arbeitszeiten in Gastronomie und Hotellerie ein Zankapfel. Die Arbeitgeber sträuben sich dagegen, diese genau aufzeichnen zu müssen. Und ihr Branchenverband Dehoga wird nicht müde, den Gesetzgeber aufzufordern, statt der täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festzulegen. Die Branche brauche mehr Flexibilität.
Michaela Rosenberger kann hingegen das angebliche Paradebeispiel von der Hochzeitsfeier, die länger dauert als erwartet und für die kein Kellner mehr da ist, nicht mehr hören. Denn auch für solche Fälle könne man mit Planung vorsorgen.
Überstunden: Ordnungsämter kontrollieren immer seltener
Jedoch: Immer seltener schauen die Ordnungsämter in den Betrieben vorbei, um zu kontrollieren, ob die gesetzlich vorgeschriebene Höchstarbeitszeit auch eingehalten wird. Im vergangenen Jahr fanden knapp 15.200 Kontrollen statt – 41 Prozent weniger als im Jahr 2010. Setzt man die Kontrollen ins Verhältnis zur Zahl von 3,5 Millionen Betrieben in Deutschland, heißt das: Im Durchschnitt wurde voriges Jahr nur in einem von 230 Betrieben die Einhaltung der Arbeitszeiten überprüft. Pro Verstoß zahlen Arbeitgeber bis zu 15.000 Euro Strafe. „Der Sanktionsrahmen ist okay“, meint die NGG-Vorsitzende. Sie kritisiert allerdings: „Im Prinzip ist er ein zahnloser Tiger, wenn die Betriebe von der Kontrolle nicht erfasst werden.“
Matthias Günther, der das Hamburger Pestel-Institut leitet, hat untersucht, wie oft in den einzelnen Bundesländern kontrolliert wird. Ihm ist aufgefallen, dass selbst Spitzenreiter Brandenburg das Kontrollpersonal seit 2010 halbiert hat. Auch die Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz schwanken in den einzelnen Bundesländern stark. Günther kritisiert: „Es gibt kaum einheitliche Vorgaben, was zu kontrollieren ist und wie es zu kontrollieren ist.“ Auch er hat festgestellt, dass die Arbeitszeiten in allen Bereichen angestiegen seien. Häufiger arbeiten Menschen vor allem am Abend, in der Nacht und in der Wechselschicht. „Das hat sicherlich etwas damit zu tun, dass die Öffnungszeiten zugenommen haben.“
Lange Arbeitszeiten machen krank
Für Anita Tisch von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin steht fest: „Lange Arbeitszeiten führen nicht nur zu Schlafstörungen, sondern man kann auch Herz-Kreislauf-Versagen nachweisen.“ Ab der achten Arbeitsstunde steige das Unfallrisiko exponentiell an. Dabei erinnert sie, dass das Arbeitsgesetz in erster Linie ein Arbeitsschutzgesetz sei. Es sei die Pflicht der Arbeitgeber, für ihre Mitarbeiter zu sorgen.
Michaela Rosenberger fordert: „Hände weg vom Arbeitsschutzgesetz.“ Hintergrund ist eine Klausel im Koalitionsvertrag, um die Arbeitszeiten zu flexibilisieren. Rosenberger zufolge seien diese jedoch schon heute flexibel genug. Extreme Arbeitszeiten seien vor allem im Gastgewerbe verbreitet. Deshalb findet Rosenberger: Statt über das Experimentieren zu reden, müssten mehr Kontrollen eingeführt werden. Und dazu gehöre vor allem eine systematische Dokumentation. Am Ende liege es auch an den Beschäftigten. Sie müssten dastehen und sagen: „Ja, mich hat es betroffen.“
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