Träger des Aufschwungs: Ohne die Europalette läuft gar nichts
Ohne einen standardisierten Ladungsträger würden die Lieferketten in Handel und Industrie zusammenbrechen. Eine Würdigung.
Lieferketten sind derzeit ein heißes Thema. Ein Lieferkettengesetz soll große Unternehmen künftig dazu verpflichten, ein wenig mehr darauf zu achten, unten welchen Bedingungen ihre Produkte hergestellt werden. Lieferketten waren aber auch das Thema, als sich jüngst an den Grenzen zu Österreich und Tschechien die Laster kilometerweit stauten: Weil etwa in der Autoindustrie die Lagerhaltung weitestgehend auf die Straße ausgelagert wurde, droht schnell die ganze Produktion zusammenzubrechen, wenn die Laster nicht pünktlich da sind.
Doch die Lieferkette kann noch so ausgeklügelt sein: Ohne die Europalette würde sie niemals funktionieren. Die Logistik in ganz Europa hängt an der universellen Tranportplattform aus elf Brettern, neun Klötzen und 78 Nägeln. Die kleinsten Rädchen in einer großen Maschine sind eben oft die wichtigsten. Nach Schätzungen des Europäischen Palettenverbandes EPAL (European Pallet Association) sind derzeit mehr als 600 Millionen nach ihren strengen Auflagen standardisierte Europaletten weltweit im Umlauf. Fleißige Arbeitspferde, die heute Joghurt schleppen, anderntags Spritzgussteile und dabei mitunter recht grob angefasst werden.
Laster sollen bald mit Wasserstoff fahren - die Europalette ändert sich nicht
Laster sollen bald mit Wasserstoff fahren. Die Waren sind digital erfasst und können auf Mausklick in Echtzeit um die ganze Welt verfolgt werden. Aber die Europalette sieht immer noch so aus wie vor 60 Jahren. Damals, Anfang 1961, haben sich die Eisenbahnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auf ein gemeinsames Tauschsystem für Paletten geeinigt.
Inzwischen sind die meisten Güter mit Lastern unterwegs und statt der Deutschen Bahn wacht nun die EPAL mit Argusaugen darüber, dass die Norm EN 13698-1 für die Europalette eingehalten wird. Die ist deswegen immer 80 cm breit, 120 cm lang, 14,4 cm hoch und kann mindestens 1500 kg tragen. Nur wiegen darf sie manchmal etwas mehr als ihr Idealgewicht zwischen 20 und 25 kg – denn wie gesagt, es wird nicht immer pfleglich mit ihr umgegangen. Sie steht schon mal tageweise im Regen und saugt sich voll mit Wasser. Da kann auch die stabilste Konstruktion irgendwann marode werden. Doch was eine echte Europalette ist, muss deswegen noch lange nicht auf den Müll.
Betriebe, die sich von der EPAL lizenzieren lassen, dürfen beschädigte Europaletten reparieren. Natürlich nicht einfach so, Hammer, Nagel und quer über den Daumen gepeilt. Auch hier ist alles ist im Detail geregelt. Schließlich muss die reparierte Palette danach ohne Abstriche den harten Alltag überstehen. Ein Prüfnagel zeigt an, dass die Palette schon einmal in der Werkstatt war. Alle anderen Daten sind ihr eingebrannt auf Lebenszeit an der Seite des Mittelklotzes: Herstellungsland und -betrieb, Prüfsiegel, Behandlungsmethoden…
Was beim Brexit keiner bedacht hatte
Der letzte Punkt hat jüngst kurzzeitig wieder die Bedeutung der Palette für die Warenströme deutlich gemacht. Paletten, die aus oder in die EU geschickt werden, müssen eine Hitzebehandlung zum Abtöten möglicher Holzschädlinge durchlaufen haben. Auch diesen Punkt hat man beim Brexit vorher wohl nicht genügend durchdacht. Wie der Bundesverband Holzpackmittel und EPAL berichteten, waren Anfang Januar jedenfalls nicht genügend entsprechende Paletten verfügbar. Als hätten die Zollprobleme nicht schon gereicht! Viele Laster durften wohl auch deswegen nicht nach Großbritannien, weil sie die falschen Paletten geladen hatten.
Mittlerweile hat sich die Lage entspannt. Auch in Großbritannien wird die Europalette weiterhin zirkulieren. Manche Dinge kann man eben kaum noch besser machen. Und wenn eine Palette nach vielen, vielen Kilometern müde geworden ist und nichts mehr tragen kann, taugt sie neuerdings immer noch als Sofa oder Tisch.
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