Trotz Sanktionen hält eine Berufsschule den Kontakt zu Russland am Leben
Seit dem Ukraine-Krieg verhängt Europa Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Warum eine Berufsschule aus Mindelheim die Beziehungen trotzdem ausbaut.
Ist es klug, allein Politikern das Heft des Handelns zu überlassen? Oder wäre es nicht noch klüger, wenn möglichst viele etwas dafür tun würden, damit die Menschen über Ländergrenzen hinweg miteinander ins Gespräch kommen? Der Mindelheimer Studiendirektor Karl Geller hat da ganz klar seine eigene Meinung: Wenn Politiker und damit Länder miteinander Probleme haben und geistige Mauern hochziehen, ist es um so wichtiger, persönliche Kontakte aufzubauen. Vier Jahre hat der Berufsschullehrer deshalb auf einen ganz besonderen Schüleraustausch hingearbeitet: dem zwischen der Mindelheimer Berufsschule im Unterallgäu und dem „Technischen Colleg Nummer 24“ in der russischen Großstadt Jaroslawl an der Olga.
Das Verhältnis zwischen den Regierungen in Russland und Deutschland ist bekanntlich unterkühlt, seit der Westen als Reaktion auf die Annexion der Krim Wirtschaftssanktionen verhängt hat. Es war also nicht ganz einfach, erste Kontakte ins Riesenreich zu knüpfen. Geller ist einfach selbst rübergeflogen und hat mit seiner Begeisterung die Russen angesteckt.
Auf lokaler und Bezirksebene hat er viel Offenheit erlebt – und auf deutscher Seite mit dem Deutsch-Russischen Jugendwerk, dem Bayerischen Jugendring und der Klaus-Mangold-Stiftung Partner gefunden, die den Austausch finanziell fördern.
Russische Lehrer kommen nach Mindelheim - nun folgt der Gegenbesuch
Voriges Jahr war eine kleine Gruppe russischer Lehrkräfte bereits in Mindelheim. Die Chemie hat gestimmt. Und nun also im Mai der große Besuch ins Riesenreich: 14 Tage lang waren zehn junge Burschen aus Schwaben in Russland. Sie lassen sich in Mindelheim zu Nutzfahrzeugmechatronikern beziehungsweise Land- und Baumaschinenmechatronikern ausbilden.
Ihre ersten Eindrücke: Den Menschen geht es nicht besonders gut, sagen Tobias Neumann aus Oettingen und Max Götzfried aus Hausen bei Mindelheim. Viele Häuser machen einen ärmlichen Eindruck und viele Straßen gleichen Schlaglochpisten. Die Russen selbst waren „extrem freundlich“, schwärmt Kevin Gorbach, der aus der Nähe von Memmingen stammt. Und sie waren sehr darum bemüht, dass sich die Gäste wohlfühlen. Weil keiner Russisch spricht beziehungsweise auf der Gegenseite Deutsch, hat die gastgebende Schule Dolmetscher einer Sprachenschule organisiert.
Untergebracht waren die Mindelheimer in einem Wohnheim. Die Heimleiterin hat jeden einzelnen mit einem Süßgebäck willkommen geheißen, das aussah wie Windbeutel. Bei so viel Herzlichkeit spielte es keine Rolle, dass aus der Dusche zwei Wochen lang nur kaltes Wasser kam und auch die Internet-Verbindung immer wieder mal streikte. Anders als in Deutschland mit seinem dualen System mit Schule und Betrieb findet die berufliche Ausbildung in Russland ausschließlich in der Schule statt. In kleinen gemischten Teams aus russischen und deutschen Schülern haben sie Schweißen geübt, Motoren und Getriebe zerlegt und wieder zusammengebaut. Also Dinge, die „bei uns nicht mehr so vertieft werden“, wie es der stellvertretende Schulleiter Sven Meyer-Huppmann formuliert. Auch er war für eine Woche in Jaroslawl und hat Lehrer Philipp Niegl abgelöst.
Der Dolmetscher war immer dabei
Immer waren Dolmetscher dabei, sodass die Verständigung nie ein Problem war. Je länger der Besuch dauerte, desto besser verstanden sich alle. In der zweiten Woche hätte der Tag ruhig 36 Stunden haben dürfen, so viele Einladungen hatten die Mindelheimer erhalten. Von russischer Seite kamen zwei Rückmeldungen, wie Geller erzählt: Deutsch soll wieder vermehrt gelehrt werden. Und diese Form der Kontaktpflege über Schüleraustausch könnte auch mit anderen Schulen ausgebaut werden. Schon jetzt freuen sich alle im Technischen Colleg Nummer 24 auf den Gegenbesuch im Mai nächsten Jahres im Unterallgäu.
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