
Wie sich Volkswagen neu erfinden will


VW hat sich mehr Weiblichkeit, Jugendlichkeit und Modernität verordnet. Mit neuem Logo und Elektrowagen soll die Diesel-Affäre überwunden werden. Gelingt das?
In einem Saal ohne Fenster erläutern fünf Männer in Wolfsburg, wie sich Volkswagen nach dem Diesel-Desaster neu erfinden will. Journalisten müssen zuvor ihre Smartphones abgeben und die Kameras der Laptops abkleben. Es dürfen keine Bilder gemacht werden, weder vom neuen VW-Logo noch von Serienmodellen des offiziell erst im September auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt präsentierten Elektroauto ID.3. Die fünf Manager wirken ein wenig aufgekratzt, ja erleichtert. Sie sagen Sätze, für die ihnen in der VW-Ära des einstigen Chefs Martin Winterkorn dauerhafte Missgunst des großen Meisters sicher gewesen wäre. So ist die Rede davon, Volkswagen werde auf der Autoschau in Frankfurt sein "Coming-out" erleben. Insofern ist die Veranstaltung am Donnerstag eine Art-Coming-out-Generalprobe.
Der Akt des Bekenntnisses zur neuen Volkswagen AG – neudeutsch "New Volkswagen" genannt – vollzieht sich in einem schmucklosen Raum, der im Konzern-Jargon aber pathetisch "Walhalla" genannt wird. In der Ruhmeshalle führt das Unternehmen neue Autos vor. Nur eines steht am Donnerstag in dem Saal, bedeckt von einer blauen Schutzhülle. Ralf Brandstätter, einer der führenden Volkswagen-Vorstände hinter dem obersten Chef Herbert Diess, erinnert an den Skandal-Oktober des Jahres 2015: "Irgendwie kann es noch immer keiner glauben, was da mit dem Diesel gemacht worden ist." Allen sei damals klar gewesen, Zeugen keines einfachen Bebens, sondern einer heftigen Eruption geworden zu sein, welche die Zukunft von VW infrage stelle.
Brandstätter ruft noch einmal ins Gedächtnis, damals habe das größte Kapital des Konzerns, das Vertrauen der Kunden, auf dem Spiel gestanden. Doch dann sei stundenlang heiß diskutiert und der Finger in die Wunde gelegt worden. Heilung versprach nur die Elektromobilität. In der Folge "ging ein Weckruf" durch das Unternehmen. Für zentrale Fragen wie Digitalisierung und Elektrifizierung wurden nun Vorstandsressorts geschaffen. Der VW-Manager nimmt Anleihen aus dem Fußball: "So können wir Schlüsselthemen direkt in Manndeckung nehmen."
VW strebt Weiblichkeit und Offenheit an
Eine interessante Formulierung angesichts der erklärten Absicht von Volkswagen, der Konzern solle weiblicher werden. Dafür scheint es erste Indizien zu geben, auch wenn keine Frau die Strategie präsentiert. Denn als das neue Elektroauto ID.3 enthüllt wird, erscheint seine ganz ohne aggressiven Kühlergrill auskommende Frontpartie mit ihren lächelnd wirkenden Lichter-Augen so gar nicht männlich. Chefdesigner Klaus Bischoff gibt das sicher manchen seiner Geschlechtsgenossen seltsam vorkommende Motto aus: "Licht ist das neue Chrom." Als es um den Innenraum des in einer Basisversion künftig schon unter 30.000 Euro zu habenden Autos geht, kommt er richtig ins Schwärmen: "Die Prada passt prima in die Mittelkonsole." Mit der Prada ist eine Frauenhandtasche gemeint. Sie lässt sich praktisch zwischen Fahrer und Beifahrer unterbringen.
Am Ende ist das neue Elektroauto aber vor allem eine Art rollendes Smartphone. Es lässt sich mit dem Handy öffnen, kann selbstständig einparken und spricht wie Alexa mit den Insassen. Dabei soll der Innenraum, der den Journalisten noch verborgen bleibt, so groß wie der eines Passats sein, obwohl die Außenmaße des Elektroautos eher denen eines Golfs ähneln. Auf alle Fälle werde der ID.3 als bezahlbares Elektroauto zur "Demokratisierung der Technologie" beitragen. Auch intern scheint sich diesbezüglich einiges getan zu haben. Brandstätter versichert: "Jeder kann aufstehen und offen und ehrlich seine Meinung sagen." Zu Winterkorns Zeiten sollen demokratische Willensbekundungen oft böse für die Mutigen geendet haben.
VW strebt aber mehr als zunehmende Weiblichkeit und Offenheit an. Um die Gunst der Generation "Greta" zu erringen, solle der Konzern auch jünger und moderner werden. Im Überschwang der Kulturrevolution haben die Verantwortlichen gleich noch ein neues Logo entworfen. Es soll das alte knuffige, dreidimensional wirkende Symbol ersetzen. Es bleibt aber bei den beiden Buchstaben "V" und "W". Sie erscheinen aber nur noch in zweidimensionaler Optik, denn so lasse sich das Logo besser in die Welt digitaler Medien einfügen.
Bratzel: VW muss sich neu erfinden
Reicht all das aus, um die Kunden scharenweise zur Elektro-Konversion zu überreden? Lassen sie sich vom VW-ID.3 mit einer Reichweite von bis zu 420 Kilometern begeistern? Der erfahrene Auto-Analyst Jürgen Pieper des Frankfurter Bankhauses Metzler beantwortet die Frage mit einem Vergleich: "VW-Chef Diess und seine Mannschaft stehen auf alle Fälle besser da als ihre Kollegen bei BMW und Daimler." Ob sich der Manager mit seiner E-Strategie durchsetzt, müsse sich aber erst zeigen, sagte der Experte dieser Redaktion. Elektroauto-Fan Ferdinand Dudenhöffer legt sich hingegen auf Anfrage fest: "Die schaffen das bei VW." Dann fügt der Professor noch hinzu: "Die Wahrscheinlichkeit, dass ich recht habe, liegt bei 99,9 Prozent."
Dabei habe VW gar keine andere Wahl, als sich neu zu erfinden, glaubt Professor Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Die Strategie einer Fokussierung auf reine Elektrofahrzeuge sei richtig. Gleiches legt der Experte auch der VW-Tochter Audi ans Herz: "Die Keimzelle des Diesel-Skandals lag wohl bei Audi. Entsprechend braucht es besonders auch für Audi einen unternehmenskulturellen Neuanfang." Doch das Elektro-Engagement von Herstellern wie VW wird allein nicht reichen. Bratzel fordert deshalb: "Ohne eine flächendeckende und funktionierende Ladeinfrastruktur wird der Markthochlauf nicht gelingen."
Insofern muss sich nicht nur VW, sondern auch ein Land wie Deutschland elektrisch neu erfinden.
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